Registerzensus genügt nicht verfassungsrechtlichen Anforderungen
Die geplante Erprobung eines registerbasierten Zensus ist nach Auffassung der LINKEN nicht mit verfassungs- und datenschutzrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar. Es besteht die Gefahr der Bildung von Persönlichkeitsprofilen. Grundrechtsschonende Alternativen bleiben leider unberücksichtigt.
Rede zu Registerzensuserprobungsgesetz am 06.05.2021
(Anrede)
Eine verlässliche Datengrundlage mag zwar kein Garant für eine gute Regierungsführung sein, sie ist aber zweifelsohne eine wichtige Voraussetzung für nachvollziehbare politische Entscheidungen und vorausschauendes Verwaltungshandeln.
Denn aktuelle und verlässliche Bevölkerungsinformationen sind unerlässlich für das Gelingen politischer Vorhaben, aber auch für eine Reihe von Prozessen, vom Finanzausgleich zwischen den Ländern und den Kommunen bis hin zum Wahlkreiszuschnitt bei Bundes- oder Landtagswahlen.
Deshalb ist auch die Linke sehr dafür, eine gute Datenbasis zu schaffen, wenn die Datengewinnung zugleich verfassungsrechtlichen Ansprüchen genügt. Diesen Anforderungen an den Datenschutz wird aber der vorliegende Gesetzesentwurf der Bundesregierung mit dem etwas sperrigen Namen „Registerzensuserprobungsgesetz“leider nicht gerecht.
Worüber diskutieren wir heute konkret? Während die Datenerhebung bei den Volkszählungen 1987 im alten Bundesgebiet und 1981 in der ehemaligen DDR durch traditionelle Volksbefragungen erfolgte, wird der Zensus 2022 hauptsächlich mit Daten aus den Melderegistern und nur noch ergänzend mit stichprobenartigen Befragungen durchgeführt.
Das war auch schon beim Zensus 2011 so. In Zukunft aber soll der Zensusausschließlich mit Daten aus bereits in der Verwaltung geführten Registern durchgeführt werden können.
Zur Vorbereitung eines solchen Verfahrens will der nun vorliegende Gesetzentwurf eine Grundlage schaffen, um probeweise sensible Daten aus unterschiedlichen Quellen miteinander zu verknüpfen.
Denn um auf zusätzliche Befragungen verzichten zu können, soll es notwendig sein, Daten aus den Melderegistern mit Daten aus anderen Quellen- etwa aus der Rentenversicherung, der Bundesagentur für Arbeit, dem Kraftfahrzeugregister oder dem Ausländerzentralregister – zusammenzuführen.
Dabei sollen – unter anderem – Verfahren erprobt werden, um sogenannte Dubletten, also Mehrfachspeicherungen bei verschiedenen Meldebehörden, zu erkennen. Eine bis auf die Kreisebene genaue Bevölkerungsstatistik soll weitergeführt werden; die Erhebung von Daten zu Demografie, zu Einkommens- und Familienverhältnissen soll ohne Befragung der Betroffenen auskommen.
Doch nicht zuletzt die Anhörung des Innenausschusses am vergangenen Montag, meine Damen und Herren, hat erhebliche Mängel des Gesetzesentwurfs aufgezeigt.
Besonders deutlich wurde die Kritik bei dem Vorschlag, eine einheitliche Identifikationsnummer zu verwenden.
Bei der bereits mit dem Registermodernisierungsgesetz eingeführten Identifikationsnummer für alle dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen hatten wir Linke unsere verfassungsrechtlichen Bedenken klar artikuliert. Denn sie ermöglicht eine Erfassung von personenbezogenen Daten über alle Register hinweg, in die sie eingeführt wird.
Im vorliegenden Zensuserprobungsgesetz soll sie nun als Hilfsmerkmal zur Identifizierung der erfassten Bürgerinnen und Bürger verwendet werden. Damit wird es möglich, auch wenn es nicht unmittelbar geplant ist, bei einer zukünftigen jährlichen oder zweijährlichen Wiederholung des Registerzensus auf einzelne Personen bezogene Entwicklungsprofile zu erstellen.
Was aber im Gesetzesentwurf fehlt – darauf hat auch der Bundesdatenschutzbeauftragte deutlich hingewiesen -, sind Schutzvorschriften und Schutzvorkehrungen, um einen Missbrauch von vornherein auszuschließen. Ich darf hier das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1969 zum Mikrozensus in Erinnerung rufen: „Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren“, so die Verfassungsrichter schon damals, „wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren, sei es auch in der Anonymität einer statistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist“.
Eine vernünftige Alternative zu diesem „Superregister“, nämlich lediglich Meldedaten auf Bundesebene abzugleichen, die Zusammenführung mit Sozial- und Wirtschaftsdaten aber nur auf regionaler Ebene vorzunehmen, blieb jedoch im Gesetzentwurf bei der halbherzigen Prüfung anderer Möglichkeiten leider völlig unberücksichtigt.
Kurzum: Dieser Gesetzentwurf ignoriert verfassungs- sowie europarechtlichen Vorgaben zum Grundrechtsschutz und wird den Ansprüchen auf einen grundrechtsschonenden Umgang mit sensiblen Daten nicht gerecht. Wir werden ihn daher ablehnen.
Herzlichen Dank.