SOE: Abschiebung scheitert an Flug-Überbuchung

Eine tschetschenische Familie aus Königstein sollte per Flieger nach Moskau abgeschoben werden. Am Ende ging es wieder zurück in die Sächsische Schweiz.

Die Vollzieher der sächsischen Abschiebepolitik kamen wieder einmal in der Dunkelheit. Am Montagabend musste eine sechsköpfige tschetschenische Familie in Königstein ihre Sachen packen. Der Polizeibus fuhr sie erst nach Dresden, dann nach Berlin zum Flughafen. Um 7.20 Uhr sollte das Flugzeug sie von Berlin nach Moskau bringen. Am Dienstagnachmittag war die Familie zurück in Königstein. Im Flugzeug waren keine Plätze mehr frei, es war überbucht.

„Das grenzt an Psychoterror, da fehlen einem die Worte“, sagt Anja Oehm. Sie kümmert sich als Patin um die Familie. Wieder sei eine Familie mit vier „hervorragend integrierten Kindern brutal abgeschoben“ worden. Dass sie nun wieder zurück sind, mache es nicht besser. Der Fall liegt damit etwas anders als bei der georgischen Familie aus Pirna, die zunächst abgeschoben wurde, inzwischen aber zurückgekehrt ist. Aber: „Diese sächsische Abschiebepraxis ist so nicht mehr hinnehmbar“, sagt Anja Oehm.

„Unmenschlich, würdelos, unverantwortbar“

„Es war traumatisch für alle“, sagt Anja Oehm, die vom Eintreffen der Polizei bis zur Abfahrt dabei war. Eine weitere Frau unterstützte die Familie. Sie möchte nicht namentlich genannt werden, weil sie berufliche Nachteile befürchtet. „Die Beamten verhielten sich korrekt, halfen und ließen Mitgefühl durchblicken. Es war ihnen nicht egal“, schildert Anja Oehm. „Doch es geht vor allem darum, wie man mit Kindern umgeht.“ Die Folgen für die zwei, fünf, sieben und achte Jahre alten Kinder sind unabsehbar. Die Eltern gehen laut Landratsamt keiner Erwerbstätigkeit nach.

Ursprünglich habe die im Juli 2014 nach Deutschland gekommene Familie freiwillig in ihr Heimatland zurückgehen wollen, sagen die Helfer. Die entsprechenden Anträge seien gestellt gewesen. „Die brutale Abschiebung kam dem zuvor, was uns alle so entsetzt“, sagt Anja Oehm. „Dieses Vorgehen ist aus meiner Sicht nicht nur unmenschlich und würdelos, sondern auch unverantwortbar“, kritisiert der Gohrischer Bundestagsabgeordnete André Hahn (Linke). Das Landratsamt jedoch teilt mit, die Familie habe mit Schreiben vom 5. August dieses Jahres mitgeteilt, dass sie von einer freiwilligen Ausreise ins Heimatland Abstand nimmt. In die Abschiebung selbst ist das Landratsamt nicht einbezogen. Dafür ist die Landesdirektion Sachsen als obere Ausländerbehörde zuständig.

Parlamentarier: Staatlich organisierte Kindeswohlgefährdung

Der SPD-Landtagsabgeordnete Frank Richter hat am Mittwoch im Landtag Innenminister Roland Wöller (CDU) gebeten, die traumatischen Abschiebungen zu beenden. „Er hat darauf nicht reagiert“, sagt Richter gegenüber Sächsische.de. Ein überbuchtes Flugzeug sei extrem peinlich und verschärfe die Traumatisierung noch. Vor Weihnachten sei eine Abschiebung unter solchen Umständen ein Anschlag auf den Sinn des Festes. Richter spricht in diesem Zusammenhang von staatlich organisierter Kindeswohlgefährdung.

„Gott danken, dass der Flieger schon voll war“

Helferin Regina Albani hatte der Familie noch zwei Tage vorher Weihnachtsgeschenke vorbeigebracht, darunter eine neue Schultasche für eines der vier Kinder. Als sie von der Abschiebung erfuhr, versuchte sie bereits Hilfe für die Familie in Moskau zu organisieren. „Ich kann Gott nur danken, dass der Flieger voll war“, sagt sie. „Jetzt ist erst mal Weihnachtsruhe und es wird im neuen Jahr wahrscheinlich entschieden.“ Mit Ruhe wird wohl nicht viel sein, vermutet dagegen Anja Oehm. „Sicher ist die Familie noch lange nicht.“

Quelle: Sächsische Zeitung, 23.12.21 von Heike Sabel