Rede zum 50. Treffen von sächsischen Bürgerinitiativen und Kommunalpolitikern

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Vertreterinnen und Vertreter von Bürgerinitiativen aus allen Regionen Sachsens, aber auch aus Brandenburg, Thüringen und Berlin, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der berühmte Tropfen Wasser, von dem heute noch mehrfach die Rede sein wird, benötigt – um im planetaren Wasserkreislauf an seinen Ursprung zurückzukehren –
mitunter 10 Tage, manchmal 10 Jahre oder sogar 10.000 Jahre.
Das ist – erdgeschichtlich gesehen – nicht mal ein Wimpernschlag.
Im Unterschied dazu sind zehn Jahre in der Politik geradezu eine kleine Ewigkeit.
Seit 1998 – als das erste offizielle Treffen dieser Art stattfand – hat die Landespolitik drei Regierungen verschlissen, und wir haben nunmehr bereits den dritten Ministerpräsidenten, wobei deren Amtszeit immer kürzer ausfiel.

Etwas salopp gesagt: Die Ministerpräsidenten kommen und gehen – die Bürgerinitiativen bleiben. Das spricht für das Engagement und die Kraft der Bürgerinitiativen, hat aber auch einen etwas schalen Beigeschmack, denn wenn diese Initiativen immer noch gebraucht werden, stellt sich schon die Frage:

Haben wir denn in den letzten 10 Jahren nichts verändert, nichts erreicht?

Natürlich ist das eine rhetorische Frage.
Aber nicht nur, denn sie zielt zugleich auf einen zutiefst inhaltlich-politischen und demokratische Prozess der Interessenbündelung, der demokratischen Willensbildung und damit des Zusammenwachsens zum gemeinsamen Handeln gegen die herrschende Politik im Wasser- und Abwasserbereich, beim Straßenausbau und im Abfallbereich.

Geprägt von dem starken Wunsch, im demokratischen Widerstand gegen das Kommunalabgabengesetz der Staatsregierung ihre Kräfte zu bündeln, kamen die Bürgerinitiativen „Für sozialverträgliche Kommunalabgaben“ vor zehn Jahren nach Dresden zu ihrem ersten zentralen Treffen, eingeladen von unserer Fraktion.

Allein die Tatsache, dass es auch nach 10 Jahren noch immer das Bedürfnis zum gemeinsamen Lernen und Gespräch, zum Erfahrungsaustausch mit Politikern der Linksfraktion und zur gegenseitigen Ermutigung gibt, ist beispiellos: Kein anderes Bundesland, keine andere Partei kann diesbezüglich auf eine derartige Erfolgsgeschichte verweisen.
Damit erhalten die ohnehin beeindruckenden Zahlen – 50 Treffen in 10 Jahren – ein zusätzliches Gewicht und erfordern geradezu eine Bilanz der geleisteten Arbeit.

Bilanz
Das zehnjährige Jubiläum und das 50.Treffen der Bürgerinitiativen geben Anlass, zurück zu blicken und zu hinterfragen:
Wo standen wir im Jahr 1998?
Was haben wir erreicht? Was hat sich verändert?
Wo stehen wir heute?
Und – nicht zu vergessen: Was sind die nächsten Ziele?

Erinnern wir uns kurz an die Anfänge:
1993 hatte die Politik der CDU-Regierung den Bürgerinnen und Bürgern des Freistaates Sachsen eine böse Überraschung bereitet. Die zumeist überdimensionierten, am Bedarf der Bevölkerung und der Wirtschaft vorbei geplanten Abwassersysteme gab es nicht zum Null-Tarif. Horrende Beitrags- und Gebührenforderungen sowie die Uneinsichtigkeit und Unwissenheit staatlicher Stellen – gepaart mit der Arroganz der Macht – führten zu einer Protestbewegung, die rasch anwuchs und in der sich auch zahlreiche Mitglieder der PDS engagierten.

Ihre Ohnmacht offen ansprechend organisierten sich Betroffene und Gleichgesinnte in lokalen und regionalen Bürgerinitiativen. Doch der Kampf gegen die Obrigkeit wurde auch damit nicht immer einfacher: Oft fehlte es an fachlicher Kompetenz und juristischer Unterstützung.
Im Januar 1998 begann dann ein neues Kapitel: Mitglieder der damaligen PDS-Fraktion und Vertreter der Bürgerinitiativen suchten gemeinsam das Gespräch mit Experten über fachliche und rechtliche Probleme der Wasserversorgung, der Abwasser- und Abfallentsorgung sowie des Straßenbaus. Erklärtes Ziel war es dabei, zumindest halbwegs Chancengleichheit in den Verhandlungen von Behördenmitarbeitern und Vertretern der Bürgerinitiativen herzustellen.

Gestatten Sie daher – und das ist mir auch ein persönliches Bedürfnis –, dass ich an dieser Stelle meiner Kollegin und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Andrea Roth für die geleistete Arbeit danke. Andrea hat maßgeblichen Anteil an der zu berichtenden Erfolgsgeschichte. Sie hat von Beginn an und bis zum heutigen Tag die Treffen initiiert, organisiert und inhaltlich getragen.
Ohne ihren Einsatz säßen wir heute wohl nicht hier.
Deshalb ganz herzlichen Dank für ihre Arbeit und ihr Engagement.

Wenn ich das Anliegen unserer gemeinsamen Arbeit in jenen Tagen zusammenfassen sollte, ging es, wie schon angedeutet, zunächst – vereinfacht gesagt – um eine Kommunikation auf Augenhöhe.

Stein des Anstoßes – oder um im Bild zu bleiben – der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte – waren die Auslassungen des damaligen Umweltministers Arnold Vaatz CDU), der der Öffentlichkeit weiszumachen versuchte, dass der Bau überlanger Kanalsysteme und kostspieliger Pumpen im ländlichen Raum eine Forderung der EU-Behörden sei.

Die seit 1991 gültige EU-Richtlinie über die Behandlung kommunalen Abwassers wurde von staatlicher Seite nicht nur fehl interpretiert, sondern die Staatsregierung trug auch die Verantwortung dafür, dass mit dem Bau völlig überteuerter zentraler Anlagen auf dem flachen Lande gegen diese EU-Richtlinie in Sachsen unzählige Male verstoßen wurde.
Dass die Bürger wieder einmal die Zeche für eine verfehlte Politik zahlen sollten, das durften und das wollten wir nicht zulassen!

Ich meine, dass bereits hier das Erfolgsgeheimnis der langjährigen Zusammenarbeit liegt: Von Anfang an haben wir nicht nur kritisiert, sondern uns zunehmend mit Alternativen zu den von der Staatsregierung favorisierten überteuerten Lösungen befasst, zumal diese auch die Folgekosten in die Höhe trieben.
Davon zeugt die Beschäftigung der Initiativtreffen mit Themen wie:
(Kosten-) Vergleich von dezentralen und zentralen Varianten der Abwasserbehandlung
Möglichkeiten zur Kostensenkung für Bürgerinnen und Bürger
– Beispiele für naturnahe, dezentrale Abwasserbehandlung und Pflanzenkläranlagen
– Das „abwasserfreie“ Haus u. a.
Eine vollständige Themenliste und weitere statistische Angaben entnehmen Sie bitte der für die heutige Veranstaltung erstellten Broschüre.

Um letztlich zu verhindern, dass solche gravierende Fehlentscheidungen bei der Abwasserbeseitigung, wie
falsche Prognosen,
Überdimensionierung der Anlagen,
Zentralisierungswahn und
störanfällige Hochtechnisierung
in der Abfallwirtschaft im Freistaat wiederholt werden, haben wir auch in dieser Sache frühzeitig mit Experten beraten. Verwiesen sei auf solche Themen wie
– Abfallmengen und Abfallgebühren
– Chancen zur Müllvermeidung
– Bau mechanisch-biologischer Anlagen – gegen Müllverbrennung u. a.

Für mich steht außer Frage, dass wir unser ursprüngliches Ziel erreicht haben, Sie als Vertreter der Bürgerinitiativen, die Kommunalpolitiker und uns Abgeordnete selbst zu befähigen, in der komplizierten und sich zudem ständig verändernden Materie sachkompetent entscheiden zu können.
Ich teile deshalb auch die Einschätzung meiner Kollegin Andrea Roth, dass im Laufe der Jahre der Kenntnisstand der Vertreter der Bürgerinitiativen und vieler Kommunalpolitiker über den einiger Verwaltungsmitarbeiter hinausgewachsen ist.

Und die Tatsache, dass in Sachsen bisher nur eine einzige Müllverbrennungsanlage in Betrieb ist, oder dass das Urteil des OVG vom 31. Januar 2007 keine Auflagen der Rechtsaufsichtsbehörden zur Straßenausbaubeitragserhebung mehr zulässt, verdanken wir auch dem streitbaren Engagement der Bürgerinitiativen.

Ergebnis der zehnjährigen Arbeit ist aber nicht nur ein immenser Zugewinn an Sachkompetenz in Fragen der Wasser- und Abwasserentsorgung, des Umwelt- und Klimaschutzes sowie in Fragen der Energieeffizienz, der Abfallwirtschaft und des Straßenbaus.
Die Bürgerinitiativen haben sich dabei zunehmend auch zu einem Initiator und Wächter der Demokratie, einer Demokratie von unten entwickelt.

Die Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht, aber auch das interne Ringen um die überzeugenden Argumente waren eine wichtige Quelle persönlicher Demokratieerfahrung und Demokratieschulung. Denn: In den vergangenen zehn Jahren wurden nicht nur in Fachfragen mit großer Leidenschaft gestritten, sondern auch über Positionen eines grundlegenden Demokratieverständnisses und Formen direkter Demokratie diskutiert.
Auch hier seien nur einige Themen bisheriger Treffen stellvertretend genannt:
– Bürgerbegehren und Bürgerentscheid als Formen der Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger bei kommunalen Angelegenheiten,
– Kernpunkte einer Novelle des Kommunalabgabengesetzes,
– Wie stellt man einen Bürgerhaushalt auf?

Soweit mein kurzer und natürlich unvollständiger Rückblick.
Diese 10 Jahre gemeinsamer Anstrengungen haben sich wahrlich gelohnt!
Ich meine: Das ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann!!!

Wo stehen wir nun heute im Herbst 2008?
Die in den letzten Jahren hier in dieser Runde geführten Debatten haben in unterschiedlicher Weise Eingang in den Sächsischen Landtag gefunden. Mit parlamentarischen Aktivitäten – wie Kleinen und Großen Antragen, Anträgen und eigenen Gesetzentwürfen – konnten Probleme benannt, wichtige Informationen gesammelt oder Spezialthemen auf die politischen Agenda gesetzt werden.

Hierzu gehört zweifelsfrei das späte – aber für immerhin 600.000 Menschen nicht zu späte – Umsteuern der sächsischen Förderpolitik im Bereich der Abwasserentsorgung: Seit Anfang letzten Jahres können nun auch dezentrale Abwasseranlagen staatliche Förderung erlangen. Selbst wenn es 15 Jahre gedauert hat (und 3,7 Milliarden Fördermittel und insgesamt 6,4 Milliarden Steuergelder verbaut wurden), ist das Einlenken der Staatsregierung letztlich doch ein positives Resultat der Arbeit der Bürgerinitiativen.
Wieder einmal gilt: Steter Tropfen höhlt irgendwann auch den härtesten Stein!
Und: Einer unserer zentralen Forderungen nach Aufnahme und Förderung dezentraler Varianten der Abwasserentsorgung in Verbindung mit dem Nachweis niedriger Kosten für die Bürger und die Kommunen ist somit entsprochen worden.

Manch einer mag nun fragen: Haben die Bürgerinitiativen damit ihre Existenzberechtigung verloren?

Ich denke, hier sind wir uns einig: Das ist mitnichten der Fall! Denn gerade hier erwächst den Bürgerinitiativen eine neue Verantwortung bei der Umsetzung dieser Bestimmung. Noch immer gibt es Verbandsvorsitzende, gibt es Bürgermeister, Stadt- und Gemeinderäte, die aufgrund von Unkenntnis oder Sturheit an den alten Vorgaben der Staatsregierung festhalten. Und auch die jeweiligen Ministerpräsidenten und ihre Fachminister verweigern bis heute eine offene Aussprache mit den Bürgerinitiativen – der frühere Innenminister Klaus Hardraht blieb 2001 eine lobenswerte Ausnahme.

Den langfristigen Einladungen von Regierungsvertretern durch Andrea Roth folgten in der Regel kurzfristige Absagen wegen „plötzlicher Terminüberschneidungen“.
Für mich lässt diese Vorgehensweise nur einen Schluss zu: Einer fundierten Kritik wollen sich die allermeisten Mitglieder der Staatsregierung und Ministerialbürokraten mangels fehlender oder schwacher Gegenargumente erst gar nicht stellen.
Für mich ist das Feigheit vor dem Bürger!

Wir brauchen aber keine Regierung – ob auf Landes-, Kreis- oder kommunaler Ebene – die nach ihrer de¬mokratischen Wahl das „Ein- und Mitmischen“ der Menschen als Belästigung empfin¬det. Wir brauchen offene Ohren statt verschlossener Türen.

Wenn die verantwortlichen Politiker nicht zu ihnen kommen, dann sind einzelne Vertreter der Bürgerinitiativen allerdings dennoch durchaus in der Lage, Ihre Sicht auf die sie bewegenden Probleme deutlich zu machen, in der Öffentlichkeit, in den Medien, aber nicht zuletzt auch gegenüber den Abgeordneten im Landtag.
Beispielsweise haben unter anderem (die heute anwesenden) Rechtsanwälte
Martina Sauer, Renate Götze oder Klaus Goltsch diesen Weg mehrfach beschritten und öffentliche Anhörungen im Parlament entsprechend genutzt bzw. sind sie für die Linksfraktion als Gutachter oder Sachverständige aufgetreten.

Ein weiteres Beispiel für die gute Zusammenarbeit zwischen meiner Fraktion und den Bürgerinitiativen stellen unsere beiden Novellen zum Kommunalabgabengesetz dar. Der Einbringung dieser Gesetzentwürfe waren intensive Debatten in Arbeitsgruppen sowie fundierte Zuarbeiten und Anhörungen vor den Bürgerinitiativen vorausgegangen.

Der von uns treffend als „Kommunalabgabenbegrenzungsgesetz“ bezeichnete aktuelle Entwurf wurde am 04. September 2008 im Innenausschuss des Landtags von Sachverständigen im Beisein vieler Vertreter von Bürgerinitiativen begutachtet.
Auch für diese Unterstützung herzlichen Dank, und ich versichere hier, dass wir mit Ihnen dafür kämpfen werden, um für unser gemeinsames Gesetz die erforderliche Unterstützung in den anderen Fraktionen zu finden.

Lassen Sie mich abschließend noch einen Gedanken entwickeln, der mir sehr am Herzen liegt: Oft werden meine Abgeordnetenkollegen und ich selbst gefragt, warum ausgerechnet DIE LINKE den Bürgerinitiativen, Vereinen und Verbänden ein so großes Interesse entgegenbringt.

Die Antwort ist eigentlich ganz einfach:
Politik, die auf Dauer erfolgreich sein will, muss immer auf demokrati¬sche Beteiligung und Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger setzen. Deshalb sind Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement für eine sozial gerechte und ökologisch ausgerichtete Politik unverzichtbar.

Dabei gilt immer der Grundsatz: Weder sind die Bürgerinitiativen willenlose Vorfeldorganisationen der Linkspartei noch ist die Linksfraktion kritikloses Sprachrohr der Bürgerinitiativen. Beide Seiten müssen sich ihrer eigenständi¬gen Rolle bewusst sein und in dieser Kenntnis eine kritisch-solidarische Zusammenarbeit pflegen.

Dies gelang in beeindruckender Weise mit der Organisation selbstständig agierender „Aktionsbündnisse für sozialverträgliche Kommunalabgaben“, die in den Regionen „Oberes Elbtal/Osterzgebirge“, in Chemnitz, in der „Oberlausitz/Niederschlesien“, „Südwest-“ und „Westsachsen“ zum Teil lokal sehr begrenzte Probleme aufgriffen und für eigene Lösungen vor Ort stritten und dabei auch konkrete Erfolge erzielten.

Ich erinnere exemplarisch nur an die Veranstaltungen in Delitzsch zu Fragen der Müllgebührenerhöhung unter dem Titel „Wird des Bürgers Geld nur noch verzockt?“.

Ja, wir stehen dazu: Politische Entscheidungsprozesse brauchen den gesellschaftlichen Druck von un¬ten. Und die Menschen, die diesen Druck ausüben, brauchen kritisch-soli¬darische Unterstützung von Seiten der Politik. Wir als LINKE waren und sind auch künftig bereit, diese Unterstützung zu leisten.

Gemeinsam mit Ihnen analysieren wir die aktuellen politischen Probleme, prüfen die Chancen für parlamentarische Korrekturen und for¬mulieren alternative Konzepte im gleichberechtigten, demokratischen Dialog mit den Menschen.
Veränderung gelingt nur so! Davon bin ich zutiefst überzeugt. Und nur gemeinsam können wir diese Veränderung früher oder später auch umsetzen.

Lassen Sie mich deshalb schließen mit einem Ausblick auf das Jahr 2009:

Auf den Tag genau in einem Jahr haben die Bürgerinnen und Bürger die Chance, die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages neu zu bestimmen. Vier Wochen zuvor sind die Menschen in Sachsen aufgefordert, ihren Landtag neu zu wählen.

Bei dieser Wahl wird nicht zuletzt auch darüber abgestimmt, ob ein Umsteuern im sächsischen Kommunalabgabenrecht und in Fragen direkter Bürgerbeteiligung möglich ist oder nicht. Es wird Sie nicht wundern, wenn ich hier sage: Je stärker DIE LINKE, desto größer die Chance auf spürbare Veränderungen in Sachsen.

Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten.

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