Ist die AfD die neue Ostpartei, Herr Hahn?

Der Linke-Abgeordnete André Hahn sieht seine Partei trotz Verlusten als „entschiedenste Vertreterin“ des Ostens.

Herr Hahn, das schlechte Abschneiden der Linken erklärt sich nach einer Infratest-Erhebung auch dadurch, dass die Partei rund 800.000 Wählerinnen und Wähler an die SPD und mehr als 600.000 an die Grünen verloren hat. Weshalb?

Viele Menschen wollten nach 16 Jahren CDU/CSU-Herrschaft einen politischen Wechsel und waren offenbar der Ansicht, dass sie dafür den Kanzlerkandidaten der SPD und die Grünen mit ihrem ökologischen Profil stärken müssten. Die SPD hat im Wahlkampf zentrale Forderungen der Linken kopiert, deren Realisierung nun allerdings in den Sternen steht. Die mediale Berichterstattung konzentrierte sich zudem extrem auf die drei Kandidaten fürs Kanzleramt.

Hätte die Linke den Regierungsanspruch früher und deutlicher formulieren müssen?

Bei Wahlen entscheiden zunächst die Bürger, und erst dann geht es um die Regierungsbildung. Es gab kurz vor der Wahl in Umfragen tatsächlich eine theoretische Mehrheit für SPD, Grüne und Linke. Wir haben immer gesagt, dass wir dafür offen sind, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen und wir wichtige Positionen durchsetzen können, wie eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns, ein gerechteres Steuersystem, die Angleichung der Renten Ost an das Westniveau, einen Deckel für Mieterhöhungen, für friedliche Lösungen internationaler Konflikte und das Verbot von Rüstungsexporten, insbesondere in Kriegs- und Krisengebiete. Insofern war es richtig zu signalisieren, dass ein wirklicher Politikwechsel an der Linken nicht scheitern wird.

Wie schätzen Sie die Debatte um Sahra Wagenknecht ein, die interne Kritik wegen ihres Kurses etwa in der Migrationspolitik auf sich zieht. Sören Pellmann trat mit ihr auf und gewann das Direktmandat.

Ich fand den Zeitpunkt des Erscheinens des jüngsten Buches von Sahra, an dem ich einige Kritik habe, so kurz vor der Wahl nicht hilfreich. Die nachfolgenden Debatten bis hin zu Ausschlussanträgen allerdings auch nicht. Sahra Wagenknecht ist eines der bekanntesten Gesichter der Linken, war Spitzenkandidatin in NRW, ist jetzt wieder meine Abgeordnetenkollegin, und ich hoffe auf eine gute Zusammenarbeit in der neuen Fraktion. Auch in meinem Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ist sie wie unsere Partei- oder Fraktionsvorsitzenden jederzeit willkommen.

Glauben Sie, dass die Afghanistan-Abstimmung – mehrere Linken-Abgeordnete enthielten sich nicht, sondern stimmten gegen die Evakuierung – der Partei geschadet hat?

Geholfen hat uns die Debatte darüber sicher nicht, vor allem als man versuchte, auch seitens von Olaf Scholz, uns den Malus der Unzuverlässigkeit anzuhängen, wenn es eine Beteiligung der Linken an einer Regierung gäbe. Besonders geärgert hat mich, dass dabei ignoriert wurde, dass es die Linke war, die als einzige Partei im Bundestag von Anfang an gegen den Afghanistan-Einsatz war und letztlich recht behalten hat, bis hin zum völlig chaotischen Abzug der Nato. Keiner unserer Abgeordneten war gegen eine Evakuierung der deutschen Staatsbürger oder der Ortskräfte, die für deutsche Hilfsorganisationen oder auch für die Bundeswehr tätig waren und jetzt um Leib und Leben fürchten müssen. Im Gegenteil: Wir hatten bereits im Juni deren Rettung beantragt, was Union und SPD ablehnten. Zum Zeitpunkt der fraglichen Abstimmung waren die Bundeswehrkräfte per Eilentscheidung der Regierung ohnehin bereits in Afghanistan, sodass ein Parlamentsbeschluss mit fragwürdigem Mandat einen Tag vor dem Abzug völlig unnötig war.

Wie machen Sie künftig deutlich, wofür die Linke steht? Wie wird die Partei wieder attraktiv für Alleinerziehende und andere Einkommensschwache?

Ich habe im Wahlkampf den Eindruck gehabt, dass viele Menschen schon wissen, dass unsere programmatischen Forderungen eigentlich ihren objektiven Interessen entsprechen. Sie hatten und haben aber offenbar Zweifel daran, dass wir diese im Bundestag auch wirklich durchsetzen können, erst recht, wenn wir nun wieder Oppositionspartei sind, was ja zuletzt nicht mehr wirklich überraschend war. Dennoch haben wir eine ganz wichtige Funktion im Parlament, egal wie die Regierungsbildung ausgeht. Die SPD hat ganz viele richtige soziale Dinge von Mindestlohn bis Vermögenssteuer auf ihren Wahlplakaten versprochen, aber ich habe erhebliche Zweifel, ob sie dies in einer Ampel-Koalition mit der FDP auch nur ansatzweise umsetzen kann. Wenn das so eintritt, wie ich es befürchte, wird die SPD wieder auf ihre Umfragewerte von vor ein paar Monaten abstürzen und vielen Leuten klar werden, dass es ohne die Linke in einer Bundesregierung keinen wirklichen Politikwechsel geben wird. Dann werden wir auch wieder zulegen.

Hat die AfD die Linke als Ostpartei abgelöst?

Mit Verlaub, das ist Quatsch. Wir als Linke bleiben die entschiedenste Vertreterin der Menschen in den neuen Bundesländern. Ich habe schon einige Punkte genannt, für die wir uns eingesetzt haben und weiter einsetzen werden. Es darf doch nicht so bleiben, dass die Löhne für gleiche Arbeit im Osten im Schnitt immer noch 20 Prozent niedriger sind als im Westen und es in wichtigen Führungspositionen in Hochschulen, der Justiz oder auch der Bundesregierung nahezu keine Menschen mit ostdeutscher Biographie gibt. Wer sich die Gesetzentwürfe und Anträge im Bundestag ansieht, wird ganz schnell feststellen, wer sich bei diesen Themen wirklich engagiert. Die AfD ist hier ein Totalausfall.

Unterstützen Sie Herrn Pellmann, falls er als Fraktionschef kandidiert?

Der Gewinn seines Wahlkreises hat die Existenz der Linken als Fraktion im Bundestag gesichert. Ich habe Sören Pellmann immer gern unterstützt, auch dadurch, dass ich auf eine Kandidatur für den zweiten Platz auf der Landesliste verzichtet habe, den ich zuvor innehatte. In der Fraktion müssen wir jetzt erst einmal die Gründe für unsere Niederlage bei der Wahl analysieren. Danach kommen die Personalentscheidungen, wobei ich nicht davon ausgehe, dass Sören Pellmann nach dem Fraktionsvorsitz strebt. Er ist in Leipzig fest verankert, nicht nur mit dem Direktmandat, sondern auch als Vorsitzender der linken Fraktion im Stadtrat. Ich denke: Das ist auch gut so.

  • André Hahn wurde 1963 in Berlin-Friedrichshain geboren und lebt in der Sächsischen Schweiz.
  • Der gelernte Schriftsetzer absolvierte ein Lehramtsstudium in Berlin, später ein Politikwissenschaftsstudium. Er ist promoviert.
  • 1985 trat er in die SED ein, 1990 war er Mitglied des runden Tisches der DDR.
  • Ab 1994 war Hahn sächsischer Landtagsabgeordneter der PDS, später Fraktionschef und Oppositionsführer.
  • 2013 kandidierte er erfolgreich für den Bundestag, dem der Linkenpolitiker seither angehört.

Quelle: Sächsische Zeitung vom 30.9.21, Thilo Alexe