Kronzeugenregelung reicht nicht für Kampf gegen Doping im Sport

Kronzeugenregelung reicht nicht für Kampf gegen Doping im Sport
Quelle: Bundestagsfraktion DIE LINKE

Mit der Einführung einer Kronzeugenregelung in das Anti-Doping-Gesetz hat sich die Koalition lediglich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Für DIE LINKE bleibt der Kampf gegen Doping im Sport eine dauerhafte Aufgabe im Spitzen- wie auch im Breitensport. Wir brauchen mehr Prävention und Aufklärung, und wir müssen viel genauer die Umstände und Ursachen bei den Doping-Fällen hinterfragen.


Rede des Abgeordneten Dr. André Hahn (DIE LINKE) im Bundestag am
22. April 2021 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Anti-Doping-Gesetzes, Drs. 19/28676

(Anrede)

Als besonders eilbedürftig hat die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf an den Bundestag überwiesen und nun wird er weit nach Mitternacht in erster Lesung debattiert bzw. werden die vorgesehenen Reden zu Protokoll gegeben.

Das Anti-Doping-Gesetz trat vor fünfeinhalb Jahren in Kraft. Als sportpolitischer Sprecher der LINKEN sprach ich zu diesem Gesetzentwurf in erster Lesung am 22. Mai 2015 und in der zweiten Lesung am 13. November 2015. Es lohnt sich, die damalige Diskussion zum Gesetz sowie zu dem Antrag mit dem Titel „Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen“, den DIE LINKE auf Drucksache 18/2308 bereits am 7. August 2014 einbrachte, nochmal nachzulesen.

Bereits damals verwies ich ebenso wie viele Sachverständige in den Anhörungen auf die Schwächen des Gesetzentwurfes. Im Ergebnis der Debatte enthielt sich DIE LINKE beim Anti-Doping-Gesetz der Stimme, der Antrag der LINKEN wurde von CDU/CSU, SPD und den Grünen abgelehnt.

Zu den Vorschlägen der Linken gehörte eine umfassende Aufklärungs- und Präventionsarbeit, vor allem bei Kinder und Jugendlichen, die Einführung eines neuen Straftatbestandes Sportbetrug in das Strafgesetzbuch, die Erweiterung bestehender Strafvorschriften für den Handel mit Dopingmitteln sowie der zwingende Entzug der Approbation für Ärztinnen und Ärzte, die nachweislich an Dopinganwendungen beteiligt waren. Pharmazeutische Unternehmen sollten verpflichtet werden, bei Produkten, welche zum Doping geeignet sind, entsprechende Warnhinweise auf den Verpackungen anzubringen. Und es ging um einen wirksamen Schutz von Whistleblowern, also wichtigen Hinweisgebern. All das haben die Koalitionsfraktionen abgelehnt.

Im Anti-Doping-Gesetz war bereits der Auftrag verankert, das Gesetz nach fünf Jahren zu evaluieren, allerdings leider nicht im umfänglichen Sinne, sondern nur hinsichtlich der Auswirkungen des Gesetzes auf die strafrechtlichen und strafprozessualen Aspekte. Hierzu legte die Bundesregierung am 10. Dezember 2020 einen Evaluationsbericht auf Drucksache 19/25090 vor, der im Sportausschuss am 16. Dezember 2020 beraten wurde. Mein Dank an dieser Stelle noch einmal an Prof. Dr. Elisa Hoven sowie Prof. Dr. Michael Kubiciel, die diese Evaluation in hervorragender Weise durchgeführt haben.

Fakt ist: Ohne die „Operation Aderlass“ mit Blutdoping bei Winter- und Radsportlern ist die Bilanz des Anti-Doping-Gesetzes äußerst dürftig. Die wenigen Verfahren liegen fast vollständig außerhalb des Spitzensports und betreffen sogenannte Bodybuilder, die nicht die Zielgruppe dieses Gesetzes sind, denn diese Personen schädigen zwar ihre Gesundheit, betrügen aber nicht andere Sportler und die Öffentlichkeit in einem sportlichen Wettbewerb.

Ist der Spitzensport in Deutschland also angesichts der minimalen Verfahren gegen selbstdopende Spitzensportler und deren Umfeld inzwischen sauber bzw. dopingfrei oder wird fleißig weiter gedopt, nur dass weder die NADA mit ihren Kontrollen noch Mitwisser und Mittäter dazu beitragen, Dopende bzw. deren Helferinnen und Helfer zu enttarnen?

Nun soll auf Vorschlag der Koalition das Anti-Doping-Gesetz in einem Punkt – durch Hinzufügung einer sogenannten Kronzeugenregelung – verändert werden.

Darüber kann man mit uns durchaus reden, aber ich würde schon gern wissen, warum sich von den vielen im Evaluationsbericht und in der Ausschussberatung diskutierten Punkten einzig die Kronzeugenregelung im Gesetzentwurf wieder findet? Nichts zum Thema der Schwerpunkstaatsanwaltschaften oder zu den Strafbarkeitseinschränkungen in § 4 Absatz 7 des Anti-Doping-Gesetzes. Haben Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, am 16. Dezember nicht zur Kenntnis genommen, dass die Kronzeugenregelung eher eine Frage der Symbolik und Kommunikation und eben nicht ein maßgebliches Instrument sein wird?

Der Gesetzentwurf liefert auf viele bekannte Fragen keine Antworten. Wie kann man Whistleblower besser schützen? Inwieweit müssen auch Sportgerichte bei der Festlegung ihres Strafmaßes sogenannten Kronzeugen entgegen kommen? Auch wird die im Gesetzentwurf auf Seite 2 unter Punkt c genannte Alternative, „durch Aufklärungskampagnen Sportlerinnen und Sportler gezielt über die allgemeinen Regelungen zur Honorierung von Aufklärungs- und Präventionshilfen zu informieren“ nicht weiter von der Bundesregierung verfolgt. Warum eigentlich nicht?

Die Koalition hat sich wie schon beim Anti-Doping-Gesetz aus dem Jahr 2015 lediglich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Das wird den Herausforderungen in diesem schwierigen Themenbereich nicht ansatzweise gerecht. Vielleicht sollten sich die drei beteiligtenBundesministerien auch mal einig werden, wer hier wirklich die Federführung bzw. Verantwortung trägt? Für uns ist der Gesetzentwurf jedenfalls nicht ausreichend und ich prophezeie, dass sich der Kampf gegen Doping im Sport damit nicht wirksamer gestalten lässt  – wenn nicht in den Ausschussberatungen noch deutlich nachgebessert wird.

Für DIE LINKE steht fest: Der Kampf gegen Doping im Sport bleibt eine dauerhafte Aufgabe im Spitzen- wie auch im organisierten und nichtorganisierten Breitensport. Wir brauchen deutlich mehr Prävention und Aufklärung, vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Und wir müssen viel genauer die Umstände und Ursachen bei den einzelnen Doping-Fällen hinterfragen, um die Sportverbände im Kampf gegen Doping aus der Politik heraus noch zielgerichteter unterstützen zu können.

Dazu gehört auch, die Geschichte des Dopings im Sport in der DDR wie in der alten  Bundesrepublik Deutschland wissenschaftlich und nicht weiter mit ideologisch gefärbten Brettern vor dem Kopf aufzuarbeiten, denn wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten, um hier mal ein geflügeltes Wort zu verwenden. Der Versuch von so manchen Politikern in diesem Haus, mit dem Doping-Thema den Sport der DDR, die Leistungen ihrer Sportlerinnen und Sportler sowie Trainerinnen und Trainer in Gänze zu delegitimieren oder gar kriminalisieren, war und ist der falsche Weg und mit Blick auf die Erkenntnisse zum organisierten Doping im Sport der alten BRD auch nicht gerechtfertigt.

Der Sport ist keine Insel im Ozean, sondern steht mitten drin in der Gesellschaft mit all ihren Problemen. Doping und Medikamentenmissbrauch unter Inkaufnahme gesundheitlicher Schäden findet nicht nur im Sport, sondern in vielen Bereichen der Gesellschaft statt, in der Schule, im Studium oder im Beruf. Wir dürfen nicht nur mit neuen Strafen drohen, sondern müssen auch offen über die Ursachen von Doping im Sport reden, über Strukturen und Rahmenbedingungen, über den bestehenden Erfolgs- und Leistungsdruck, über die Motive, Ängste und Zwänge. Nur dann wird der Sport weiterhin positive Werte wie die Erhaltung von Gesundheit, Leistungsbereitschaft, Fairness und Teamgeist verkörpern, nur dann werden sich Breiten- und Spitzensport gegenseitig befördern, und nur dann wird der Sport jene gesellschaftliche Bedeutung erlangen, von der wir hier im Bundestag immer wieder reden.

Im Spitzensport dreht sich fast alles um den Erfolg, damit verbunden auch um Geld und Ehre. Ohne Erfolg ist man ganz schnell draußen, auch in Deutschland ist das Förder-System ziemlich brutal und gnadenlos. Es geht um Millimeter und Zehntelsekunden. Bei gleichen natürlichen Voraussetzungen und selben Trainingsfleiß ist heute, um ganz vorn zu landen, ein ganzes Team von Trainern, Technikern und Medizinern erforderlich. Und der kleine Unterschied wird dann eben zum Teil durch die besseren Sportgeräte, legale oder auch unerlaubte Medikamente bzw. Dopingmethoden erreicht.

Immer wieder begegnen mir Stimmen, den Kampf gegen Doping im Sport könne man letztlich nicht gewinnen, deshalb sollte man allen das Dopen gestatten. Dem will ich ganz energisch widersprechen, auch wenn es durch die Erfindung immer neuer Substanzen manchmal wie der berühmte Wettkampf zwischen Hase und Igel aussieht. Gegen Doping, Korruption und Manipulation im Sport müssen wir, die Sportverbände, die Politik und die Gesellschaft gemeinsam vorgehen, mit null Toleranz, national wie international.

Ich halte nach wie vor für wichtig, auch auf Bundesebene Prävention zu betreiben, dennDoping gefährdet die Gesundheit. Aus meiner Sicht muss im Jugend- und Nachwuchssport, im Fitnessbereich sowie in der Aus- und Weiterbildung der in diesem Umfeld tätigen Personen über die Wirkung von anabolen Steroiden, Nahrungsergänzungsmitteln und sporttypischen Aufbaupräparaten ebenso aufgeklärt werden wie über den Ge- bzw. Missbrauch von Alkohol, Nikotin, Medikamenten oder anderen legalen Drogen.Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung darf sich hier nicht länger einen schlanken Fuß machen.

Und wir brauchen eine wirklich unabhängige Ombudsstelle, an die sich Athleten, Trainer, Ärzte oder auch Eltern von Sportlern vertrauensvoll wenden können. Die bei der NADA geschaffene Stelle, auf die immer wieder verwiesen wird, wird von Betroffenen offenkundig unzureichend angenommen. Das betrifft im Übrigen auch Sportlerinnen und Sportler, die wie der Ringer Peter O. zu Unrecht des Dopings bezichtigt und bis zur erwiesenen Unschuld massive persönliche Einschränkungen und finanzielle Benachteiligungen erleiden und dann lange kämpfen müssen, um wenigstens teilweise dafür entschädigt zu werden.

Es geht also um deutlich mehr als nur die Einführung einer Kronzeugenregelung!