„Ich wünsche mir grundsätzlich mehr Transparenz“
Interview in der Mitteldeutschen Zeitung, von Markus Decker
Quelle: http://www.mz-web.de/politik/
André Hahn wurde zum Vorsitzenden des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) des Bundestags gewählt. Damit wird die parlamentarische Überwachung der deutschen Geheimdienste erstmals von einem Abgeordneten der Linkspartei angeführt.
HALLE (SAALE).
Herr Hahn, Sie sind der erste Linke, der den Vorsitz im Parlamentarischen Kontrollgremium übernimmt. Werden Sie jetzt eine Art Edward Snowden des Bundestages?
Hahn: Darum geht es nicht. Ich muss mich auch als Vorsitzender an die geltenden Gesetze und Geheimhaltungsvorschriften halten. Allerdings wünsche ich mir grundsätzlich mehr Transparenz. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass das Parlament die Chefs der Nachrichtendienste ein- oder zweimal im Jahr öffentlich befragen kann – wie in den USA. Die Bürger würden dann erfahren, mit welchen Themen sich die Dienste befassen und dass die Abgeordneten tatsächlich kontrollieren. Dafür müssten Gesetze geändert werden. Hier haben wir als Linke klare Vorstellungen.
Und die wollen Sie in den Bundestag einbringen?
Hahn: Wir hegen ja grundsätzliche Zweifel an der Notwendigkeit von Geheimdiensten. Aber wir sind auch Realisten und wissen, dass es dafür keine Mehrheiten gibt. Deshalb versuchen wir, wenigstens die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen und die Rechte des Parlamentarischen Kontrollgremiums zu stärken. Hier braucht es ebenso gesetzliche Korrekturen wie beim BND-Gesetz, weil bestimmte Aktivitäten des BND offenbar keine Rechtsgrundlage haben, wie hochrangige Verfassungsrechtler feststellten. Und es ist doch ein absurder Vorgang, dass Teile der Linken immer noch vom Verfassungsschutz beobachtet werden, während der Verfassungsschutz andererseits nicht mal ansatzweise in der Lage ist, verbrecherische Strukturen wie den Nationalsozialistischen Untergrund aufzuklären. Damit stellt er seine Existenzberechtigung selbst infrage.
Was genau sollte denn in dem neuen BND-Gesetz drinstehen?
Hahn: Es gibt zum Beispiel keine rechtliche Grundlage für das Abschöpfen von Satelliten oder das Abhören eigentlich geschützter deutscher Bürger im Ausland. Hier erfand der BND dann die so genannte Funktionsträger-Theorie. Es gibt da eine ganze Reihe von Ungereimtheiten.
Sie gelten als seriös und gehören eher zu den Reformern in der Linken. Die Radikalen in Ihrer Partei erwarten aber wohl, dass Sie den Vorsitz dazu nutzen, um schon jetzt an der Demontage der Geheimdienste zu arbeiten. Wie wollen Sie diesen Spagat denn schaffen?
Hahn: Ich arbeite nicht an der Demontage der Geheimdienste, sondern an der Verbesserung ihrer Kontrolle. Im Übrigen wissen alle Mitglieder der Linken, wie die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und damit auch im PKGr sind. Wir streiten gleichwohl für gesetzliche Änderungen. Sie haben eingangs Edward Snowden angesprochen. Ein deutscher Whistleblower, der Missstände aufdecken will, darf sich derzeit zwar an das PKGr oder einzelne Mitglieder wenden; allerdings muss er zugleich seinen Vorgesetzten informieren. Da brauchen wir nicht darüber reden, wie oft das passiert. Man sollte also den Nachsatz streichen.
Was wollen Sie zur Verbesserung der Kontrolle noch tun?
Hahn: Ein PKGr-Mitglied darf nicht mal seinen Fraktionsvorsitzenden über einen brisanten Vorgang in Kenntnis setzen. Das muss sich ändern, denn ich bin doch nicht als Privatperson in diesem Gremium, sondern für meine Fraktion. Nach dem NSU-Skandal muss zudem endlich die V-Leute-Praxis überprüft werden. Die neue Regierung in Thüringen hat ja hier erste Konsequenzen gezogen. Und auch wenn wir als Linke Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnen, müssen wir darüber reden, wie der Schutz deutscher Soldaten oder von Entführungsopfern im Ausland und der Schutz vor Terroranschlägen gewährleistet werden kann.
Das heißt, Geheimdienste haben schon ihre Berechtigung, müssen aber auf ihre Kernaufgaben zurückgeführt werden?
Hahn: Nein, die Aufgaben müssen erfüllt werden. Dass das immer mit nachrichtendienstlichen Mitteln erfolgen muss, ist für uns nicht zwingend.
Das Kanzleramt hat zuletzt wegen Geheimnisverrats Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet, um undichte Stellen zu schließen. Empfinden Sie die Anzeige als Einschüchterung der Parlamentarier, als die sie viele verstanden haben?
Hahn: Ich weiß nicht, ob die Anzeige förmlich eingereicht wurde. Aber das ist jedenfalls ein eigentümlicher Umgang mit dem Parlament, denn es entsteht schon der Eindruck, dass hier unabhängige Abgeordnete eingeschüchtert werden sollen. Um es klar zu sagen: Ich lasse mich von niemandem einschüchtern. Im Übrigen hat es diverse Vorgänge gegeben, bei denen die Indiskretionen garantiert nicht von Abgeordneten kamen. Denn diese Informationen wurden schon bekannt, bevor sie das Parlament überhaupt erreicht hatten.
Sie sitzen auch im NSA-Untersuchungsausschuss, wo die Arbeit allerdings nicht so recht vorankommt, unter anderem weil der Kronzeuge Edward Snowden nicht gehört werden kann, Akten gar nicht oder geschwärzt eintreffen und BND-Mitarbeiter mauern. Wie lässt sich denn verhindern, dass die Aufklärung vollkommen versackt?
Hahn: Die Blockade durch die Bundesregierung ist völlig inakzeptabel. Dass die Aufklärung aber völlig versackt, glaube ich nicht mehr – auch wenn ich mit manchem unzufrieden bin. So wissen wir schon jetzt, dass massenhaft Daten abgeschöpft, Leitungen angezapft und Grundrechte verletzt wurden. Auch sind die dafür politisch Verantwortlichen bislang gar nicht gehört worden. Es wird also noch sehr interessante Sitzungen geben.
Sie sind nun für ein Jahr quasi oberster Aufklärer der Republik. Sind Sie eigentlich sicher, dass Sie nicht selbst aufgeklärt, sprich: abgehört werden?
Hahn: Das kann ich nicht beurteilen – auch wenn es durchaus einige Anhaltspunkte gibt, über die ich hier jetzt nicht sprechen möchte. Im Übrigen bin ich nicht der oberste Aufklärer, sondern der neue Vorsitzende des Kontrollgremiums. Allerdings ist es schon etwas Besonderes, dass das erstmals ein Linker macht.
Wenn Sie von gewissen Anhaltspunkten sprechen: Treffen Sie Vorkehrungen dagegen? Führen Sie gewisse Gespräche nur noch im Wald oder dergleichen?
Hahn: Im Wald vielleicht nicht. Aber man überlegt sich schon, welche Dinge man am Telefon sagt und welche nicht. Das ist leider so. Ich habe bisher noch kein Krypto-Handy, weil das nichts nützt, so lange der jeweilige Gesprächspartner nicht auch eins hat. Absolute Sicherheit gibt es nicht. Doch es geht nicht vorrangig um meine Person. Die Snowden-Enthüllungen liegen jetzt 18 Monate zurück, und die Amerikaner und Briten spionieren hier in Deutschland ungeniert weiter, ohne dass die Merkel-Regierung erkennbar etwas für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger tut. Hier muss sich dringend etwas ändern. (mz)