„Wer hier spioniert, muß ausgewiesen werden“

„Bundesregierung darf sich US-Überwachung nicht länger bieten lassen. Snowden-Anhörung notfalls gerichtlich erzwingen.“ André Hahns Interview mit der „Jungen Welt“.

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Sie sind stellvertretendes Mitglied im kürzlich eingesetzten NSA-Untersuchungsausschuß des Bundestages. Welche Erwartungen haben Sie an die Arbeit dort?

Ich hoffe, daß es gelingt, zumindest ein wenig  Licht  in  das  Dunkel  der  Aktivitäten ausländischer Geheimdienste in Deutschland zu bringen. Die öffentliche Verunsicherung  ist  groß.  Gerade  deshalb ist es die Pflicht der Abgeordneten, die in Rede stehenden Sachverhalte so weit  wie  irgend  möglich  aufzuklären. Martina Renner als Obfrau der Linken und mir  geht  es  dabei  auch  darum  zu klären, inwieweit deutsche Dienste von den Vorgängen wußten oder gar den USGeheimdienst  NSA  bei  rechtswidrigen Aktivitäten unterstützt haben.

Es ist eine Binsenweisheit: Geheimdienste arbeiten im geheimen. Woher nehmen Sie die Hoffnung, Licht ins Dunkel bringen zu können?

Ich  war  als  Landtagsabgeordneter  in Sachsen  in  mehreren Untersuchungsausschüssen  und  habe  daher  keine  Illusionen,  was  ein  solches  Gremium leisten kann. Wir  können  gemeinsam mit den Grünen zwar die Herbeiziehung von Akten durchsetzen, doch ob die Geheimdienste oder das Kanzleramt auch wirklich  alle  Unterlagen  herausrücken, können wir nicht prüfen. Die Opposition kann  zwar  Zeugenladungen  durchsetzen,  aber  wann  diese  Zeugen  im  Ausschuß  gehört  werden,  entscheiden  die Koalitionäre von CDU/CSU und SPD.

Wenn der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz von den NSA-Spitzeleien wußten, hätten sie die betroffenen Politiker darüber informieren müssen. Wußten die deutschen Dienste nichts von den NSA Aktivitäten, sind sie unfähig oder unwillig – in beiden Fällen also überflüssig?

Ohne  den  Ergebnissen  des  Untersuchungsausschusses  vorgreifen  zu  wollen,  kann  man  schon jetzt  feststellen, daß die Spionageabwehr völlig versagt hat.  Die  deutschen  Dienste  haben  angeblich weder von der millionenfachen Ausspähung deutscher Bürger noch vom Datenklau in der Wirtschaft etwas mitbekommen. Zumindest haben sie nichts dagegen getan. So stellt man in der Tat seine  eigene  Existenzberechtigung  in Frage.

Sowohl Die Linke als auch Bündnis 90/Die Grünen haben in der ersten NSA-Ausschußsitzung beantragt, den US-Whistleblower Edward Snowden als Zeugen zu laden. Was versprechen Sie sich von seiner Aussage in der BRD?

Herr  Snowden  war  ja  nicht  irgendein nachgeordneter Mitarbeiter. Er war vor seiner Administratorenfunktion  selbst beim Geheimdienst tätig, kennt also die Abläufe  und Vorgänge  aus  eigener  Erfahrung.  Zudem  ist  er  der  einzige,  der einen  Überblick  über  sämtliche  Dokumente  hat,  die  er  bei  der  NSA  kopiert hat.  Er  kann  Auskunft  über  die  Installation und Funktionsweise der diversen Überwachungsprogramme  amerikanischer  Dienste  geben,  an  die  der  Ausschuß auf andere Weise nicht gelangen kann. Denn nach Lage der Dinge ist ja  nicht  davon  auszugehen,  daß  die  USRegierung den Untersuchungsausschuß mit Zeugen oder der Übersendung von

Akten unterstützen wird. Deshalb ist es unverzichtbar, Snowden zu hören.

Gehen Sie tatsächlich davon aus, daß die deutschen Behörden Snowden einreisen lassen und gewillt sind, seine Sicherheit zu garantieren?

Nach den jüngsten Äußerungen verschiedener  Regierungsvertreter  muß  man  in der  Tat  skeptisch  sein.  Der  SPD-Chef und  jetzige  Vizekanzler  Gabriel  hatte im Juli 2013 – damals noch

in  der  Opposition  –  die Forderung  erhoben,  daß Snowden  in  Deutschland aussagen  müsse  und  aufgrund  der  damit  verbundenen  Gefährdung  in  ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden solle.  Heute  ist  davon  keine Rede mehr, im Gegenteil: Herr Gabriel äußerte kürzlich in einer Diskussion mit Schülern, daß Deutschland schlicht  zu  klein  sei,  um Edward  Snowden  dauerhaft  vor  einem Zugriff  der  Amerikaner  zu  schützen. Das  ist  nicht  nur  ein  Armutszeugnis, sondern ein regelrechter Offenbarungseid der Bundesregierung.

Die US-Administration weigert sich, Informationen über das tatsächliche Ausmaß ihrer Überwachungsaktionen zu veröffentlichen. Warum erhöht die Bundesregierung nicht den politischen Druck auf Washington, sondern läßt sich permanent vorführen?

Diese Frage stelle ich mir seit Monaten, denn die Bundeskanzlerin wie die von ihr  berufenen  Minister  haben  in  ihrem Amtseid  darauf  geschworen,  Schaden von den Menschen in Deutschland abzuwenden. Doch sie unternehmen nichts, um die uferlose Ausspähung durch amerikanische und britische Geheimdienste bei uns zu beenden oder wenigstens zu erschweren.  Der  Auftritt  des  früheren Bundesinnenministers Friedrich (CSU) bei seinem USA-Besuch war einfach nur peinlich. Deshalb hätte er zurücktreten sollen – und nicht erst wegen der Weitergabe von vertraulichen Informationen zum Fall Edathy an die SPD-Spitze.

Und wie erklären Sie sich diese Unterwürfigkeit der Bundesregierung gegenüber den USA?

Das  Ganze  hat  etwas  Irrationales.  Die Bundesregierung  verhält  sich  wie  das berühmte  Kaninchen  vor  der  Schlange.  Kein  eigenständiges  Agieren,  kein Ausweichen und schon gar keinen Widerstand. Damit muß endlich  Schluß  sein!  Gregor Gysi  hat  im  Bundestag zu  Recht  gesagt,  solange Deutschland nicht dazu in  der Lage ist, auch gegenüber  den  USA  die  Interessen unserer Bürgerinnen und  Bürger  wirksam  zu  vertreten,  sind  wir  nicht souverän. Es ist doch eine absolute Unverschämtheit, daß  sich  die  amerikanische  Regierung  bis  heute weigert,  die  in  mehreren Briefen  artikulierten  Fragen  deutscher Behörden  zur  Überwachungspraxis  in Europa und vor allem hier bei uns auch nur ansatzweise zu beantworten. Selbst in  Regierungskreisen  glaubt  niemand mehr, daß es zu einem No-Spy-Abkommen kommen wird. Wir müssen endlich zeigen, daß wir uns nicht alles gefallen lassen.

Was meinen Sie damit konkret?

Alle offiziellen Verträge und auch informelle Absprachen, die amerikanischen, britischen  oder  anderen  ausländischen Geheimdiensten  den  ungehinderten  Zugriff auf deutsche Datenbanken, Server,  Telekommunikationsanlagen  und Bankverbindungen  gestatten,  müssen sofort aufgekündigt werden. Ohne konkreten  Anfangsverdacht  darf  niemand  überwacht werden. Wer in Deutschland Spionage  betreibt,  ob  aus  Botschaften, Konsulaten  oder Firmen  heraus,  muß ausgewiesen  werden.  Sämtliche  Einrichtungen  ausländischer  Dienste,  die  die Ausforschung  deutscher  Bürger  ermöglichen,  sind  zu  schließen.  Und  ich füge hinzu: Dies gilt natürlich auch für Militäreinrichtungen, die an der Steuerung von unbemannten Drohnen beteiligt sind, durch die weltweit Menschen umgebracht werden. Die US-Regierung muß begreifen, daß wir uns die Überwachungsmaßnahmen  nicht  länger  bieten lassen. Es ist dringend notwendig, klare

Grenzen  aufzeigen.  Eine  Möglichkeit wäre die Aussetzung der Verhandlungen über  das  ohnehin  umstrittene  Freihandelsabkommen  zwischen  der  EU  und den USA. In diversen Medien wird Angela Merkel als derzeit mächtigste Frau der Welt bezeichnet. Wenn die Bundeskanzlerin zeigen will, daß sie politisch wirklich Einfluß hat, dann sollte sie genau in diese Richtung tätig werden.

Gerade erst gewählt, ist am Mittwoch der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses Clemens  Binninger (CDU) von seinem Amt zurückgetreten. Er begründete dies vor allem damit, daß ein  fraktionsübergreifendes Arbeiten nicht mehr möglich sein, weil die Opposition alles auf die Zeugenvernehmung von Snowden fokussiere. Können Sie das nachvollziehen?

Nein,  überhaupt  nicht.  Ich  war  vom Rücktritt  Binningers  völlig  überrascht, zumal  wir  darauf  gehofft  hatten,  daß

er nach den Erfahrungen im NSU-Ausschuß  eine  eher  moderierende,  ergebnisorientierte  und nicht  vorrangig  parteipolitische  Rolle  einnehmen  würde. Irritiert hat mich die offizielle Begründung  für  seinen  Rückzug.  Das  ist  mit Sicherheit  nicht  mal  die  halbe  Wahrheit.  Daß  die  Opposition  den Auslöser der gesamten Affäre als Zeugen hören will, war von Anfang an klar. Deshalb tritt  man  nicht  zurück.  Ich  hoffe,  wir werden  irgendwann  erfahren,  was  hinter  den  Kulissen  wirklich  gelaufen  ist. Der neue Vorsitzende Sensburg hat zugelassen, daß die Ladung von Snowden erneut  vertagt  wurde,  obwohl  dies  ein Minderheitsrecht ist. Das war kein guter Einstieg. Offenbar will die Koalition die Entscheidung  hinauszögern,  damit  die geplante USA-Reise der Kanzlerin nicht überschattet wird. Das sind völlig sachfremde Erwägungen, und am Ende wird der Beschluß nicht zu verhindern sein. Notfalls werden wir das auch juristisch durchsetzen.  Und  dann  ist  es  die  gesetzliche  Pflicht  der  Bundesregierung, Snowdens Vernehmung zu ermöglichen, also  ihm  sicheres  Geleit  zu  gewähren und ihn auch danach zu schützen, z.B. durch ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht.

Interview: Markus Bernhardt

junge Welt  Sonnabend/Sonntag, 12./13. April 2014, Nr. 87 3 schwerpunkt

Das vollständige Interview aus der Jungen Welt finden Sie ebenfalls hier.

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