„Wir fordern die Auflösung der Geheimdienste“
»Wir fordern die Auflösung der Geheimdienste«
Linksfraktion im Bundestag will mehr Kontrolle der Geheimdienste und diese letztlich abschaffen.
Sie vertreten die Linksfraktion in dieser Legislaturperiode im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) des Bundestages. Glauben Sie nach all den Enthüllungen der vergangenen Monate und Jahre – Stichworte: NSU und NSA –, daß sich die Geheimdienste von einer Handvoll Parlamentarier tatsächlich kontrollieren lassen werden?
Nein, das glaube ich nicht. Ich gehe zwar mit einigen Erwartungen an die Arbeit als Mitglied des Gremiums, aber ohne Illusionen. In den USA sind die Kontrollinstanzen deutlich größer, dennoch haben sie nicht verhindern können, daß sich die NSA weitgehend verselbständigt und Gesetze im Inland wie im Ausland über Jahre hinweg verletzt hat. Millionen völlig unbescholtener Menschen in aller Welt und auch hier in Deutschland werden ausgespäht, und – nach dem, was bisher bekannt ist – es wird auch Wirtschaftsspionage betrieben. Mit dem »Kampf gegen den Terror« hat all das nicht das Geringste zu tun.
Sie sind unter Strafandrohung zur Verschwiegenheit über die im PKG behandelten Vorgänge verpflichtet. Wie können Sie dann Gesetzesverstöße der Geheimdienste thematisieren?
Gegenwärtig ringen wir gerade um eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen der Geheimdienstkontrolle sowie der Geschäftsordnung des dafür zuständigen Gremiums. Dabei geht es auch darum, ob es künftig öffentliche Sitzungen des Ausschusses gibt oder zumindest öffentlich gerügt werden darf, wenn die Dienste nachweisbar falsche Angaben gemacht haben oder Auskünfte zu wichtigen Fragen verweigern. Zudem soll es einen Stab von wissenschaftlichen Mitarbeitern geben, der dem Kontrollgremium zuarbeitet und auch Prüfäufträge einzelner Mitglieder umsetzen soll. Ob das in der Praxis funktioniert, muß sich noch erweisen.
Ist es nicht eine Illusion, wenn man meint, Geheimdienste ließen sich kontrollieren?
Ich denke, meine Skepsis habe ich klar artikuliert. Deshalb fordern wir als Linke ja auf längere Sicht die Abschaffung bzw. Auflösung der Geheimdienste. Wie das konkret umgesetzt werden könnte, werden wir auch in der Bundestagsfraktion diskutieren. Wohl wissend, daß unter den aktuellen Mehrheitsverhältnissen im Bundestag unsere Maximalforderung nicht realisierbar ist. Gleichwohl bleiben wir bei unserer Position und werden darauf hinarbeiten, daß wir unserem Ziel Stück für Stück näher kommen. Warum soll das, was uns beim Kampf um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns gelungen ist, nicht auch beim Thema »Geheimdienste « gelingen?
Woran denken Sie dabei genau? Und wie wollen Sie der Forderung Ihrer Partei, den Verfassungsschutz aufzulösen, Nachdruck verleihen?
Die Skandale um das Versagen der Geheimdienste im Zusammenhang mit den Morden des NSU und den angeblich nicht bekannten Ausspähaktivitäten des NSA bis hin zum Handy der Bundeskanzlerin haben in weiten Teilen der Bevölkerung zu einem dramatischen Anwachsen des Mißtrauens gegenüber Geheimdiensten geführt. Insbesondere die Spionageabwehr hat offenkundig vollständig versagt. Selbst gutbürgerliche Medien sprechen von einer Delegitimierung der Nachrichtendienste, für die vor allem diese selbst verantwortlich seien. Deshalb gibt es eine große gesellschaftliche Offenheit dafür, die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Befugnisse der Geheimdienste spürbar zu begrenzen: Erweiterung
der parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten, Abschaffung der unsäglichen V-Leute-Praxis,
deutliche Reduzierung der Haushaltsmittel für die Geheimdienste. Denn egal, wie man zu ihnen steht, insbesondere in den vergangenen Jahren sind sie den Nachweis ihrer
Existenzberechtigung weitgehend schuldig geblieben. Selbst die FDP hat ja in der vergangenen Wahlperiode laut über die Auflösung des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) nachgedacht.
In der Bundesrepublik sind insgesamt 16 Landesämter und ein Bundesamt für Verfassungsschutz, der MAD der Bundeswehr, der Bundesnachrichtendienst sowie verschiedene andere Sicherheitsbehörden mit der Ausspähung der Bürger betraut. Wie verträgt sich diese massive Überwachung mit einer vermeintlich demokratischen Gesellschaft?
Gar nicht, und genau deshalb müssen wir dringend etwas ändern!
Interview: Markus Bernhardt
Junge Welt, 07.02.2014