LINKE schlägt fünf Kriterien für Entscheidungen über Sportgroßveranstaltungen vor

Dr. André Hahn (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin den Grünen für diesen Antrag dankbar; denn er gibt uns die Möglichkeit, unmittelbar im Umfeld der vom DOSB beschlossenen Olympiabewerbung Hamburgs über verbindliche Regeln im internationalen Sport und über Kriterien für künftige Sportgroßveranstaltungen zu debattieren. Herr Kollege Gienger, im Gegensatz zu Ihnen meinen wir: Wir brauchen solche Regeln.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aus Sicht der Linken muss dabei eines klar sein: Nach all den wahrlich nicht nur positiven Erfahrungen der letzten Olympiaden und Fußballweltmeisterschaften darf es ein einfaches Weiter-so definitiv nicht geben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Spitzensport hat generell durchaus positive Wirkungen auf den Breitensport. Bekannte und erfolgreiche Sportler können als Vorbilder dienen und motivieren gerade Kinder und Jugendliche, selbst sportlich aktiv zu werden. Dennoch muss man konstatieren: Die zunehmende Kommerzialisierung im Hochleistungsbereich hat dem Sport insgesamt geschadet. Immer mehr Vereine, aber auch viele Spitzensportler sind auf Sponsoren angewiesen. Diese unterstützen aber vor allem jene Sportarten, die im Fokus der Medien stehen. Andere kommen kaum noch über die Runden. Den Kommunen fehlt oft das Geld, um den Breiten- und Schulsport besser zu unterstützen.

Deshalb muss dem Gigantismus bei Sportgroßveranstaltungen endlich Einhalt geboten werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn alles geht auch ein Stück kleiner und deutlich bescheidener. Ökologische Nachhaltigkeit ist ebenso wichtig wie die Einbeziehung der Bürger in die Entscheidung über eventuelle Austragungsorte.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Und Host-City-Knebelverträge wie in der Vergangenheit, meine Damen und Herren, darf es nicht mehr geben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die momentan nahezu uneingeschränkte Macht vor allem des Internationalen Olympischen Komitees und der FIFA muss endlich gebrochen werden. Und überhaupt: Müssen wirklich alle vier Jahre zu Olympia weltweit immer neue Sportanlagen aus dem Boden gestampft werden? Kann man nicht auch, wie zum Beispiel beim Weltcup, reihum bereits existierende Einrichtungen früherer Olympiastandorte nutzen?

(Beifall bei der LINKEN)

Über diese und andere Fragen sollten wir in den kommenden Wochen und Monaten miteinander diskutieren.

Ich möchte die heutige Debatte dazu nutzen, im Sinne eines Diskussionsangebotes einige Kriterien zu benennen, anhand derer über eine Befürwortung oder Ablehnung von Sportgroßveranstaltungen entschieden werden sollte. Denn für die Bürgerinnen und Bürger muss nachvollziehbar sein, warum wir für oder gegen eine bestimmte Sportveranstaltung sind. Die Diskussion um die Olympiabewerbungen der Städte München, Hamburg und Berlin zeigten, dass eine solche Verständigung über Kriterien wichtig ist. Wenn selbst traditionelle Wintersportorte wie Oslo – Frau Katrin Göring-Eckardt hat darauf hingewiesen – das Handtuch werfen und auf eine Bewerbung verzichten, dann muss das nachdenklich stimmen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Fakt ist und bleibt: Sportgroßveranstaltungen üben eine große Faszination auf Zuschauerinnen und Zuschauer aus; sie sind Höhepunkte im Leben der Athleten und können wichtige Werte in die Gesellschaft vermitteln. Die Grundidee der olympischen Bewegung ist auf Völkerverständigung, auf einen friedlichen Wettstreit von Athletinnen und Athleten aus unterschiedlichen Ländern gerichtet. Vor allem die Paralympics und andere Wettkämpfe der Behindertensportbewegung geben wichtige und nachhaltige Impulse hin zu einer inklusiven Gesellschaft, für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und die Beseitigung von Barrieren im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Fakt ist aber auch: Sportgroßveranstaltungen standen und stehen immer wieder im Spannungsfeld zwischen großer Begeisterung und öffentlicher Kritik. Das galt für die Olympischen und Paralympischen Spiele in Peking, Vancouver, London und Sotschi ebenso wie für die Fußballweltmeisterschaften in Südafrika und Brasilien und deren Vergabe an Russland und Katar. Die grundsätzliche Kritik, das habe ich eingangs schon angesprochen, trifft vor allem die dahinterstehenden Organisationen, insbesondere das IOC, die FIFA und auch die UEFA, die als von Korruption durchdrungen wahrgenommen werden und deren Funktionären Profitgier vorgeworfen wird. Aber es geht natürlich auch um die politisch Verantwortlichen in den Austragungsorten. Dahinter steht ein generelles Unbehagen gegenüber dem zunehmenden Einfluss kommerzieller sowie politischer Interessen auf die Vergabe und den Ablauf von Sportveranstaltungen, und die Linke teilt diese Kritik ganz ausdrücklich.

(Beifall bei der LINKEN)

Die olympischen Ideale und die Freude am Sport treten immer weiter zurück hinter die Interessen von Großkonzernen, die medienträchtige Sportveranstaltungen vor allem zur Platzierung von Werbung nutzen und die als Ausstatter bei Stadienbauten oder als sonstige Dienstleister möglichst hohe Gewinne einfahren wollen. Diese Dominanz von Profitinteressen öffnete zunehmend die Tür für Manipulationen und auch für Korruption. Die Linke will Profitinteressen bei der Ausrichtung von Sportgroßveranstaltungen zurückdrängen und wieder an die ursprüngliche olympische Idee anknüpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir schlagen fünf Kriterien für eine Befürwortung oder eine Ablehnung von Sportgroßveranstaltungen vor:

Erstes Kriterium sind für uns die sozialen und kulturellen Standards. Soziale Kriterien müssen sowohl bei der Bewerbung als auch bei der Durchführung von Sportgroßveranstaltungen eine entscheidende Rolle spielen. Ohne Bürgerentscheid darf es keine Olympischen Spiele geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Sowohl bei Infrastrukturmaßnahmen als auch bei den verschiedenen Kommunikationswegen muss auf die Barrierefreiheit geachtet werden. Ebenso wichtig ist es, dass es akzeptable Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutzvorschriften in den potenziellen Austragungsorten gibt und dass diese auch eingehalten werden. Hier stimme ich Herrn Kollegen Gienger ausdrücklich zu.

Zweites Kriterium sind die Menschen- und Bürgerrechte. Bei der Vergabe von Sportgroßveranstaltungen müssen insbesondere die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte des UN-Sozialpaktes sowie die Kernarbeitsnorm der Internationalen Arbeitsorganisation strikt eingehalten werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Der Umstand, dass durch ein Sportgroßereignis medial auf Missstände im jeweiligen Land aufmerksam gemacht wird, sollte positiv genutzt werden. Die Chance auf Austragung eines bedeutenden Sportereignisses kann auch bessere Möglichkeiten schaffen, um eine gesellschaftliche Öffnung und einen nachhaltigen Bewusstseinswandel zur Verbesserung der Menschenrechtslage im jeweiligen Land zu bewirken.

Drittes Kriterium ist die Gewährung nachhaltiger Standards. Sportgroßveranstaltungen haben immer auch ökologische Auswirkungen. Diese entstehen zum einen durch die Infrastrukturmaßnahmen, durch den Ressourcenverbrauch und durch eine erhöhte Mobilität und zum anderen durch das erhöhte Abfallaufkommen. Bereits vorhandene Sportstätten und Einrichtungen sollten maximal genutzt werden, für alle Neubauten müssen umfassende Nachnutzungskonzepte entwickelt werden,

(Beifall bei der LINKEN)

und in die jeweilige Bauplanung ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung zwingend zu integrieren.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Viertes Kriterium sind die ökonomischen und finanziellen Standards. Sowohl die Bewerbung als auch die Durchführung einer Sportgroßveranstaltung sind zum Teil mit erheblichen Kosten verbunden. Es ist zwingend notwendig, die Kosten transparent und öffentlich zu benennen. Dazu zählen auch die Bewirtschaftungskosten, die nach dem Sportgroßereignis auf die öffentliche Hand zukommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Fünftes Kriterium ist das Verhalten der Sportorganisationen; denn häufig sind die hinter der Sportveranstaltung stehenden Institutionen wie die FIFA und das IOC ‑ ich habe es gesagt ‑ der eigentliche Angriffspunkt für Kritik. Hier muss endlich ein Bewusstseinswandel stattfinden, und die im Dezember 2014 beschlossene Agenda 2020 des IOC könnte dazu ein erster wichtiger Schritt sein.

(Eberhard Gienger (CDU/CSU): Ist doch!)

Ich bin ‑ das haben Sie sicherlich gemerkt, ‑ persönlich durchaus ein Anhänger der olympischen Idee. Diese Idee ist in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten aber leider pervertiert worden. Deshalb habe ich großes Verständnis für alle Kritikerinnen und Kritiker, in meiner eigenen Fraktion genauso wie in der gesamten Gesellschaft. Deshalb begrüßen wir als Linke alles, was eine öffentliche Diskussion über diese Thematik befördert, und wir werden uns daran aktiv beteiligen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)