Medien, Politik und ein Interview
Dass Medien Politiker bewerten, geschieht täglich; dass Politiker ganz offiziell einmal die gesamte Wochenendausgabe einer Zeitung auseinandernehmen dürfen, ist eher selten.
Gestern hatte ich dieses seltene Privileg, denn als Gast der Chefredaktion der „Leipziger Volkszeitung“ durfte ich an der vormittäglichen Blatt-Kritik teilnehmen und in der Runde der versammelten Ressortchefs und Redakteure für Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur, Lokales usw. meine Sicht auf die letzte Ausgabe der LVZ darstellen.
Für mich war das eine Premiere, zumal ich nicht wusste, wie ich dort empfangen werden würde. Ich habe zu allen wichtigen Zeitungsseiten meine Position dargestellt, ich habe interessante Artikel und Fotos gelobt, aber natürlich auch gesagt, wo ich grundsätzlich oder im Einzelnen kritische Anmerkungen zu machen hatte.
Als das – wie ich fand – sehr offene Gespräch nach fast einer Stunde beendet wurde, gingen wir in angenehmer Atmosphäre auseinander. Die LVZ ist ohne Zweifel eine renommierte überregionale Zeitung, deren politische Grundausrichtung jedoch wahrlich weder im linken noch im linksliberalen Spektrum zu suchen ist. Umso erstaunter war ich, als Chefredakteur Hilder sich nach der „Blatt-Kritik“ vor der versammelten Redaktion ausdrücklich bei mir bedankte und fast beiläufig anmerkte, dass er in dieser Runde bislang kaum einen Politiker hatte, der so gut vorbereitet war…
Nach der Blatt-Kritik folgte ein knapp zweistündiges Interview mit dem Chefredakteur und seinen zwei Stellvertretern zu allen wichtigen landespolitischen Themen, von dem natürlich heute nur Auszüge in der Zeitung abgedruckt werden konnten.
Nach dem Gespräch fuhr ich zurück nach Dresden zur Sitzung des Fraktionsvorstandes, in der es u.a. um die Vorbereitung der Landtagssitzungen in dieser Woche ging. Im Abschluss wartete ich auf die Übersendung der Textfassung des zur Veröffentlichung vorgesehenen Interviews, um es gegenzulesen und autorisieren zu können.
Doch das zog sich gehörig in die Länge, weshalb mein Folgetermin (eine Diskussionsrunde mit der Seniorenvertretung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft über die aktuelle politische Lage in Sachsen) gehörig ins Wanken geriet und erst mit knapp einer Stunde Verspätung beginnen konnte. Die sehr engagierte Gesprächsrunde endete dann gegen 23 Uhr.
Anstelle weiterer Details zum heutigen Tag hier nun der Wortlaut der LVZ-Interviews:
Landtagswahl: Hahn fordert TV-Duell mit Tillich
Leipzig. André Hahn, Fraktionschef der Linken im Landtag, hält eine rot-rot-grüne Koalition in Sachsen für eine realistische Option. Das sagte der Spitzenkandidat der Linken für die Landtagswahlen beim Redaktionsgespräch. Hahn äußerte sich auch zum Streit um den Umgang mit der DDR-Biographie von Ministerpräsident Stanislaw
Tillich (CDU) und zur Debatte um die DDR als Unrechtsstaat.
Frage: Eine Partei wie die Linke müsste doch von der Wirtschaftskrise profitieren. Ihre Umfrage-Werte stagnieren aber. Warum können Sie nicht zulegen?
André Hahn: Wir wollen keine Krisengewinnler sein, sondern für unsere Inhalte gewählt werden. Es ist jedoch so, dass manche Leute in unsicheren Zeiten eher den regierenden Parteien zuneigen, weil sie meinen, nur die könnten wirklich etwas bewegen.
Mit Ihren Themen dringen Sie auch kaum durch.
Viele Themen, die wir jahrelang als Alleinstellungsmerkmal hatten, sind jetzt auch von anderen Parteien entdeckt worden. Außer uns hatte niemand Finanzmarktkontrolle, Börsenumsatzsteuer und Manager-Gehälter thematisch im
Blick. Obwohl sie seit 1998 in der Bundesregierung sitzt, kümmert sich plötzlich nun auch die SPD intensiver um den Mindestlohn.
In Sachsen wirkt die SPD gemäßigt und hat sich in die Regierungskoalition besser als am Start eingefügt.
Die SPD hat ja momentan auch keine Alternativen. Deren Wahlziel 17 Prozent zeigt doch nur, dass sie selbst nicht daran glauben, vor uns zu liegen. Sie haben Angst, nach dem 30. August aus der Regierung mit der CDU zu fliegen, statt sich nach Alternativen umzusehen.
Da tut sich die SPD schwer.
Wenn es rechnerisch reicht, wird es in Sachsen Schwarz-Gelb geben. Da wundere ich mich schon, dass einige in der SPD immer noch denken, dass es bei besonderer Freundlichkeit in den letzten Monaten gegenüber der CDU wieder zu einer gemeinsamen Regierung kommen könnte.
Stehen Sie als Alternative für eine linke Koalition bereit?
Auf Bundesebene ist Rot-Rot-Grün nicht wirklich vorstellbar. In Sachsen ist es dagegen nicht nur realistisch, sondern auch wünschenswert. Nach fast 20 Jahren CDU an der Regierung ist es Zeit für einen politischen Wechsel. Die CDU kann sich in der Opposition erneuern, die Erfahrung wünsche ich ihr. Das ist harte Arbeit.
Ist es vorstellbar, dass die SPD Sie mit zum Ministerpräsidenten wählt?
Was wir in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern akzeptiert haben, dass müsste die SPD dann umgekehrt tun, wenn wir in Sachsen das bessere Ergebnis haben.
Würden Sie als Juniorpartner mit der SPD regieren?
Ich halte es für ausgeschlossen, dass die SPD in Sachsen vor uns liegt. Aber sollte der unwahrscheinliche Fall wirklich eintreten, wähle ich Thomas Jurk zum Ministerpräsidenten, denn mir geht es um Inhalte. Das erwarte ich auch umgekehrt. Eine Verweigerungshaltung der SPD wie in Thüringen kann ich nicht akzeptieren.
Was würden Sie als linke Regierung in Sachsen anders machen?
In der Bildung längeres gemeinsames Lernen, mehr Ganztagsschulen und kostenfreies Schulessen. Wir wollen auch mehr direkte Bürgerbeteiligungen. In der Wirtschaft würden wir an die erfolgreiche Politik von Ministerpräsident Biedenkopf aus den frühen 90er Jahren anknüpfen. Dort wäre auch ein Weg gefunden worden, wichtige Unternehmen wie Qimonda mit staatlicher Beteiligung zu erhalten. Das Land muss zudem die Klein- und mittelständischen Betriebe besser fördern.
Da stellen Sie Thomas Jurk, dem aktuellen SPD-Wirtschaftsminister, ein schlechtes Zeugnis aus.
Sein Spielraum ist ziemlich begrenzt. Aber den Spielraum, den er hat, nutzt er viel zu wenig.
Bei den Kandidaten für die Landtagswahl setzen Sie auf neue Kräfte. Viele prominente Gesichter verlassen die Fraktion, das sorgt für Unmut in den eigenen Reihen.
In der CDU verlässt mehr als die Hälfte die Fraktion, da findet ein kompletter Umbruch statt. Was bei uns dagegen läuft, ist ein geordneter Generationswechsel. Ein Drittel geht, zwei Drittel bleiben, das halte ich für völlig normal.
Wie viele Direktmandate wollen Sie holen?
Wir hatten vor fünf Jahren vier, mindestens das wollen wir wiederholen.
Die personelle Neuordnung wäre ja auch die Chance gewesen, auf ihren stasibelasteten Leipziger Abgeordneten Volker Külow zu verzichten. Volker Külow ist ein erfolgreicher Stadtvorsitzenden und im Landtag ein anerkannter Kulturpolitiker. Ich finde es merkwürdig, mit welch unterschiedlichen Maßstäben bei diesem Thema gemessen wird, wenn ich zum Beispiel an den von der CDU-hofierten Trompeter Ludwig Güttler denke.
Unterschiedlich wird auch über die DDR geurteilt. Für die Kanzlerin war sie ein Unrechtsstaat. Hat Angela Merkel recht?
Es ist klar, dass die DDR nach heutigem Verständnis kein Rechtsstaat war. Den Begriff Unrechtsstaat verwende ich trotzdem nicht. Die Bundesregierung selbst hat auf eine parlamentarische Anfrage erklärt, es gebe für den Begriff keine klare Definition, er sei eher eine moralische Bewertung. Unrechtsstaat hieße Unrecht von Anfang an. Es war aber legitim, nach dem zweiten Weltkrieg zu versuchen, in der DDR eine alternative Gesellschaft aufzubauen.
Die DDR war aus Ihrer Sicht weder Unrechtsstaat noch Rechtsstaat. Was war sie dann, eine Diktatur?
Die SED hat selber von der Diktatur des Proletariats gesprochen. Es war nur keine, sondern am Ende eine Diktatur des Politbüros.
Sie beklagen unterschiedliche Maßstäbe beim Beurteilen von DDR-Biographien. Aktuell gibt es um Ministerpräsident Stanislaw Tillich eine Debatte. Werfen auch Sie ihm seine Vergangenheit in der DDR-CDU vor?
Ich werfe ihm nicht seine Funktion zu DDR-Zeiten vor, sondern die Art und Weise, wie er heute damit umgeht. Der Streit vor Gericht um seine Personalakte läuft bis heute. Wenn man bedenkt, was es nach 1990 für Kriterien im öffentlichen Dienst gab, dann hätte Tillich vermutlich nicht mal Pförtner im Leipziger Rathaus werden können. Es sind Tausende wegen „belastender“, fehlender oder falscher Angaben im Personalfragebogen gekündigt worden.
Gehen Sie davon aus, dass Tillich falsche Angaben gemacht hat?
Das weiß ich nicht, aber es lässt sich doch wohl leicht beantworten, ob er eine Parteischule oder SED-Kaderschmiede besucht und dazu auch im Fragebogen gestanden hat. Das sollte er endlich offenlegen. Die Geheimniskrämerei macht die Sache nur schlimmer.
Sie heben die Blockpartei CDU auf eine Ebene mit der SED. Ist das nicht eine Verdrehung historischer Tatsachen?
Die SED hat sich selbst die führende Rolle zugeschrieben und auch ausgeübt. Die CDU besetzte aber in vielen Behörden wichtige Ämter. Sie kann jetzt nicht so tun, als hätte sie mit allem nichts zu tun gehabt. Uns wird immer die Vergangenheit vorgeworfen, von den sächsischen CDU-Ministern mit Ost-Herkunft haben aber alle
eine Vergangenheit als Blockflöte.
Die Vergangenheitsdebatte scheint Tillich jedenfalls nicht zu schaden. In Sympathie-Umfragen liegt er haushoch unter den Spitzenkandidaten in Front. Wie erklären Sie sich das?
Tillich fährt einen Kurs des Wegduckens. Er drückt sich immer, wenn es ernst wird. Von Richtlinienkompetenz ist nichts zu spüren. Auf Dauer wird er damit nicht durchkommen. Er hat auch keine Vision für Sachsen und versucht nur, schöne Bilder von sich produzieren zu lassen.
Bei Qimonda versucht er aber schon, das Blatt noch zu wenden.
Tillich macht Versprechungen wie nach dem Gespräch mit Putin. Und am Ende muss man kleinlaut einräumen, dass es keinerlei konkrete Anhaltspunkte für eine russische Beteiligung gibt. Das wäre bei Biedenkopf nicht passiert.
Trotz Ihrer Kritik, die CDU und Tillich halten in Umfragen ihr hohes Niveau, können sich sogar verbessern. Wie wollen Sie ihm Wahlkampf darauf reagieren?
Die Wähler müssen wissen, was sie von den Kandidaten zu halten haben. Deshalb wäre es wichtig, das zu machen, was in anderen Ländern und auf Bundesebene auch üblich ist. Ich fordere deswegen Tillich zu einem Fernsehduell heraus. Es soll dann beim MDR keine Wohlfühlatmosphäre herrschen mit gefälligen Fragen, sondern es müssen Argumente ausgetauscht werden, und Widerspruch muss möglich sein.
Gehen Sie wirklich davon aus, dass die CDU da mitmacht?
Wenn Tillich nicht feige ist, dann wird er sich dem stellen. Da hat auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen eine Verantwortung. Selbst in Bayern durfte SPD-Chef Maget als Herausforderer gegen CSU-Amtsinhaber Beckstein antreten. Ich verstehe nicht, warum das in Sachsen nicht möglich sein soll.
Interview: Bernd Hilder, André Böhmer, Anita Kecke
Ein Service der Leipziger Volkszeitung
vom 12. Mai 2009