Rede zum Politischen Aschermittwoch 2011 in Chemnitz
Es gilt das gesprochene Wort!
Sperrfrist: 18 Uhr!
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Genossinnen und Genossen,
hochverehrte Närrinnen und Narren!
Seit dem letzten politischen Aschermittwoch ist in Deutschland, aber auch in Sachsen eine ganze Menge geschehen, das mehr an Aufarbeitung bedarf, als es von mir heute zu leisten sein wird. Die Büttenredner auf den diversen Karnevalsveranstaltungen dieser Tage haben jedenfalls keinen Mangel an Themen.
Horst Köhler ist nicht mehr Bundespräsident, Roland Koch nicht mehr Regierungschef in Hessen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger floh nach Brüssel. In Nordrhein-Westfalen wurde Jürgen Rüttgers abgewählt. Ole von Beust gab sein Bürgermeisteramt in Hamburg zurück, um mit seinem um Jahrzehnte jüngeren Freund das Privatleben genießen zu können. Seine Partei die CDU, hat diesen Schlag nicht verkraftet. Inzwischen regiert nun der Scholzomat von der SPD die Hansestadt, und das sogar mit absoluter Mehrheit.
Auch der aus vielerlei Gründen wirklich kaum noch zu ertragene katholische Bischof Mixa hat sein Amt verloren, und Margot Käßmann ist nicht mehr Ratspräsidentin der Evangelischen Kirche. Das ist im Übrigen der einzige Rücktritt, denn ich persönlich wirklich bedauere, abgesehen natürlich vom krankheitsbedingten Rückzug von Oskar Lafontaine.
Es gibt allerdings zwei Personen, die wohl niemals zurücktreten, und zwar Sepp und Silvio, also Blatter und Berlusconi. FIFA-Präsident der eine, skandalumwitterter italienischer Ministerpräsident der andere.
Das zumindest mutmaßt die „Süddeutsche Zeitung“, die ich hiermit aus gegebenem Anlass ausdrücklich als Quelle benennen möchte.
Hier gibt es im Übrigen eine ebenso ungute Kontinuität wie in der Verlogenheit westeuropäischer und amerikanischer Politiker, die in Ägypten oder Libyen über Jahrzehnte hinweg mit Waffengeschäften Milliarden verdienten, nun aber vehement den Sturz jener Diktatoren fordern, mit denen sie zuvor ungeniert Geschäfte gemacht haben. Ich nenne so etwas einfach nur scheinheilig und schäbig!
Auch dass das heftige umstrittene Sarrazin-Buch „Deutschland schafft sich ab“ hierzulande Millionen Käufer finden würde, hat vor Jahresfrist wohl ebenso kaum jemand für möglich gehalten wie die multiple Bigamie des beliebten schweizer Wetterfrosches Jörg Kachelmann. Die Klärung der strafrechtlichen Vorwürfe gegen Kachelmann oder auch gegen den Wikileaks-Gründer Assange wird wohl noch geraume Zeit die Justiz beschäftigen. Auf all diese Dinge kann ich – nicht zuletzt aus Zeitgründen – heute leider nicht näher eingehen.
Vor einem Jahr begann ich meine Rede zum Aschermittwoch hier in Chemnitz mit Guido Westerwelle und dessen unsäglichen Aussagen zu den Hartz-IV-Empfängern. Heute ist sein sächsischer Parteifreund Holger Zastrow dran, aber ich kann ja nicht jede Aschermittwochsrede mit der FDP anfangen, zumal sich der liberale politische Gemischtwarenladen deutschlandweit und in Sachsen im Sinkflug Richtung fünf Prozent befindet, und dabei wollen wir nicht stören.
Wo wir aber heute und in Zukunft unverdrossen stören werden, das sind Ansammlungen von Nazis, wie am letzten Sonnabend hier in Chemnitz und im Februar zwei Mal in Dresden: Wer den Ungeist der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte inmitten unserer Städte demonstrativ neu beleben will, darf damit auf keinen Fall wieder richtig in Fahrt kommen. Ich sage ganz klar: Solche Leute müssen wirkungsvoll am Marschieren gehindert werden!
Das waren die beiden Sätze zum Mitschreiben für einige schwarz-gelbe Spitzenpolitiker in Sachsen, die offenkundig an Orientierungsproblemen leiden, wo die wirklichen Feinde der Demokratie stehen.
Und nun kommt nach gutem parlamentarischen Brauch die Begründung: Das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, hat mit seinem „Wunsiedel-Urteil“ vom November 2009 Richtlinien für den Umgang mit Nazis bestimmt. Sie gelten natürlich auch in Sachsen, da nach vermutlich nicht nur uns vorliegenden Informationen der Freistaat Sachsen immer noch Teil der Bundesrepublik Deutschland ist. Diese Richtlinien besagen folgendes:
Erstens: Die Wiederbelebung der ideologischen Geschäftsordnung des so genannten „Dritten Reiches“ ist mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zweitens: Entsprechende braune Umtriebe unterliegen nicht dem Schutz der Grundrechte, weil ihre Propagandisten ja gerade auf die Abschaffung dieser Grundrechte abzielen. Drittens: Naziaufmärsche zu unterbinden ist kein unzulässiges Sonderrecht, sondern Verfassungs-Schutz im eigentlichen und guten Sinn des Wortes! Letzteres bleibt im Übrigen auch dann wahr, wenn zu viele Beamte in den Landesämtern und dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Unkenntnis des Grundgesetzes Antifaschisten als Verfassungsfeinde abstempeln.
Deshalb ist es richtig, dass Sachsens Innenstaatssekretär Wilhelm an das Wunsiedel-Urteil anknüpft. Es ist auch richtig, dass Innenminister Ulbig zur Suche nach einem Ausweg aus der verrückten Situation aufruft, in der Bürgerinnen und Bürger, die dem Grundgesetz Geltung verschaffen wollen, von der Polizei eingekesselt werden. Und deshalb ist es völlig falsch, ausgerechnet diejenigen zu kriminalisieren, die den größten Naziaufmarsch Europas verhindert haben. Für mich steht fest: Wer Gesicht und Zivilcourage gegenüber Nazis zeigt, verdient Respekt und nicht Repression!
Herr Zastrow von der FDP sieht das offenbar völlig anders. Naziaufmärsche laufen in der Presseerklärung des sächsischen FDP-Chefs zur Auswertung des 19. Februar als „genehmigte Demonstrationen“ unter ferner liefen. Kein Grund zur Besorgnis. Beunruhigend aber ist das Treiben der – ich zitiere – „linksgrünen Opposition“ von LINKEN, SPD und GRÜNEN. Sie muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie – gestattet, dass ich noch einmal zitiere – „auf der Seite von Gesetzesbrechern und Extremisten“ steht. Mit dieser größten anzunehmenden Frechheit ist Zastrow nun wohl ebenfalls ein Opfer der Folgen „spätrömischer Dekadenz“ geworden, die sein Parteifreund Westerwelle vor einem Jahr durchs Land trieb und ich seinerzeit in meiner Aschermittwochsrede nicht unwidersprochen lassen konnte.
Die Zastrowsche Pressemitteilung zum 19. Februar umfasst fast 1000 Wörter, was allein schon zeigt, wer hier besonderen Erklärungsbedarf hat. Wir haben am 13. Februar 2010 eine nach Aussage der Polizei vollständig friedliche Blockade des Naziaufmarsches erlebt, und auch am 19. Februar 2011 sind – so Innstaatssekretär Wilhelm – 99,9 Prozent aller Gegendemonstranten friedlich gewesen.
Ich hätte mir gewünscht, dass sich dies auch in der Sendung des öffentlich-rechtlichen MDR-Fernsehens widerspiegelt. Stattdessen vermittelte der „Sachsenspiegel“ den Eindruck, die Landeshauptstadt befinde sich im Bürgerkrieg. Eigentlich dachten wir am Abend des 13. Februar 2010, als es hieß, die Menschenkette hätte den Nazi-Aufmarsch verhindert, der Tiefpunkt der Desinformation sei beim „Sachsenspiegel“ nunmehr erreicht, aber das Landesfunkhaus Sachsen hat am 19. Februar dieses Jahres unter Beweis gestellt, dass eine weitere Niveauabsenkung in Richtung RTL 2 möglich ist.
Da wir dank „Sachsenspiegel“ im MDR nun schon fast bei RTL 2 angekommen sind, ist jetzt auch das Ehepaar zu Guttenberg nicht mehr weit. Auf RTL 2 wirkt Stephanie Freifrau von und zu Guttenberg als Co-Moderatorin in einer umstrittenen Sendung, die mit Mitteln des Boulevardjournalismus Jagd auf Kinderschänder macht.
Ihr Gemahl Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg – ich nutze die Atempause für den Hinweis, dass ich für die Richtigkeit der bei Wikipedia abgeschriebenen Vornamen keine Haftung übernehme –, also Herr zu Guttenberg wiederum stützt sich schwerpunktmäßig auf „Bild“. Damit ist aber auch klar, dass die Welle der Sympathie, auf der Herr Guttenberg trotz seines Betruges lange Zeit schwimmen konnte, Ausdruck von Bildungsnotstand ist.
Dass Guttenberg-Nachfolger Thomas de Maizière eine Traumbesetzung ist, kann allerdings wirklich nur der glauben, der ihn nicht kennt. Herr de Maizière begründete die fragwürdige sächsische Tradition, Sondereinsatzkommandos auf Verdacht die Falschen überfallen zu lassen.
Zu seiner Zeit als Innenminister verwüstete ein SEK-Kommando, das auf eine Rotlichtgröße angesetzt war, mitten in der Nacht in einem Mehrfamilienhaus die falsche Wohnung, drangsalierte unbescholtene Bewohner und erschoss nebenbei zwei Hunde. Herrn de Maizière fiel dazu im Landtag nur ein, dass man mit so was rechnen müsse, wenn man mit so jemandem unter einem Dach lebe. Kommentar überflüssig.
Am 19. Februar dieses Jahres stürmte ein SEK-Kommando das Dresdner „Haus der Begegnung“, obwohl es für diese Adresse gar keine richterliche Durchsuchungsgenehmigung gab. Dabei wurden, angeblich auf der Suche nach einem, militante Aktionen koordinierenden Handy-Besitzer die Büros einer Rechtsanwaltskanzlei und mehrerer Vereine aufgebrochen, die Räume der LINKEN und einer Privatwohnung durchsucht und man beschlagnahmte auch allerlei Computer-Technik. DIE LINKE hat ihre Computer zwar inzwischen zurück, doch neben Schadensersatzklagen muss sich das Gericht nun auch mit einer Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der ganzen Aktion befassen. Fußnote: Zum Zeitpunkt des SEK-Einsatzes waren die Nazis schon in Leipzig, in der Landeshauptstadt gab es also gar nichts mehr zu koordinieren, sodass sich der Verdacht einer Racheaktion gegen das Bündnis „Dresden nazifrei“ geradezu aufdrängt.
Von der Fußnote zurück zum Freiherrn: Ich weiß noch immer nicht genau, wozu der Herr Guttenberg überhaupt promoviert hat. Wo bei anderen, also auch bei mir, der „Dr.“ vorm Namen steht, hat er doch sowieso schon ein „zu“. Außerdem wurde bislang nicht vermeldet, dass es Herrn zu Guttenberg in der siebenjährigen Entstehungsgeschichte seiner merkwürdigen Doktorarbeit gelungen ist, auch nur einen einzigen neuen Gedanken zu entwickeln, der mitteilenswert gewesen wäre.
Natürlich reizt es, sich mit einer Universität zu befassen, wo man mit dem Abschreiben von Zeitungsartikeln ein „summa cum laude“ erreichen kann. Mir als Linkem wurde es 1994 an der Berliner Humboldt-Universität jedenfalls alles andere als leicht gemacht und ich konnte ein „summa cum laude“ wohl auch deshalb nicht erreichen, weil ich mich gegenüber den westdeutschen Professoren weigerte, die DDR pauschal als Unrechtsstaat zu bezeichnen.
Dass die soziale Herkunft zumindest über den formalen Erfolg beim Durchlaufen von Bildungseinrichtungen in Deutschland heute maßgeblich mitentscheidet, hat die Universität Bayreuth jedenfalls in unrühmlicher Weise unter Beweis gestellt. Ein Grund mehr, nicht in Bayern, sondern in Sachsen zu studieren – allerdings nach Möglichkeit nicht bei Herrn Jesse hier in Chemnitz. Der Mann ist einfach zu extrem drauf und wäre wirklich ein Fall für den Verfassungsschutz.
Wer über Guttenberg redet, darf Postel nicht vergessen. Der Postbote Gert Postel wirkte in Sachsen als Leitender Oberarzt im Fachkrankenhaus für Psychiatrie in Zschadraß. Seine psychiatrischen Gutachten wurden nie beanstandet, außerdem hielt er anerkannt gute Vorträge vor Medizinern.
Wäre Postel nicht zufällig enttarnt worden, hätten womöglich eine C3-Professur und der Posten als Klinikdirektor im Sächsischen Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Arnsdorf auf ihn gewartet. Trotz seiner tadellosen ärztlichen Tätigkeit verlangte der Freistaat Sachsen von Postel Gehaltsrückzahlungen in mittlerer sechsstelliger Größenordnung, da der Mann akademische Qualifikationen vorgetäuscht habe, über die er nicht verfüge.
Im Unterschied zum Fall Postel war im Fall Guttenberg eine Bundeskanzlerin der Meinung, dass ein überführter Hochstapler und Betrüger seinen hoch dotierten Posten behalten und weiter Bundesverteidigungsminister spielen darf. Für mich ist das vor allem eines: Doppelmoral pur!
Herr Postel gilt im Übrigen seit damals als Patron der Psychiatrie-Betroffenen und hielt z. B. eine – ich zitiere: „Festrede zum 25. Jubiläum der Irren-Offensive in Berlin“. Was sich rund um Herrn Guttenberg in den Wochen vor seinem Rücktritt abgespielt hat, war dagegen echt irre. Da kamen auch aus der sächsischen CDU, deren Vertreter Herrn Postel nach Bekanntwerden seiner Hochstapelei aufs Gnadenloseste verfolgt haben, reihenweise Solidaritätsbekundungen. Wahrscheinlich weil Etikettenschwindel sowieso ein Markenzeichen der so genannten bürgerlichen Politik in Sachsen ist:
Da wurden Regierungspräsidien in Landesdirektionen umgetauft, ohne dass sich an diesen Behörden irgendetwas geändert hat. Dann hieß es, man wolle diese Mittelbehörde zwischen kommunaler und Landesebene aus Effektivitätsgründen in Chemnitz konzentrieren – was immerhin eine vernünftige Standortentscheidung ist –, aber die Standorte in Dresden und Leipzig bleiben weiter erhalten, nur umgetauft in „Außenstellen“.
Mit dieser Methode hat man Erfahrung, schließlich gibt’s auch die früheren Regionalschulämter noch, nur dass sie zu „Bildungsagenturen“ aufgehübscht worden sind. Und nun sollen die Mittelschulen „Oberschulen“ heißen, ohne dass man sie – was das einzig Vernünftige wäre – mit den Gymnasien zu Gemeinschaftsschulen für alle Kinder verschmilzt.
Von Schwarz-Gelb sind eben nur „Reformen“ zu erwarten, die in Wahrheit keine sind. Da soll die Sächsische Aufbaubank, die vor allem mit den Ministerien in Dresden kooperieren muss, aus der Landeshauptstadt nach Leipzig umziehen, dafür soll im Gegenzug der Landesrechnungshof von Leipzig nach Döbeln verlegt werden. Begründung: Döbeln liege so schön zentral in der Mitte Sachsens. Da wundere ich mich, wieso nicht gleich noch der ganze Landtag nach Döbeln umgesiedelt wird …
Doch zurück zum Thema Bildung. Die Werbeagentur Zastrow, die sich auch „sächsische FDP“ nennt, hat sich einen neuen Werbegag ausgedacht, der da heißt: Schulschließungsmoratorium. Mal ganz davon abgesehen, dass seit 1990 schon mehr als eintausend Schulen in Sachsen geschlossen wurden und das Moratorium nicht ganz zufällig mit der nächsten Landtagswahl ausläuft, spricht die Realität eine ganz andere Sprache. Da wird ungeniert dem Landkreis Leipzig die Genehmigung einer Schulnetzplanung verweigert, weil darin die vom Kultusministerium gewünschten Schulschließungen fehlen. Und in Kreischa in meinem Landkreis soll gegen den erbitterten Widerstand des ganzen Ortes und gegen das Votum des Kreistages eine Mittelschule geschlossen werden, obwohl dies insbesondere für bisher gut integrierte behinderte Kinder mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre.
Da kann man wirklich den Glauben an das Gute in der selbsternannten bürgerlichen Politik verlieren! Und christlich ist das Ganze auch nicht.
Weil aber der Aschermittwoch ein Tag mit christlicher Tradition ist, darf auch in einer linken Aschermittwochsrede die Religion nicht ganz fehlen. Vor allem, weil ich erstaunlich finde, was im Namen des christlichen Abendlandes derzeit so alles im Sächsischen Landtag erzählt wird:
Da werden LINKE Abgeordnete mit Bannflüchen belegt, weil sie sich erlauben zu fragen, wieso die Stadt Dresden und das Land Sachsen einer seit Menschengedenken erfolgreichen Großveranstaltung wie dem Evangelischen Kirchentag mit Millionen Euro Steuergeldern unter die Arme greifen müssen, während andererseits Sozialarbeiter entlassen und Jugendklubs geschlossen werden, weil dafür angeblich kein Geld mehr da ist.
Dann aber verweigern dieselben Christenmenschen von der CDU dem Kirchentag die Nutzung von Räumen im Landtag – die Themen der angemeldeten Veranstaltungen passten nicht ins Regierungskonzept, weil angeblich zu linkslastig. Diskutiert werden sollte u.a. über Stuttgart 21 und die Chancen von mehr direkter Demokratie.
Verglichen damit regelrecht putzig sind die religionspolitischen Pirouetten meines hoch verehrten Amtskollegen Martin Dulig von der SPD. Einerseits verteidigt er – zum Entsetzen vieler Sozialdemokraten – die höchst umstrittenen jährlichen Zusatzzahlungen an die Kirchen in Sachsen in zweistelliger Millionenhöhe unter Bezugnahme auf eine knapp zweihundert Jahre alte Vereinbarung, deren fortwährende Gültigkeit eine rechtstechnische Abenteuerlichkeit erster Güte darstellt. Dies rechtfertige jedoch die Sonderstellung der Kirchen, so Martin Dulig. Andererseits legt sich die SPD-Fraktion mit einem schlichten Holzkreuz an, das seit knapp zwei Jahrzehnten im Fraktionssaal der CDU hängt. Es müsse dringend entfernt werden, weil in dem Raum ja auch öffentliche Ausschuss-Sitzungen stattfinden.
Nun hatte die SPD in fünf Jahren gemeinsamer Koalition mit der CDU reichlich Zeit, die weltanschauliche Neutralität der Wände des Sitzungsraumes A 600 im Sächsischen Landtag herzustellen.
Wir LINKE sehen das Thema ganz entspannt: Unterm Kreuz finden vor allem Sitzungen von Untersuchungsausschüssen statt, die allesamt von uns eingesetzt wurden und sehr wirkungsvoll waren. So kosteten die Ermittlungen unterm Kreuz letztlich den Ministerpräsidenten Biedenkopf und Milbradt, Finanzminister Metz sowie zwei kompletten Landesbank-Vorständen ihre Ämter. In einer von der LINKEN beantragten Anhörung fiel das Holzkreuz sogar schon einmal runter – ebenfalls ohne Schaden anzurichten.
Unser Untersuchungsausschuss-Vorsitzender Klaus Bartl hat sich seinen Unglauben bewahrt, obwohl seine Heimat Oberwiesenthal dem Himmel so nahe ist wie kein zweiter Ort in Sachsen. Er ist also über jeden Verdacht der vorsätzlichen Sakralisierung demokratischer Beratungsräume erhaben. Der ungläubige Klaus hat als Jurist das Problem mit dem Kreuz standesgemäß gelöst: Etwaige Forderungen, es herunternehmen zu lassen, werde er dem Juristischen Dienst des Landtags zur Begutachtung vorlegen. Das will im Übrigen auch Landtagspräsident Rößler tun, mit dem wir üblicherweise politisch über Kreuz liegen. So geschehen noch Zeichen und Wunder …
Nun bin ich von Hause aus immun gegen Wunderglauben, das bleibe ich auch für den Fall, dass ich meine Immunität als Abgeordneter tatsächlich verlieren sollte. Die Staatsanwaltschaft Dresden arbeitet ja seit einem Jahr darauf hin, gegen mich wegen angeblicher Rädelsführerschaft bei der Blockade in Dresden am 13. Februar 2010 Anklage zu erheben. Zunächst wurde mir ein vergiftetes Versöhnungsangebot gemacht: Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung von 500 Euro. Das wäre mir die erfolgreiche Verhinderung des Naziaufmarsches wert gewesen, allerdings sprach die Staatsanwaltschaft öffentlich von Bußgeld und erweckt den Eindruck, es gehe um Bestrafung.
Damit hätte ich in Selbst-Kriminalisierung des Protestes gegen Nazis eingewilligt – mit unabsehbaren Folgen für alle Menschen, die sich künftig mutig Nazi-Aufmärschen entgegenstellen.
Diese fehlende Bußfertigkeit möchte die Staatsanwaltschaft nun aber wirklich bestrafen und kündigte mir daher – gewissermaßen als Weihnachtsgeschenk – einen Tag vor Heiligabend an, man beabsichtige, mit dem Ziel der Anklageerhebung die Aufhebung meiner Immunität als Abgeordneter zu beantragen. Gestern dann erfuhr ich aus den Medien, der Antrag sei nunmehr auf dem Weg in den Landtag. Ich selbst wurde zuvor gar nicht informiert, obwohl das zwingend vorgeschrieben ist.
Wollte man seinerzeit gegen vier Menschen vorgehen – außer gegen mich noch gegen den Vorsitzenden der thüringischen Fraktion der LINKEN sowie die beiden Vorsitzenden unserer Fraktion im Hessischen Landtag –, bahnen sich nach dem 19. Februar dieses Jahres Hunderte Verfahren an. Und ermittelte man damals wegen „Sprengung einer Versammlung“, so steht nun im Zusammenhang mit der umstrittenen Razzia im „Haus der Begegnung“, die sich letztlich offenbar gegen das Bündnis „Dresden Nazifrei“ richtete, der absurde Vorwurf der Gründung einer „kriminellen Vereinigung“ im Raum. Schlimmer geht’s nimmer!
Da ja in den Staatsanwaltschaften und auch bei den Verwaltungsgerichten viele zugewanderte Kirchenmitglieder sitzen, rufe ich ihnen heute zu: Nutzen Sie die vorösterliche Bußzeit zur Ein- und Umkehr, lassen Sie den guten Geist der Zivilgesellschaft wehen, wo er will! Erschüttern Sie nicht den Rechtsstaat durch Verfolgung Unschuldiger, sondern praktizieren Sie Versöhnung gegenüber denen, die als wehrhafte Demokratinnen und Demokraten unsere Städte und Gemeinden vor den Nazis schützen wollen!
Und ich füge hinzu: Wir sind die demokratische Partei in Sachsen, die am konsequentesten für jeden Arbeitsplatz bei der Polizei kämpft. Im Gegensatz zu CDU und FDP, die Tausende von Stellen streichen und die Zahl der Reviere halbieren wollen, möchte DIE LINKE eine bürgernahe Polizei, die Kriminalität wirkungsvoll bekämpft und das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung stärkt. Gerade deshalb haben wir das moralische Recht zu sagen: Wir wollen keine Polizei, die mit Pfefferspray und Wasserwerfern die Straßen für Nazis frei räumt! Diese Bilder dürfen nie wieder aus Sachsen um die Welt gehen!
Daran, dass diese Bilder überhaupt entstanden sind, haben leider auch überforderte Versammlungsbehörden und eigentümlich urteilende Verwaltungsgerichte ein hohes Maß an Mitverantwortung. Die Polizei hat letztlich nur deren Vorgaben umgesetzt. Es ist blanke Willkür, wenn eine Mahnwache des DGB vor dessen eigenem Haus verboten wird, Mahnwachen von CDU und FDP vor den Kirchen aber stattfinden dürfen. Und klar ist auch: Kein Gesetz der Welt schreibt vor, dass man Nazis auf prestigeträchtigen Strecken durch die Stadtzentren marschieren lassen muss. Wenn schon ein Verbot nicht durchsetzbar ist, dann gibt es genügend Ausfallstraßen und die Möglichkeit, wirkungsvolle Auflagen zu erteilen. Eine Stadtverwaltung hat nicht nur das Recht, sondern in meinen Augen auch die Pflicht, demokratische und friedliche Protestformen gegen Nazi-Veranstaltungen zuzulassen und zu befördern. Leipzig, Jena, Köln und Berlin sind hier gute Beispiele. So etwas muss auch in Chemnitz möglich sein! Kein Zweifel: Gewalttätigkeiten sind entschieden abzulehnen, Zivilcourage und friedlicher Widerstand aber müssen unterstützt werden, und da sind Flugblätter und Anzeigen, die Menschen von einer Teilnahme an Protestaktionen abhalten sollen, mit Sicherheit ein völlig falsches Signal.
Völlig falsche Signale gehen im Übrigen auch immer wieder von der sächsischen Landesregierung aus, und das nicht nur in der Auseinandersetzung mit den Ewiggestrigen von der NPD.
Der Ministerpräsident macht immer, wenn es ernst wird, das, was er am besten kann. Er taucht einfach ab und pflegt sein Image als Teflon-Tillich. An ihm perlt (fast) alles ab, und wer nichts tut, der macht auch keine Fehler.
Als Oppositionsführer wünscht man sich ja durchaus einen echten Widerpart als Regierungschef. Tillich ist alles andere als das.
Er gibt seit seiner Wahl 2008 den smarten, stets lächelnden Stani und verweigert sich jedweder Sach- und Fachdiskussion im Parlament. In den eineinhalb Jahren dieser Legislaturperiode hat der Ministerpräsident im Landtag ganze fünfmal substanziell etwas von sich gegeben, eine Regierungserklärung zur Amtseinführung, eine zur Euro-Krise, eine zum Augusthochwasser 2010 sowie eine zum Doppelhaushalt 2011/2012. Und einmal hat er in einer Aktuellen Stunde zu den Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Thema Hartz IV etwas gesagt. Ach ja, und dann hat er noch seinen Amtseid geleistet. Aber das war’s dann wirklich.
Nichts zu den Lehrerstreiks, nichts zum massiven Personalabbau und zur Streichung der Sonderzahlungen im Öffentlichen Dienst, und nichts zu den drastischen Kürzungen im Sozial-, Jugend- und Kulturbereich sowie beim Öffentlichen Nahverkehr.
Und so wird er wohl dermaleinst als „Tillich, der Schweigsame und Überforderte“ in die sächsische Herrschergeschichte eingehen.
Aber das politische Sachsen hat noch mehr Skurriles zu bieten. Vorhin war ja schon mal von einem gewissen Herrn Dr. Postel die Rede.
Auch im Kabinett sitzt ein Hochstapler, der als Stellvertretender Ministerpräsident und Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit firmiert.
Herr Morlok von der FDP ist in der Tat ein Totalausfall, wie inzwischen auch die Koalitionsfraktionen festgestellt haben. Aber bislang traut sich noch niemand, ihm das auch mal zu sagen, geschweige denn, dass man ihn auswechselt, was dringend Not täte.
Ich hätte nie gedacht, dass ich mich noch mal nach Kajo Schommer zurücksehnen würde…
Was haben wir sonst noch im Angebot? Einen drögen Finanzminister, der trotz massiver Kritik des Rechnungshofes sich im Haushalt Millionen-Rücklagen und Milliarden-Ermächtigungen schafft, für soziale Belange aber angeblich kein Geld hat und zugleich auf Regressklagen gegen politisch Verantwortliche für das Landesbank-Desaster verzichtet.
Wir haben einen Innenminister, der die Kommunen finanziell im Regen stehen lässt und in Sachen Polizeireform völlig hilflos agiert und leider auch noch beratungsresistent ist.
Wir haben einen Kultusminister, der weder mit den Schulen noch mit dem Sport in Sachsen wirklich etwas am Hut hat und es bis heute als persönliche Demütigung empfindet, dass ihn Herr Tillich nicht als Wissenschafts- oder besser noch als Finanzminister berufen hat. Es ist schlimm, dass so jemand an zentraler Stelle über die Bildungspolitik in diesem Land entscheidet und die Lehrer permanent vor den Kopf stößt.
Wir haben einen Justizminister, der in der Opposition den Nazis durchaus engagiert die Stirn geboten hat und heute schweigt, wenn Gegendemonstrationen verboten und friedliche Demonstranten strafrechtlich verfolgt werden. Glaubwürdigkeit sieht anders aus!
Wir haben eine Sozialministerin, die mithilft, den ohnehin schon ausgehöhlten Sozialstaat weiter zu demontieren, und wir haben einen Umweltminister, der verbal gegen die in Tschechien geplante Elbe-Staustufe wettert und über Klagen nachdenkt, aber offenbar bis heute keinen wirklichen Gesprächsfaden zu unseren Nachbarn aufgebaut hat.
Wir haben eine (immer noch parteilose) Wissenschaftsministerin, die sich zwar redlich bemüht, mit ihren Vorstellungen zur Hochschulentwicklung bei CDU und FDP aber immer wieder auf Granit beißt und die Kürzungen beim Kulturraumgesetz am Ende auch nicht verhindern konnte.
Ach ja, und dann haben wir nicht zuletzt auch noch einen Staatskanzleichef, dessen Namen in Sachsen niemand kennt und dessen Kotakte in die arabische Welt weit intensiver sind als zu seinem Ministerkollegen und den Koalitionsfraktionen.
Das alles ist schon ein regelrechtes Gruselkabinett! Selten wurde Sachsen so schlecht regiert wie heute. Wie gut, dass es da zumindest ein starke Opposition, wie gut dass es DIE LINKE gibt!
Natürlich haben auch wir unsere Probleme, die nicht verschwiegen werden dürfen. Wir haben eine Programmdebatte, in der noch viele Fragen offen sind. Wir haben nach dem Weggang von Oskar Lafontaine und Lothar Bisky eine neue Parteispitze, die ihre Rolle und ihren Stil unbestreitbar erst noch finden muss.
Aber ich sage auch ganz klar. Sowohl Gesine Lötzsch als auch Klaus Ernst haben einen Anspruch auf unsere Unterstützung und unsere Loyalität. Und ich füge hinzu: Es ist mir egal, welches Auto unser Parteivorsitzende fährt. Wichtig ist, dass er zu den zentralen politischen Themen die Position der LINKEN wirkungsvoll vertritt.
Und was die so genannte Kommunismus-Debatte anbelangt, so ist das Ganze natürlich eher suboptimal gelaufen. Die Medien haben die unnötige Vorlage begierig aufgegriffen und zum Angriff auf DIE LINKE geblasen. Aber eines ist doch wohl auch klar: Der gegenwärtige Raubtierkapitalismus kann und wird nicht die letzte Antwort der Weltgeschichte sein. Daher ist und bleibt es legitim, über gesellschaftspolitische Alternativen nachzudenken und deshalb halten wir am Ziel eines demokratischen Sozialismus fest.
Überhaupt sollte von unserem heutigen politischen Aschermittwoch das Signal ausgehen, dass auf uns Verlass ist. Denn wir werden gebraucht, so wie wir sind, und wo wir nicht sind, geht vieles schief. Ein Jahr lang kungelten die anderen Parteien um die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge die Hartz-IV-Regelsätze verfassungswidrig festgesetzt worden sind. Sie taten dies ohne DIE LINKE. Entsprechend ist das Ergebnis: Fünf Euro mehr in diesem, weitere drei Euro zusätzlich im nächsten Jahr. Auf diese drei Euro ist die SPD ganz stolz. Dazu fällt einem wirklich nichts mehr ein!
Die Antwort auf diese Farce kann nur sein: Mehr Macht für das Soziale durch mehr Druck aus den Bundesländern – die Zeit ist überreif für den ersten LINKEN Ministerpräsidenten, die Zeit ist reif für meinen Freund Wulf Gallert in Magdeburg!
Das Magdeburger Modell von 1994 mit einer Kooperation durch Tolerierung einer SPD- und dann einer SPD/GRÜNEN-Landesregierung und der PDS-Opposition setzte Maßstäbe – Sachsen-Anhalt wurde bundesweit Spitzenreiter bei der Kinderbetreuung sowie beim Schulsystem und demonstrierte praktisch, was linke Mehrheiten zustande bringen können, wenn die potenziellen Partner dies wollen.
In Sachsen gibt es nach den letzten Wahlen eine seit 1990 noch nie da gewesene verlässliche parlamentarische Zusammenarbeit zwischen LINKEN, SPD und GRÜNEN. Es vergeht kaum ein Monat ohne gemeinsame Anträge oder andere abgestimmte Initiativen. Wir üben also schon mal für den politischen Wechsel im Jahr 2014, und gerade bei der Auseinandersetzung mit dem unsozialen schwarz-gelben Kürzungsetat und der Gegenüberstellung unserer sozialökologischen Alternativen waren die rot-rot-grünen Gemeinsamkeiten unübersehbar.
Das ganze rot-rot-grüne Zukunftsprojekt in Sachsen hat jedoch eine Achillesferse, und die heißt Antje Hermenau. Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass die Fraktionschefin der GRÜNEN – im Unterschied zur Mehrheit in ihrer Fraktion und Partei – mehr oder weniger offensichtlich die schwarz-grüne Option favorisiert. Was sie an Tillich und Flath findet, ist mir bis heute völlig schleierhaft. Programmatisch, das weiß auch die Realpolitikerin Hermenau, spricht nahezu nichts für ihr Lieblingsmodell, also muss die Standardausrede herhalten: Ich würde ja gern anders, aber mit den LINKEN geht es nicht.
Magdeburg kann in den nächsten Wochen zeigen, dass es geht und wie es funktionieren kann, und wir werden in Dresden in drei Jahren an diese Erfahrung anknüpfen – übrigens unter finanzpolitisch ungleich besseren Bedingungen als im strukturell benachteiligten Sachsen-Anhalt!
Abraham Lincoln wird folgender Satz zugeschrieben: „Man kann alle Leute eine Zeit lang an der Nase herumführen, und einige Leute die ganze Zeit, aber nicht alle Leute die ganze Zeit.“ Ich bin ganz sicher: Auch die sächsische CDU wird eher über kurz als lang von ihrem hohen Ross stürzen. In diesem Sinne ein herzliches Glück Auf!