Verfassungsbruch mit Kalkül

CDU/CSU und SPD haben im NSA-Untersuchungsausschuss ihren im Grundgesetz verankerten Auftrag, auch als Koalitionäre das Regierungshandeln im Parlament zu kontrollieren, einfach mal so über Bord geworfen und einen höchst fragwürdigen Beschluss gefasst, über den am Ende wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden muss. Worum geht es dabei?

Nach den Enthüllungen von Edward Snowden über die US-amerikanischen Geheimdienstaktivitäten hatte der Bundestag im Februar 2014 – und zwar einstimmig – einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der klären soll, welche Spionage hier bei uns tatsächlich betrieben wurde, ob es wirklich eine massenhafte und anlasslose Ausspähung durch die NSA gegeben hat, welche Kenntnis und Mitverantwortung deutsche Behörden diesbezüglich hatten und was getan werden kann, um solche Vorgänge künftig zu unterbinden.

Millionenfach Telefonate abgehört sowie Mails und SMS ausgeforscht

Durch hartnäckiges Nachhaken der Opposition ist bislang unter anderem herausgekommen, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) in Deutschland über mehr als ein Jahrzehnt hinweg gemeinsame Projekte mit amerikanischen Geheimdiensten betrieben und ihnen dabei Zugang sowohl zu Satelliten- als auch zu kabelgestützten Telekommunikationsanlagen gegeben hat. Dabei wurden ohne eindeutige Rechtsgrundlage millionenfach Telefonate abgehört sowie Mails und SMS ausgeforscht, und nach allem, was bislang bekannt wurde, ging es dabei nicht nur um Terrorabwehr, Waffenhandel oder Geldwäsche, sondern auch um politische Ausspähung und Wirtschaftsspionage.

Das fiel dann irgendwann sogar dem BND auf, als in den von der NSA übermittelten Suchbegriffen plötzlich Firmen wie EADS (heute Airbus) oder Eurocopter auftauchten. Doch das war nur der Anfang. Bei mehreren Prüfungen, insbesondere nach den Snowden-Enthüllungen wurden nahezu 40.000 illegale Suchbegriffe der NSA gefunden, die nicht nur deutschen, sondern auch europäischen Interessen massiv zuwider liefen. Diese wurden dann gesperrt und in einer so genannten Ablehnungsliste gespeichert. Angeblich ist heute nicht mehr festzustellen, welche Suchbegriffe (auch Selektoren genannt) wie lange im Überwachungssystem liefen. Klar aber ist, dass es Tag für Tag Millionen so genannter Treffer gab, also Telefonate, Mails oder SMS, die den Suchvorgaben entsprachen, selbst wenn diese rechtswidrig waren.

Genau deshalb ist es so wichtig, dass die Mitglieder des Untersuchungsausschusses, aber auch des Parlamentarischen Kontrollgremiums die Selektoren-Listen einsehen dürfen. Nur dann lässt sich die wirkliche Brisanz des Vorgangs bewerten, denn schließlich sollen Presseberichten zufolge auf diesen Listen auch diverse Unternehmen sowie europäische Institutionen und Politiker stehen, die überwacht worden sein sollen. Das muss endlich aufgeklärt werden. Trotz eindeutiger Beweisbeschlüsse zur Herausgabe der Listen hat die Regierung das Parlament über Wochen hingehalten, meinte erst die USA um Erlaubnis fragen zu müssen, um dann am 17. Juni mitzuteilen, dass kein Abgeordneter die Unterlagen einsehen dürfe. Stattdessen soll eine so genannte Vertrauensperson die Listen sichten dürfen (selbst das will die USA der Bundesregierung nach neusten Meldungen untersagen), die dann den Untersuchungsausschuss in allgemeiner Form und ohne Nennung von Namen ausgespähter Unternehmen, Institutionen und Politikern berichten soll. Das ist aus mehreren Gründen absolut inakzeptabel, zumal es dafür auch keinerlei Rechtsgrundlage gibt.

Dabei kann nur Murks herauskommen

Ein externer Sachverständiger kann das Parlament sicher beraten, aber niemals dessen Kontrollkompetenz ersetzen und schon gar keine politischen Bewertungen zu den in der Liste enthaltenen Daten abgeben. Völlig absurd wird das Ganze, weil die Regierung darauf besteht, die Vertrauensperson letztlich selbst zu bestellen. Das bedeutet im Klartext: Ein von der Exekutive bestellter und letztlich auch bezahlter Mensch soll die Exekutive in Bezug auf die Selektorenliste kontrollieren. Dabei kann nur Murks herauskommen, egal wer dafür letztlich auserwählt wird. Der Name steht schon längst fest, auch wenn die Koalition jetzt betont, auch die Opposition könne ja Vorschläge machen. Mehr Heuchelei habe ich selten erlebt!

Das Kalkül von Regierung und Koalition ist offensichtlich. Man will möglichst viel Zeit gewinnen, und angesichts der üblichen Dauer von Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hofft man vielleicht sogar, sich über das Ende der Legislaturperiode hinaus retten zu können, ohne die hochbrisanten Listen offenlegen zu müssen. Auch deshalb wäre es sehr wichtig, dass die Karlsruher Richter möglichst schnell entscheiden.

Quelle: linksfraktion.de, 22. Juni 2015