Horst Köhler bleibt Bundespräsident, aber DIE LINKE ist der heimliche Sieger

Die Bundespräsidentenwahl am 23. Mai wurde richtig spannend, wie angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse auch nicht anders zu erwarten. Dass Horst Köhler schon im ersten Wahlgang wiedergewählt wurde, war allerdings nicht selbstverständlich, und das Ergebnis war ja auch denkbar knapp. Köhler erhielt genau jene 613 Stimmen, die er brauchte; eine weniger, und es hätte einen zweiten Wahlgang gegeben…

Für mich, für uns (denn meine Frau begleitete mich auch nach Berlin) begann die Bundesversammlung eigentlich schon am Vorabend, als sich die Delegation der LINKEN in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg zu ihrer Vorberatung traf. Es war eine sehr angenehme Stimmung und wir hatten viele gute Gespräche, unter anderem mit dem von uns nominierten Wahlmann Uwe Steimle, dem bekannten Schauspieler und Kabarettisten, der an unserem Sachsen-Tisch saß.
Lothar Bisky und Gregor Gysi machten in ihren Reden noch einmal deutlich, worum es am kommenden Tag geht – obwohl das natürlich alle wussten – und warben darum, dass auch wirklich alle Vertreter/innen in der Bundesversammlung ihre Stimme für unseren Kandidaten Peter Sodann abgeben. Dessen Kandidatur war ja nicht gänzlich unumstritten und insbesondere die Medien sind mit ihm ja auch alles andere als fair umgegangen. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass Peter Sodann in der Bundesversammlung am Ende sogar zwei Stimmen mehr erhielt als DIE LINKE überhaupt an Vertretern stellte. Das gelang keiner anderen Partei, und insofern können wir mit dem Wahlergebnis durchaus zufrieden sein.

Ein Wahlgang in der Bundesversammlung dauert im Regelfall ca. anderthalb Stunden, denn alle 1.224 Wahlmänner und -frauen werden in alphabetischer Reihenfolge namentlich aufgerufen. Nachdem ich gewählt hatte, fuhr ich mit dem Fahrstuhl in die Fraktionsebene des alten Reichstags und nutzte die Zeit, mit meiner Frau, die bislang noch nie im heutigen Bundestag war, in die wirklich spektakuläre Kuppel des Gebäudes hinaufzugehen, von wo man einen beeindruckenden Blick über die Hauptstadt hat und die wichtigen Symbole sowohl vom Ost- wie vom Westteil Berlins sehen kann.

Zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses ging ich dann natürlich wieder in den Plenarsaal, doch Sache zog sich dann doch ziemlich hin und war auch von mehreren Pannen behaftet. Aufgrund des äußerst knappen Ergebnisses musste mehrfach nachgezählt werden. Irgendwie sickerte aus der Zahlkommission, die aus den Schriftführern des Bundestages bestand, dann doch etwas durch. Das erste, was wir erfuhren, war dass Peter Sodann mehr Stimmen bekam als wir Sitze hatten. Dann gab es das Gerücht, Köhler hätte mit 613 Stimmen gerade so die im ersten Wahlgang erforderliche absolute Mehrheit erhalten, aber ganz sicher war sich wohl niemand, wie auch die Unruhe bei CDU und CSU zeigte.
Nachdem die Wahlkommission das Ergebnis dann offiziell festgestellt hatte, hätte der Tagungsleiter, Bundestagspräsident Lamert, eigentlich zunächst die Bundesversammlung förmlich informieren müssen. Stattdessen wurden zunächst die Musiker in den Plenarsaal geschickt, die üblicherweise am Ende der Veranstaltung die Nationalhymne spielen sollten. Damit war im Prinzip schon vor Bekanntgabe des Ergebnisses klar, dass es keine weiteren Wahlgänge geben würde. Da bei vier Kandidaten im ersten Wahlgang nur Horst Köhler eine reale Chance auf eine absolute Mehrheit hatte, gab es beim Einmarsch der Musiker tosenden Beifall bei der Union und teilweise bei der FDP. Es war ein bislang noch nie dagewesener Affront gegenüber der Bundesversammlung, dass es schon Jubelorgien für den gewählten Präsidenten gab, bevor das Resultat der Wahl tatsächlich bekannt gegeben worden war.
Die nächste Panne gab es, als die Saalboten schon Blumen in den Saal hereinbringen wollten, damit die Delegationsleiter der Parteien dem neuen/alten Bundespräsidenten gratulieren konnten.
Frau Merkel und Herr Westerwelle schickten die Damen des Saaldienstes empört zurück, weil ja das Wahlergebnis noch gar offiziell war.

Was wir nicht wussten, war, dass der Bundestagspräsident zu diesem Zeitpunkt vor dem Haus auf die Ankunft von Horst Köhler wartete, der den Ausgang der Wahl nicht im alten Reichstag, sondern in seinem Amtssitz Schloß Bellevue verfolgt hatte, und einige Zeit benötigte, um wieder in den Bundestag zu kommen. Dort aber passierte dann der nächste Fauxpas. Lamert betrat den Sitzungssaal der Bundesversammlung fast zeitgleich mit Horst Köhler, dessen Wahl auch jetzt noch gar nicht verkündigt war.
Die Bekanntgabe des Ergebnisses war dann nur noch ein formaler Akt, und der wiedergewählte Bundespräsident hielt im Anschluss wohl eine der schwächsten und inhaltärmsten Antrittsreden, die ein deutsches Staatsoberhaupt seit 1949 je gehalten hat.
Ich persönlich hatte auch nicht viel mehr erwartet, zumal ich es angesichts der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise ebenso bezeichnend wie problematisch finde, dass gerade ein ehemaliger Banker weiter das höchste Amt in unserem Staat inne hat.

Nach dem Abschluss der Bundesversammlung gab es dann noch einem Empfang des Bundestagspräsidenten, doch viele Vertreter waren da schon weg. Insbesondere mehrere Ministerpräsidenten hatten offenbar nichts Wichtigeres zu tun, als möglichst schnell zum Flughafen zu kommen, damit sie wenigstens noch zum Ende der Partien am letzten Spieltag der Fußball-Bundesliga vor Ort sein konnten, um entweder mit zu feiern oder auch zu trösten. Der Wahlkampf lässt eben grüßen…
Aber auch in den Fraktionsräumen der Linken wurde nach dem Ende der Bundesversammlung von Phoenix auf Premiere umgeschaltet, um die Schlussphase der Bundesliga verfolgen zu können. Da andere Fraktionen technisch offenbar nicht so gut vorbereitet waren, „verirrten“ sich auch Grüne und selbst CDU-Abgeordnete in die Räume der LINKEN, um die Bundesliga zu verfolgen.
Zum Ausgang gab es naturgemäß unterschiedliche Meinungen. Ich persönlich hätte jedenfalls vor Jahresfrist keinen Cent darauf gewettet, dass der VfL Wolfburg deutscher Meister wird. Gefreut habe ich mich, dass Energie Cottbus entgegen allen Unkenrufen nun doch nicht abgestiegen ist, sondern die Chance hat, über die Relegationsspiele den Klassenerhalt zu schaffen.

Im Anschluss an die Fußball-Übertragung beschlossen mein Landtagskollege Horst Wehner, meine Frau und ich, dass wir noch kurz auf dem Volksfest zum 60. Jahrestag der Bundesrepublik am Brandenburger Tor vorbei schauen. Doch das gestaltete sich komplizierter als erwartet, denn mehrere zehntausend Besucher hatten sich auf der Straße des 17. Juni versammelt.
Gemeinsam mit Horst Wehner, der nach einem schweren Unfall auf einen Rollstuhl angewiesen ist, versuchten wir, uns einen Weg durch die Menschenmassen zu bahnen. Plötzlich sahen wir eine kleine Rampe und dachten, darüber auf die andere Seite der Straße zu kommen. Die unten stehenden Polizisten waren ob des Rollstuhls offenbar ein wenig irritiert und ließen uns aber anstandslos passieren, wohl auch, weil wir noch immer unsere Kärtchen mit der Aufschrift „Mitglied der Bundesversammlung“ am Jackett trugen.
Doch am Ende der Rampe ging es nicht auf die andere Straßenseite, sondern wir befanden uns plötzlich auf der Ehrentribüne der Bundesregierung. Wir waren zwar dorthin nicht eingeladen, aber wollten nun auch nicht wieder zurückgehen. Horst Wehner fand sich mit seinem Rollstuhl nun neben Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Wenige Plätze weiter saß der wieder gewählte Bundespräsident Horst Köhler mit seiner Frau sowie Angela Merkel mit ihrem Gatten. Fast das gesamte Bundeskabinett war vertreten, aber zum Beispiel auch Guido Westerwelle mit seinem Lebensgefährten, Frau Roth und Frau Künast von den Grünen, Theo Waigel und Erwin Huber von der CSU, aber auch Prominente außerhalb der Politik wie Iris Berben und Alice Schwarzer.
Das Berliner Symphonieorchester unter Daniel Barenboim intonierte in beeindruckender Art und Weise die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Die Textzeilen „Freude schöner Götterfunken“ und „Alle Menschen werden Brüder“ passten gut zum feierlichen Anlass, auch wenn wir wissen, dass zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit bei uns in Deutschland immer noch Welten liegen. Dieses Kultur-Erlebnis war gleichwohl ein guter und würdiger Abschluss der Bundesversammlung.

Am Sonntag schließlich ging es dann zurück nach Sachsen. Aber noch immer nicht nach Hause, sondern zunächst nach Heidenau, wo ich für knapp vier Stunden zum Stadtfest an einem Wahlkampfstand der LINKEN gemeinsam mit kommunalen Kandidaten für Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stand. Bei strahlendem Sonnenschein war es ein schöner Abschluss dieser Woche.

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