Tooooooooooooooor!

„André Hahn, 50 Jahre, sportpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion und treffsicherer Freizeitfußballer, über König Fußball“, Interview im DISPUT April 2014.

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Am 12. Juni geht’s los mit der Endrunde der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Wir wollen schon heute mal über Fußball reden. André, du als Sportpolitiker und Sportpraktiker (Fußballer!) musst es wissen. Also, das Einfachste zuerst: Wer wird Weltmeister?

Brasilien oder Spanien.

Das prophezeien ja viele. Aber werden die Brasilianer wirklich dem hohen Erwartungsdruck im  eigenen Land standhalten?

Bei den Weltmeisterschaften in Süd- und Mittelamerika haben immer südamerikanische Mannschaften gewonnen, auch wegen der klimatischen Bedingungen. Und was die Brasilianer fußballerisch drauf haben, zeigten sie im vorigen Jahr, als sie die Generalprobe, den ConfedCup, gewannen. Auch den Spaniern traue ich den Titel zu. Die sind stark besetzt, haben eine herausragende Verteidigung und sind vorn immer für ein  Tor gut.

Nationaltrainer Jogi Löw ist in Vorbereitung auf die WM-Saison auch auf André Hahn aufmerksam geworden – allerdings nicht auf dich, der du seit Jahrzehnten kickst, sondern auf einen Namensvetter.

Das ist ein junger torgefährlicher Spieler, der sich beim FC Augsburg schnell sehr gut entwickelt hat.

Wann hast eigentlich du das erste Mal einen Ball vor den Füßen gehabt?

Mit acht oder neun. Doch weil ich damals recht dürr und nicht sehr durchschlagkräftig war und meine Eltern wollten, dass ich ein Musikinstrument erlerne – das wurden Klarinette und Oboe –, hatte der Fußball erst mal Pause. Ich fing damit während der Lehre wieder an: mit 16 bei VSG Altglienicke (Berlin). Dort schoss ich viele Tore und spielte als Junior auch schon bei den Männern mit. Außerdem war ich Schiedsrichter: zuerst im Handball, dann bei den Fußballern; die Vereine suchten immer händeringend Schiris. An den Wochenenden hatte ich als Spieler und Schiedsrichter oft drei Spiele. Konditionell war das kein Problem, irgendwann habe ich es jedoch an den Bändern gemerkt.

Hattest du – als junger Schiri – ein dickes Fell gegenüber Meckereien von Spielern und Zuschauern?

Sicher brauchte ich anfangs einige Überwindung, um als 14- oder 15-Jähriger im Handball Männer-  und Frauenmannschaften zu pfeifen. Das war nicht einfach. Beim Fußball kam ich ziemlich schnell in höhere Spielklassen: als Schiedsrichter in die Landesliga und als Linienrichter bis in die DDR-Liga. Gerade in Berlin kam noch erschwerend hinzu, dass hier ehemalige Oberliga- und sogar Nationalspieler von BFC und Union zum Ende ihrer Karriere in unterklassigen Teams spielten. Die waren 37, 38 Jahre alt und zeigten, wenn ein 17-Jähriger vor ihnen stand, keinen großen Respekt. Den musste ich mir verschaffen.

Wodurch? Mit vielen Platzverweisen?

Auch das. Ich habe anfangs mehrfach Rote Karten verteilt, das hat sich schnell rumgesprochen. War  die Wand zwischen den Kabinen etwas dünn, hörte ich schon mal den Trainer der Mannschaft nebenan sagen: »Ihr wisst, heute pfeift der Hahn. Benehmt euch!«

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Hast du mal selbst eine Rote Karte bekommen?

Nein, nie, und ich glaube in Pflichtspielen nicht mal eine Gelbe – obwohl man als gelernter Schiedsrichter die (vermeintlichen) Fehler der Referees besonders kritisch sieht.

Welche aktuellen Stars gefallen dir besonders? Ronaldo, Messi, Ribery, Ibrahimović…?

Das sind tolle Fußballer, überhaupt keine Frage. Aus welchen Situationen Ronaldo Tore schießt, auch

Messi! Ich bewundere, was sie bei Freistößen hinbekommen, das ist unwahrscheinlich. Ich war technisch nicht mal ansatzweise so beschlagen. Die Stürmer haben mich stets besonders fasziniert: Pele, Gerd Müller … Joachim Streich fand ich auf seine Art auch ganz toll – im Verein versuchte ich immer, das Jersey mit seiner Nummer zu kriegen. Auch Jürgen Croy als Torwart gefiel mir großartig, ebenso Beckenbauer – Leute wie Matthäus nicht so, auch menschlich nicht. Da ist mir jemand wie Miroslav Klose wesentlich sympathischer: Was der in seinem Alter als Stürmer noch auf die Beine stellt!

Du warst immer Stürmer?

Ich habe nie was anderes gespielt – vielleicht weil ich Tore schießen

wollte. Das ist ja das, wofür man spielt und wofür man gemocht wird. Besonders gut fand ich die Stürmer, die mit relativ wenig Aufwand viele Tore geschossen haben.

Das entspricht wohl deiner Spielweise?

Zumeist schon. Für meine Mitspieler ist das nicht immer einfach, weil ich nicht der große Läufer bin und in der Abwehr helfe. Ich bin eher einer, der vorn auf Fehler der gegnerischen Abwehr wartet. In vielen Spielen war ich oft 70 oder 80 Minuten nicht zu sehen – und schoss dann das entscheidende Tor.

Auf welche Tore bist du besonders stolz?

Mit Altglienicke habe ich mal auf einem Schlackeplatz aus der eigenen Spielhälfte ein Tor erzielt, windunterstützt und der Torwart stand zu weit draußen, aber es war ein toller Treffer.

Heutzutage könnten wir’s vielleicht im Fernsehen bei der Auswahl zum »Tor des Monats« sehen.

Damals kriegte ich dafür meinen Spitznamen. Der holländische Nationalspieler Arie Haan hatte kurz vorher auch so ein Tor geschossen – seitdem hieß ich Arie, Arie Hahn. Kurios war auch ein ganz schnelles Kopfballtor: 20 Sekunden nach dem Anpfiff! Hinzu kam, dass der Ball auf dem 20 Zentimeter tiefen  Schneeboden an der Torlinie einfach liegen blieb. Tor oder kein Tor? Der Schiedsrichter scheuchte alle Spieler weg, lief zum einen Pfosten und guckte von dort aus zum anderen Pfosten, ob der Ball in vollem Umfang hinter der Linie im Schnee lag. Und das war so, also Tor.

Du hast in Sachsen 1992 den FC Landtag, in dem überwiegend Abgeordnete spielen, mit gegründet.  Doch nicht etwa aus Langeweile?

Natürlich nicht. In anderen Landtagen gab es bereits solche Mannschaften. Deswegen schrieb ich –  als Mitarbeiter in unserer Fraktion; Abgeordneter wurde ich Ende 1994 – alle Männer im Parlament an, ob wir nicht einen Fußballverein gründen wollen. Aber wie es damals so war: Das durfte nicht sein, der Vorschlag kam ja von der PDS und wir waren zu der Zeit noch völlig Persona non grata … Ein paar Wochen später schrieb ein SPD-Kollege den gleichen Brief, und so wurde der FC Landtag dann doch gegründet, und ich war viele Jahre Vizepräsident. Unser erstes Spiel machten wir beim »Tag der Sachsen« in Freiberg, und ich schoss das allererste Tor für die Landtagskicker. Wir haben das letzte Spiel im alten Leipziger Zentralstadion bestritten und das letzte Spiel im alten Dresdner DynamoStadion.

Aber wie du spielst, ist alles andere als das Letzte. Die »Lausitzer Rundschau« pries dich als den  »Maradona unter den Volksvertretern«, dpa nannte dich »Sachsen-Maradona« und den »Stürmerstar des FC Landtag«. Allein für den hast du in 114 Großfeldspielen 116 Tore erzielt, das ergibt eine Quote von rund 1,02 Toren pro Spiel. Damit liegst du vor Uwe Seeler (404 Tore in 476 Meisterschaftsspielen = 0,85) und vor Gerd Müller (365 Tore in 427 Spielen = 0,85)! Joachim Streich kam auf 229 Tore in 378 Spielen (0,61). Nur Ottmar Walter war geringfügig treffsicherer als du: 295  Tore in 275 Spielen (1,07).

Das habe ich noch nie ausgerechnet.

Ich auch nicht, da half das Internet.

Aber mit diesen Spielern kann ich mich nicht wirklich vergleichen … Bei Altglienicke habe ich in 85 Spielen 69 Tore geschossen, und in der Auswahl der Humboldt-Universität waren es mehr Tore als Spiele. Da hatte ich aufgehört, Statistik zu führen.

In welchem Spiel hast du die meisten Treffer geschafft?

Zweimal habe ich fünf Tore in einem Spiel erzielt, unter anderem mit der Landtagsmannschaft im  Vorspiel vor der Partie Energie Cottbus gegen Dynamo Dresden. Wir spielten gegen den brandenburgischen Landtag, mit Agrarminister Zimmermann (SPD) im Tor. Beim 5:1 schoss ich alle fünf Tore; der Trainer nahm mich vorzeitig runter, damit es nicht zu arg wurde. Am

nächsten Tag überschrieb die »Morgenpost« ein Foto von Zimmermann

und mir: »PDS-Hahn erschießt Brandenburg«.

Im Landtagsalltag politische Gegenspieler – an den Wochenenden: »elf Freunde«?

Elf Freunde wäre zu viel gesagt. Aber auf dem Platz kann man ja nicht rufen: »Spielen Sie mir bitte mal den Ball zu!«, man duzt sich also. Die politischen Differenzen bleiben, trotzdem hat man ein anderes Verhältnis zueinander, wenn man gemeinsam auf dem Platz steht und nach dem Spiel ein Bier trinkt. Für die Medien haben wir uns manchmal ein Gaudi gemacht, indem ich als Rechtsaußen gespielt habe.

So viele Spiele, so viele Tore – klingt nach Naturtalent!?

Na, wir wolln’s mal nicht übertreiben. Wir hatten damals kein richtiges Training so wie heute mit Hütchen und Steigerungsläufen, im Training kickten wir zumeist. Ich spiele beidbeinig, gleichermaßen  links wie rechts. Deshalb konnte ich flexibel eingesetzt werden. Ich bin nie der Krafttyp gewesen, aber Mannschaftssportarten konnte ich gut: Handball, Fußball, Volleyball. Sport habe ich immer gern gemacht.

Du siehst – entschuldige die Feststellung – nicht ganz »stromlinienförmig« aus.

Na und? Früher hieß es ja auch immer: »kleines, dickes Müller« (Gerd Müller), und auch Maradona hatte kein Idealgewicht. Ich sage immer: Wenn man den Ball beherrscht, eine gute Schusstechnik hat und wenn man an der richtigen Stelle steht und trifft, ist das die Hauptsache.

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Bist du sehr ehrgeizig?

Der längeren Pause entnehme ich: ein bisschen schon.

Ganz ohne Ehrgeiz geht’s nicht, sonst kann man nicht erfolgreich sein. Wenn man Stürmer ist, will man auch Tore schießen, und »übersieht« manchmal den besser postierten Mitspieler.

Apropos sehen: Schaust du auch im Fernsehen Fußball?

Bis heute, wann immer es geht. Zum Leidweisen meiner Frau.

Was waren denn für dich herausragende Spiele?

Oft die Endspiele von Welt- oder Europameisterschaften, zum Beispiel das Finale 1978: Argentinien gegen Holland (3:1) mit Mario Kempes, der zwei Tore schoss – aber noch ohne Maradona. Die phantastische Atmosphäre im Stadion blieb mir in Erinnerung. Oder 1974: Bundesrepublik Deutschland gegen Holland (2:1).

1974, vor vierzig Jahren, gab‘s auch das einzige Länderspiel zwischen der BRD und der DDR (0:1), in Hamburg bei der WM. Wie hast du das erlebt?

In Neubrandenburg, zu Hause – Public Viewing gab es noch nicht. Ich erinnere mich genau: 78. Minute, Abwurf Croy auf Hamann, Pass auf Sparwasser – und Tor. Ich freute mich riesig; die Balkontüren in unserem Plattenbau gingen auf, die Leute jubelten, Sektkorken knallten. Hinterher hörte ich, dass auch manche für die Westdeutschen waren. Für mich als damals Elfjährigen kam das nicht in Frage, ich drückte unseren Jungs die Daumen, also der DDR-Elf.

Neben diesem gab es für mich drei weitere legendäre Spiele. Das erste konntest du noch nicht sehen: das WM-Viertelfinale 1966 zwischen dem krassen Außenseiter Nordkorea und Portugal. Die Nordkoreaner führten nach gut 20 Minuten sensationell 3:0 und verloren doch noch – auch wegen

vier Toren von Eusébio. Und, 1973, die Europacupspiele zwischen Bayern München und Dynamo Dresden (4:3, 3:3).

An diese Spiele erinnere ich mich auch, die waren wirklich sehr gut und extrem spannend.

Seit Herbst 2013 bist du Abgeordneter im Bundestag. Der FC Landtag ist damit für dich Geschichte. Hast du dich schon beim FC Bundestag, der vor allem aus CDU- und einigen SPD-Leuten besteht, angemeldet?

Noch nicht, das wird aber bald passieren; ich musste erst eine mehrmonatige Knöchelverletzung auskurieren. Da ich im FC Bundestag, zumindest im Moment, der einzige Oppositionspolitiker wäre, ist das für mich umso interessanter. Aber natürlich muss ich dort erst mal was zeigen und mir meinen Platz erkämpfen. Auch das Team unserer Fraktion (die »Roten Socken«) hat mich bereits angesprochen.

Zurück nach vorn: Wie bewertest du die WM-Chancen der deutschen Mannschaft?

Als erprobte Turniermannschaft gehört Deutschland zu den Favoriten. Löws Elf hat eine gute Chance, bis ins Halbfinale zu kommen. Ob es zu mehr reicht, muss man sehen. Ich bin da nicht so zuversichtlich. Irgendwo fehlt ein bisschen, obwohl ich einigen Spielern wie Klose den Titel gönnen würde.

Richtest auch du im Juni/Juli deinen Tagesplan nach dem Spielplan der WM?

Zumindest versuche ich das. In meinem Terminkalender sind alle Spiele vermerkt.

Gespräch: Stefan Richter

Das Interview können Sie auch unter diesem Link nachlesen.

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