Politischer Aschermittwoch 2009

Rede beim Politischen Aschermittwoch in Chemnitz, 25. Februar 2009

Es gilt das gesprochene Wort!

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Närrinnen und Narren,
liebe Genossinnen und Genossen,

wie es inzwischen auch bei uns gute Tradition ist, will ich als Vorsitzender der Landtagsfraktion und Spitzenkandidat der sächsischen LINKEN zu Beginn dieser Veranstaltung zum Politischen Aschermittwoch keine Büttenrede halten – das soll anderen im Anschluss überlassen bleiben. Ich will mich stattdessen grundsätzlich-politisch mit der Politik in diesem Land auseinanderset-zen, wobei man auch dort bisweilen nicht weiß, ob man eher lachen oder heulen soll.

Zum politischen Phantom Stanislaw Tillich werde ich heute noch einiges sagen.
Manchmal beweist allerdings selbst das von ihm geführte Kabinett ungewollten Reali-tätssinn. Der letzte Gesetzentwurf, den die Regierung beschlossen und dem Landtag vor wenigen Tagen zur Beratung überwiesen hat, war das sächsische Bestattungsgesetz. Der Zustand einer Koalition in Endzeitstimmung lässt sich wohl kaum besser dokumen-tieren.
Herr Tillich hat allerbeste Chancen, als der Ministerpräsident mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte des Freistaates Sachsen einzugehen.

Als ich vor einem Jahr hier gesprochen und insbesondere das Landesbank-Desaster und den Sachsen-Sumpf thematisiert habe, hatte ich eine politische Kernforderung, und die lautete: Mi-nisterpräsident Georg Milbradt muss weg!
Es dauerte nicht mal sechs Wochen, bis er schließlich seinen Rücktritt erklärte.
Heute fordere ich hier aus Chemnitz: Die CDU muss endlich weg aus der Regierung! Fast zwanzig Jahre an der Macht sind wirklich genug!

Wenn ich in einem Jahr wieder hier bin, dann werden die Uhren in Sachsen spürbar anders ticken, da bin ich sehr zuversichtlich.
Schon seit dem Februar 2008 hat sich die Welt deutlich verändert. Wenn ich damals hier in meiner Rede die Verstaatlichung von Banken gefordert oder von Zwangsenteignungen gespro-chen hätte, dann hätte uns die Landesregierung den Verfassungsschutz auf den Hals gehetzt, weil wir angeblich die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährden würden.

Heute diskutieren CDU und SPD im Bund ganz unverhohlen über Staatsbeteiligungen, um so den Schaden, den sie mit ihrer neoliberalen Politik angerichtet haben, wenigstens halbwegs zu begrenzen. Als ich im August letzten Jahres angesichts der Finanzmarktkrise ein staatliches Konjunkturprogramm gefordert habe, da bin ich von Ministerpräsident Tillich sowie seiner Partei massiv angegriffen und belehrt worden, Konjunkturprogramme seien rausgeschmissenes Geld und könnten kein einziges Problem im Bereich der Wirtschaft lösen.
Inzwischen haben CDU, SPD und FDP auf Bundesebene schon ein zweites Konjunkturpaket auf den Weg gebracht, wobei insgesamt Steuermittel in dreistelliger Milliardenhöhe verausgabt werden. Für spürbare Anhebungen der Hartz-IV-Sätze, deutlich mehr Kindergeld oder die längst überfälligen Rentenanpassungen aber ist angeblich kein Geld da.

Das glaubt nach der Bereitstellung des gigantischen Rettungspaketes für die Banken ohnehin niemand mehr. Außerdem sollte man natürlich auch darüber nachdenken, die Einnahmeseite durch geeignete Maßnahmen zu stärken. Wir haben dazu klare Vorstellungen:
Ich denke dabei unter anderem an die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine deutliche Erhöhung der Erbschaftssteuer auf große Vermögen, das Austrocknen von nach wie vor existie-renden Steueroasen oder auch die Einführung einer Besteuerung auf Umsätze von reinen Fi-nanztransaktionen.
Ich jedenfalls fühle mich nach all den Rettungsschirmen, Bürgschaften und Konjunkturpaketen in einem Punkt absolut bestätigt: In diesem Land, in Deutschland ist genügend Geld vorhanden, es ist nur falsch verteilt und die Falschen haben das Sagen darüber, wofür es ausgegeben wird.
Und genau deshalb brauchen wir eine andere Regierung und eine andere Politik!

Besonders pervers, um es mal etwas drastisch zu formulieren, besonders pervers finde ich es, dass bei den aktuellen Wahlumfragen vor allem die FDP von der Krise profitiert, also jene Partei, die am skrupellosesten für das freie Spiel der Kräfte und Märkte eintritt, die jedwede Regulierungen und Kontrollen der Wirtschafts- und Finanzströme ablehnt.

Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Denn die derzeitige schwere Krise ist keine Naturkatastrophe, sondern die Folge von unverantwortlichem Handeln skrupelloser Bankmana-ger und dem Versagen sämtlicher politischer Kontrollinstanzen.

Man muss Oskar Lafontaine nicht mögen, aber eines ist Fakt: Er wollte als Bundesfinanzminis-ter eine europaweite Kontrolle der Finanzmärkte, er wollte ein Verbot von Hedge-Fonds und er wollte eine deutlich strengere Börsenaufsicht. Allerdings konnte er sich gegen Bundeskanzler Schröder damit nicht durchsetzen, und er traf zudem auch auf erbitterten Widerstand von Groß-britannien und Frankreich, was letztlich mit dazu führte, dass er sein Amt zur Verfügung stellte.
Deutschland hat sich kontinuierlich daran beteiligt, den Finanzsektor zu deregulieren und zu liberalisieren. Es war nicht die CDU, sondern es war die rot-grüne Bundesregierung, die seit der Jahrtausendwende immer wieder Weichen in die eindeutig falsche Richtung gestellt hat.

Ich nenne nur einige Beispiele: 2001 wurde der Anspruch auf eine den Lebensstandard si-chernde gesetzliche Rente aufgegeben. Über die teilweise Privatisierung der Altersvorsorge jubelte vor allem die Finanzbranche, denn für Banken, Versicherungen und Investmentgesell-schaften bedeutete dies gigantische Mittelzuflüsse. Die rot-grüne Koalition vereinbarte, die pri-vate Altersvorsorge kräftig mit Steuergeldern zu subventionieren. Allein für 2008 geht es dabei inzwischen um einen Betrag von 12,7 Milliarden Euro.
Im Jahr 2002 beschloss der deutsche Bundestag das vierte Finanzmarktförderungsgesetz. Da-mit wurden die Anforderungen an den börslichen Handel gelockert, die Anlagemöglichkeiten von Fonds erweitert und der Handel mit Derivaten nunmehr auch im Immobiliengeschäft er-laubt.

Seit 2003 fördert die Bundesregierung die Verbriefung von Krediten zu Wertpapieren durch steuerliche Vergünstigungen. Die unüberschaubare Verlagerung von Risiken aus den Bankbi-lanzen auf die Finanzmärkte bekam dadurch enormen Aufwind.
2004 schließlich machte Rot-Grün den Weg frei für die umstrittenen Hedge-Fonds, die von Jo-chen Sanio, dem BaFin-Präsidenten, zu Recht als „schwarze Löcher des internationalen Fi-nanzsystems“ bezeichnet wurden. Die hochspekulativen Fonds erhöhten den Renditedruck auf die gesamte Finanzbranche. Die Folge war eine drastische Zunahme waghalsiger Geschäfte.
Ab 2005 hat auch die nunmehr regierende Große Koalition keinerlei Stopp-Zeichen gesetzt. Noch im Jahr 2008 beschlossen CDU, SPD und FDP in Berlin milliardenschwere Steuerge-schenke für Private-Equity-Fonds.
Diese Fonds legen ihr Vermögen in nicht börsennotierten, mittelständischen Unternehmen an und pressen aus den jeweiligen Firmen überdurchschnittliche Gewinne, letztlich natürlich auf Kosten der Beschäftigten.

Die beiden letzten Bundesregierungen haben die Liberalisierung des Kapitalverkehrs fortwäh-rend vorangetrieben, sowohl zwischen den Mitgliedsstaaten der EU als auch gegenüber Dritt-ländern.
Zugleich wurde weder die Besteuerung von Kapitaleinkommen harmonisiert noch ein effizientes Kontrollsystem etabliert, um Steuerflucht zu vermeiden. Die Folgen dieser Regelungslücke sind erheblich: Die Besteuerung verlagert sich zunehmend auf weniger mobile Faktoren wie Arbeit und Konsum (Stichwort Mehrwertsteuer). Die öffentlichen Haushalte verarmten, und die Geld-vermögen wuchsen schneller als das Bruttoinlandsprodukt.

Um die Haushaltslöcher zu stopfen, sehen viele Kommunen, aber auch der Bund
zumeist nur einen Weg, nämlich massive Privatisierungen. Der jetzige Bundespräsident Horst Köhler plädierte ja 2003 sogar für die Privatisierung der Sparkassen. Zum Glück ist man ihm wenigstens hier nicht gefolgt.

Die politisch vorangetriebene Deregulierung und Liberalisierung haben dazu geführt, dass nicht mehr der Finanzsektor den Betrieben und Volkswirtschaften dient, sondern die so genannte Realwirtschaft inzwischen im Bann der Vorgaben der Finanzbranche steht.
Mit einem Marktanteil von 21,7 Prozent steht die Deutsche Bank weltweit auf Platz 1 der Devi-senspekulation. Die Frankfurter Derivatebörse Eurex rangiert unter den weltgrößten Börsen dieser Art: Allein an der Eurex wird das deutsche Bruttoinlandsprodukt in einem Jahr nahezu sechzig Mal umgeschlagen. Eine irrsinnige Menge Geld! Ein Großteil der heutigen Probleme ist also nicht vom Himmel gefallen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes hausgemacht.
Deshalb muss es in den kommenden Monaten im Wahlkampf auch um das jahrelange Versa-gen der herrschenden Politik gehen. Die Verantwortlichen dürfen sich nicht einfach dadurch davonstehlen, dass sie den von ihnen angerichteten Schaden nun mit dem Geld der Steuerzah-ler irgendwie reparieren.
Die LINKE erhebt deshalb drei ganz klare Forderungen: Wir verlangen erstens sichere Vorkeh-rungen, damit sich solche Vorgänge wie gegenwärtig niemals wiederholen können. Es darf nicht mehr zugelassen werden, dass Milliardengeschäfte außerhalb der offiziellen Bankbilanzen geführt werden.
Es müssen endlich angemessene Haftungsregelungen für Vorstände und Aufsichtsgremien im Finanzsektor geschaffen werden. Und natürlich brauchen wir auch verbindliche Vorkehrungen zur internationalen Regulierung der Finanzmärkte.

Zum zweiten muss sichergestellt sein, dass die eingesetzten öffentlichen Gelder in angemesse-ner Frist zurückgezahlt werden, sobald die Finanzwirtschaft wieder funktioniert. Die Bereitstel-lung von zusätzlichem Eigenkapital ist richtig, doch es bedarf dafür natürlich auch einer Gegen-leistung der Banken. Wo sich der Bund mit Geldern der Steuerzahler engagiert, muss der Staat auch an den Banken und späteren Gewinnen beteiligt werden.

Drittens ist aus meiner Sicht völlig klar: Die Verantwortlichen für das Banken-Desasters müssen zur Rechenschaft gezogen werden, juristisch und natürlich auch finanziell. Dabei geht es bei-spielsweise um die Rückforderung von bereits gewährten „erfolgsabhängigen“ Bonifikationen, von so genannten Genussrechten sowie Aktienoptionen oder sonstigen geldwerten Vorteilen.

Es kann doch nicht hingenommen werden, dass raffgierige Bankmanager Milliarden ver-zocken, ohne dass ihnen irgendetwas passiert, eine kleine Verkäuferin jedoch wegen 1,30 Euro auf die Straße gesetzt wird, wie wir erst dieser Tage erleben mussten.

Eines haben die Menschen im Land aus den jüngsten Entwicklungen hoffentlich gelernt: Ein zügelloser Kasino-Kapitalismus kostet nicht nur Milliarden, sondern bedroht letztlich auch die Demokratie.

Bei uns in Sachsen treffen sich heute auch CDU und FDP in Sachsen zum politischen Ascher-mittwoch. Die SPD hat gleich von sich aus auf eine eigene Veranstaltung verzichtet, es wäre vermutlich ohnehin kaum jemand gekommen, es sei denn, man hätte Karl Nolle als Hauptred-ner aufgeboten, doch diesen Mut haben die führenden Sozialdemokraten dann auch nicht ge-habt. Schließlich will man es sich ja nicht ganz mit seinem Noch-Koalitionspartner verderben…

Die sächsische CDU hat sich als Stargast des heutigen Abends den Bundestagspräsidenten Lammert geholt, dessen bislang markanteste politische Aussage die Forderung nach einer Talkshow-Pause für Politiker gewesen ist. Das wiederum ist mit dem diesjährigen Gast-Prominenten der sächsischen FDP nicht zu machen: Guido Westerwelle gehört zu den am meisten gebuchten Talkshow-Teilnehmern des deutschen Fernsehens. Das einzige, was CDU und FDP hier in Sachsen heute Abend verbinden wird, ist der Wille zur Macht.
Ich bin froh darüber, dass ich im Landtag in der Regel vor dem FDP-Fraktionschef sprechen kann, denn bei der Schleimspur, die er in den letzten Monaten bei seinen kaum noch erträgli-chen Anbiederungsversuchen an die Union hinterlässt, ist man akut sturzgefährdet.

Gleichwohl gebe ich durchaus zu, dass dank der PR-Beraterdoppelspitze der sächsischen Libe-ralen in Gestalt der Herren Zastrow und Herbst der Unterhaltungswert des Machtstrebens der FDP bisweilen etwas größer ist als bei der CDU. Aber von Sprüchen wie „Herz statt Hartz“, mit denen die FDP schon im letzten Wahlkampf zu punkten versuchte, kann sich kein Hartz-IV-Betroffener etwas zu essen kaufen.
Und auch die Handwerker und Gewerbetreibenden, um die die Werbeagentur namens „FDP“ buhlt, gehören mit zu den ersten Leidtragenden des Kasinokapitalismus, dem die Liberalen stets den roten Teppich ausgerollt haben. Für mich steht fest: Die neue, sozial gerechtere Poli-tik, die wir für Sachen brauchen, ist mit dieser konzeptionslosen Spaßpartei nicht zu machen.

Ich gebe auch – natürlich mit einem gewissen Bedauern – zu, dass nicht jeder, der nun erkennt, dass Karl Marx in wesentlichen Punkten seiner Analyse recht gehabt hat, deshalb bei der LINKEN sein Kreuzchen macht.
Leider auch nicht, nachdem mit Ole von Beust erst jüngst ein Regierungschef der CDU in einer Regierungserklärung offiziell bekundet hat, dass der Kapitalismus gescheitert ist, und man nun auch mit Marx im Kopf die CDU im Herzen haben kann.

Ich gebe als Letztes zu – mehr aber heute Abend wirklich nicht –, dass die Menschen in unsi-cheren Zeiten keine ideologischen Gewissheiten, sondern ordentliches Krisenmanagement ha-ben wollen. Natürlich eines, das in die richtige Richtung geht, schließlich hat Deutschland mit falschem Krisenmanagement in einer Weltwirtschaftskrise schon historisch einzigartig verhee-rende Erfahrungen gemacht.

Vor dem Hintergrund des europaweit größten Naziaufmarsches seit dem Zweiten Weltkrieg am 14. Februar in der sächsischen Landeshauptstadt sage ich bewusst: Wir leben in hochriskanten Zeiten, wirtschaftlich und politisch, und das alles erleben wir in Sachsen in verschärfter Form: Der Freistaat hielt im letzten Jahr die rote Laterne der Wirtschaftsentwicklung unter allen Bun-desländern, und für 2009 sieht es nicht besser aus. Und weit und breit kein Konzept der Regie-rung, um hier gegenzusteuern.

Nun ist uns seit dem letzten Aschermittwoch und lange vor der akuten globalen Finanz- und Wirtschaftskrise neben der ökonomischen Dynamik auch ein Ministerpräsident abhanden ge-kommen, der mehr als anderthalb Jahrzehnte von den Medien als Finanzgenie beweihräuchert wurde.
Der Treppenwitz der Wirkungsgeschichte von Georg Milbradt besteht aber nun genau darin, dass der viel gerühmte Sparkommissar eine zweite Natur hat und gerne mit hohem Risiko spe-kuliert – selbstverständlich nur mit dem Geld anderer Leute.
Und so führte er die Sächsische Landesbank zu einem Zeitpunkt in den Totalschaden, als die deutsche Bankenwelt andernorts noch in Ordnung war. Das lässt nichts Gutes ahnen für die Kompetenz der sächsischen CDU als Schutzschirm des Sachsenlandes!

Dem eher grobschlächtigen Milbradt folgte der smarteste Ministerpräsident aller Zeiten, dessen Krisenmanagement vor allem darin besteht, immer wenn`s hart auf hart kommt, vermelden zu lassen: Ich bin dann mal weg! Anders als bei Hape Kerkeling handelt es sich dabei aber nicht um eine gezielte Auszeit auf dem Jakobsweg, sondern um immer wiederkehrende Tonstörun-gen in der Verbindung zwischen Ministerpräsident und Außenwelt. Dass Tillichs Regierungs-sprecher wie schon die Vorgängerin unter Herrn Milbradt von der Landespressekonferenz den Negativ-Preis „Tonstörung“ für mangelnde Information bekommen hat, zeigt, dass die Arroganz der Macht nur ein anderes Gesicht bekommen hat, aber genauso weit weg von der Wirklichkeit ist wie zum Schluss Georg Milbradt.

Herr Tillich hat diesen Zustand des Entrücktseins schon nach sehr kurzer Amtszeit erreicht – andere brauchen dafür viele Jahre! Das mag auch daran liegen, dass er bereits vor seiner Er-nennung zum Ministerpräsidenten neun Jahre lang völlig geräusch-, spuren- und farblos Regie-rungsämter bekleidet hat.
Das soll ihm erstmal einer nachmachen! Herr Tillich lebt in seiner eigenen Welt, weshalb er die Öffentlichkeit ja auch nicht belogen hat, als er mit einem sachlich in mehreren Punkten objektiv falschen Lebenslauf den Eindruck vermittelte, er habe sich in der DDR überhaupt nicht für Poli-tik interessiert, geschweige denn mit ihr beschäftigt. Er glaubte daran.
Er glaubt wahrscheinlich auch jetzt, nach einigen notgedrungenen Korrekturen seiner offiziellen Biografie und obwohl aus dem früheren Angestellten einer Kreisverwaltung nun doch ein Stell-vertreter des Vorsitzenden des Rates des Kreises geworden ist, immer noch fest daran, dass er eigentlich mit den Machtstrukturen des realexistierenden Sozialismus in der DDR nichts zu tun hatte.

Tillich blieb gleichsam unbefleckt wie die Jungfrau Maria, die nach katholischer Kirchenlehre ein Kind empfangen und zur Welt bringen – aber zugleich auf wundersame Weise ewig Jungfrau bleiben konnte.
Das ist zwar ungewöhnlich und gewöhnungsbedürftig, aber irgendwie origineller als Tillichs Nummer, die mehr dem Klaus-Lage-Song gleicht: „Tausend Mal berührt, tausend Mal ist nichts passiert“, und als es nach tausend und einer Nacht endlich „Zoom“ gemacht hat, gab es die DDR nicht mehr.
Fakt ist: Die CDU wird ihre Strategie für das Wahljahr komplett überarbeiten müssen. Die ge-plante Schlammschlacht gegen die LINKE mit Blick auf die DDR-Vergangenheit muss nach den Pirouetten von Herrn Tillich wohl endgültig ad acta gelegt werden. Was ich dem Noch-Ministerpräsidenten vorwerfe, ist nicht dessen Funktion zu DDR-Zeiten, sondern die Art und Weise, wie er heute damit umgeht.
Wenn man derzeit führende sächsische CDU-Politiker hört, hat man den Eindruck, dass die Herrschaften zeitlebens auf der Flucht sind: Herr Flath trat also in die CDU ein, um der SED zu entkommen, auch wenn sich bis heute niemand gemeldet hat, der seinerzeit daran interessiert war, ihn als Genossen zu haben. Herr Buttolo flüchtete in Kampfgruppe und CDU, um seine Kinder katholisch erziehen zu können, auch wenn es in der DDR erwiesenermaßen zigtausen-de gläubige Katholiken gab, die ohne Kampfgruppe und CDU ausgekommen sind.
Herr Tillich aber ist die Krönung und deshalb ja auch Ministerpräsident: Er wurde nach entspre-chender politischer Schulung in der Potsdamer Kaderschmiede der SED Stellvertreter des Vor-sitzenden des Rates des Kreises Kamenz, also so etwas wie ein realsozialistischer Vizelandrat.
Auch Herr Tillich geriet nur durch Flucht in die CDU, schließlich war der von ihm anvisierte Pos-ten nur mit dem CDU-Parteibuch zu bekommen – das ist übrigens heute im neuen Großkreis Bautzen, zu dem Kamenz jetzt gehört, immer noch so …
Natürlich war die Vergangenheit des Ministerpräsidenten in der Blockpartei nicht ganz so unbe-kannt, wie heute manche Medienberichte suggerieren. Fakt ist: Im Gegensatz zu mir war Herr Tillich ein DDR-Staatsfunktionär, und er hat sich nach der Wende auch nicht zeitweilig zurück-gezogen, sondern aus dem Amt heraus für die letzte Volkskammer der DDR kandidiert, die ihn dann als Beobachter ins Europäische Parlament entsandte. Tillich war damit im Übrigen Anfang der 90er Jahre einer der bestbezahltesten Politiker im neu gebildeten Freistaat Sachsen.
Wir haben daraus keinen großen Skandal gemacht, weil es auch keiner ist. Ein Skandal oder zumindest eine Frechheit allererster Güte ist allerdings, was derselbe Herr Tillich seit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten vom Stapel gelassen hat. Er ließ ausrichten, dass er sich der These Flaths von der Gleichsetzung der LINKEN und der NPD wegen der Verwurzelung in dik-tatorischer Vergangenheit anschließt. Er hielt es auch nicht für nötig, dementieren zu lassen, dass er DIE LINKE als „Feinde“ bezeichnet haben soll.
Ich lasse mir ja von Menschen, die in der DDR um ihrer politischen oder weltanschaulichen Überzeugung willen berufliche und persönliche Nachteile erlitten haben, durchaus manches vorwerfen, auch wenn ich persönlich dafür objektiv nicht verantwortlich war.
Aber nicht von einem ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Kreises, der zu einem Zeitpunkt zur Karriere im Staatsapparat ansetzte, als viele kleine SED-Mitglieder mit wachsendem Nachdruck der Obrigkeit gegenüber ihren Unmut zum Ausdruck brachten, dass es so mit dem DDR-Staat nicht weitergehen könne.
Herr Tillich hat nicht das Recht, Menschen zu beschimpfen, die sich in der DDR im Unterschied zu ihm aus ehrlicher Überzeugung und nicht aus reinen Karrieregründen engagiert haben! Es gibt nämlich, wenn ich die gesammelten, schrägen Blockflöten-Töne der letzten Monate mal Revue passieren lasse, eigentlich nur zwei Schlussfolgerungen:
Entweder war die DDR durch und durch ein Unrechtsstaat, dann hätte Herr Tillich qua heraus-gehobenem Amt aktiv an diesem Unrecht mitgewirkt und müsste sich fragen lassen, ob er heute glaubwürdig den Freistaat Sachsen repräsentieren kann. Oder aber es gab tatsächlich auch ein paar gute Gründe, sich in der DDR in politische oder gesellschaftliche Verantwortung zu bege-ben – dann gilt das aber für alle und nicht nur für Mitglieder der CDU!
Es gilt auch für Tausende Lehrer, Erzieher, Hochschullehrer, es gilt für Beschäftigte in Verwal-tungen und gesellschaftlichen Organisationen, die in der Hierarchie des öffentlichen Lebens in der DDR weit unter Herrn Tillich standen und trotzdem in den neunziger Jahren in Sachsen we-gen angeblich zu großer „Staatsnähe“ in der DDR ihren Beruf verloren haben. Die Union dage-gen hat heute offenbar kein Problem damit, dass mittlerweile alle ostdeutschen CDU-Mitglieder im sächsischen Kabinett frühere „Blockflöten“ sind. Und wenn der sächsische CDU-Generalsekretär dieser Tage von einer „kollektiven Vergebung“ sprach, dann war das wohl vor allem auf die mehr oder weniger schwarzen Schafe in den eige-nen Reihen gemünzt und nicht zuletzt auf den Ministerpräsidenten selbst.
Ich sage dazu: Wer es ernst meint mit ehrlichen Lehren aus den Demokratie-Defiziten der DDR, der darf nie wieder Pauschal-Urteile über Menschen vom Parteibuch oder politischen Bekennt-nis abhängig machen. Sachsen braucht einen Neuanfang in der Landespolitik mit Menschen, die nicht den Staat zur Beute einer Partei machen, sondern ihr Amt für einen gesellschaftlichen Aufbruch nutzen wollen, der den verhängnisvollen Trend zu immer mehr sozialer Ungleichheit stoppt und umkehrt:
Gleiche Bildungs- und Berufschancen, gleiche Teilhabe am Leben der Gesellschaft, aber auch tatsächliche Gleichheit vor dem Gesetz – nicht nur auf dem Papier!
Mit diesem Anspruch ist es völlig unvereinbar, dass Herr Tillich seinen Personalfragebogen, den er im Zusammenhang mit seiner Ernennung zum Minister für Bundes- und Europaangelegen-heiten ausgefüllt hat, nach wie vor unter Verschluss hält. Nicht nur der „Spiegel“ hat berechtigte Zweifel daran geäußert, dass Stanislaw Tillich damals wahrheitsgemäße Antworten gab. Unzähliger Ostdeutsche haben wegen eines solchen Frage-bogens seit 1990 ihren Arbeitsplatz im Öffentlichen Dienst verloren.
Sie alle haben einen Anspruch darauf zu erfahren, ob sich Herr Tillich sein hoch dotiertes Regierungsamt durch Täuschung erschlichen hat. Hier geht es nicht um Vergebung, Herr Kretschmer, hier geht es um Wahrheit und Wahrhaftigkeit, und damit letztlich auch um Gerechtigkeit. Herr Tillich hat es in der Hand, endlich alle Karten auf den Tisch zu legen.
Einer der ersten Schritte zur Gleichheit im Sinne der universalen, vor 60 Jahren proklamierten Menschenrechte wäre in Sachsen die Überwindung der CDU-Doppelmoral beim Umgang mit ostdeutschen Biografien.
Der 20. Jahrestag der von der CDU gern beschworenen „friedlichen Revolution“ kann nach den kommenden Landtagswahlen zugleich der Anfang einer Ära ohne Staatspartei sein – die säch-sischen Wählerinnen und Wähler haben es in der Hand!
Noch jedoch ist Stanislaw Tillich, der ewig Unbefleckte, Ministerpräsident aller Sachsen, wie er hervorgehoben hat, nur ist er leider nie da. Es sei denn, er kann mit drolligen Drillingen Tiere im Zoo streicheln, mit netten Bürgern Skat spielen oder auf dem Dresdner Striezelmark in Stollen beißen.

Aber wenn mit Qimonda der größte Arbeitgeber Dresdens und ein Schlüsselbetrieb des mit Mil-liarden Steuergeldern gepäppelten Mikroelektronik-Leuchturms mit dem wohlklingenden Namen „Silicon Saxony“ vor dem Aus steht, ist Tillich bei einer bunten Bergparade oder schweigsam im Nirgendwo. Zwischendurch hatte sein Finanzminister einen Nachtragshaushalt zur Rettung von Qimonda angekündigt, die CDU-Fraktion keck dagegen gesprochen – und der Ministerpräsident war mal wieder weg. Anstatt nach Brüssel zu fliegen und sich für EU-Beihilfen einzusetzen, ließ er es sich auf der Grünen Woche in Berlin einen ganzen Tag lang bei Würstchen und Kräuter-schnaps gut gehen.
Herr Tillich war auch weg, als Zehntausend engagierte Bürger auf den Straßen Dresdens für das Ansehen der Stadt angesichts des braunen Schattens beim Gedenken an die Opfer der Bombardierung Gesicht gezeigt haben. Konservative Bürgermeister in Köln oder Wunsiedel haben in vergleichbaren Situationen weit mehr Format gezeigt als die gesamte sächsische CDU an diesem Tag!

Nein, mit dieser Strategie der vornehmen Abwesenheit, des ängstlichen Schweigens und des vorauseilenden Verzichts auf eine eigene Meinung hat sich Herr Tillich als Krisen-manager für Sachsen in schweren Zeiten gründlich disqualifiziert.
„Yes, we can“, hat Obama gesagt. „No, he can`t“ muss man dagegen über diesen Minis-terpräsidenten sagen. Er kann`s eben nicht.

Tanzen mag er können, wahrscheinlich sogar besser als ich, jedenfalls hat er sich auf dem Par-kett des Dresdner Opernballs nicht blamiert.
Dafür hatte er zuvor den Freistaat Sachsen weltweit der Lächerlichkeit preisgegeben mit der Verleihung eines so genannten sächsischen Dankordens an Herrn Putin, ohne dass jemand ganz genau sagen könnte, wofür er ihn eigentlich bekommen hat. Vielleicht ja auch für seine frühere KGB-Tätigkeit…

Herr Tillich hat auch dazu geschwiegen, aber er ließ hinterher seine Staatskanzlei erklären, er habe die vom Trägerverein des Semperopernballs erdachte Verleihung übernommen, weil die russische Seite auf einem ordentlichen protokollarischen Vorgang bestanden habe. Das ist ty-pisch für Tillichs Politik: Wir wissen zwar nicht, was wir wollen und wohin wir gehen, aber dabei machen wir eine protokollarisch perfekte Figur!
Mit Gestaltung des Landes hat all das wahrlich nur sehr wenig zu tun.

In der vergangenen Woche fuhr Stanislaw Tillich zu seinem – wie es hieß – Antrittsbesuch nach Prag. Er tat dies mit einer Verspätung von fast zehn Monaten, nachdem er bereits am Tag sei-ner Nominierung als Nachfolger von Georg Milbradt angekündigt hatte, als erstes unsere Nach-barländer zu besuchen. Stattdessen fuhr er noch vor seiner ersten Regierungserklärung in einer Pilgerreise auf Steuerzahlerkosten zum Papst nach Rom.

Aber ich will den Ministerpräsidenten in diesem Punkt nicht zu sehr schelten. Schließlich hat er ja nun wenigstens in Prag einmal Steuergelder gespart, in dem er seinen Antritts- und Ab-schiedsbesuch gleich mit einander verbunden hat.

Ich hätte noch eine ganze Reihe von Themen, die ich hier ansprechen könnte.
Von der vermurksten Kreisgebietsreform oder der mehr als zweifelhafte Verleihung des Bun-desverdienstkreuzes für den CDU-Ultra-Rechten Volker Schimpff über die Waldschlösschen-brücke und den Streit über den Welterbetitel in Dresden bis hin zu Beeinflussung der sächsi-schen Justiz durch politische Verantwortungsträger, wobei der so genannte „Sachsen-Sumpf“ – nach allem was wir wissen – vermutlich nur die Spitze eines Eisberges darstellt.
Ich sage heute nichts zum neuen amerikanischen Präsidenten, zur Bundespräsidentenwahl, zum Bildungsgipfel von Bundeskanzlerin Merkel, und ich habe leider auch nicht die Zeit, auf die Olympischen Sommerspiele in Peking und den wirklich sympathischen Gewichtheber-Sieg des Neu-Chemnitzers Matthias Steiner einzugehen.

Lasst mich deshalb zum Ausgangspunkt zurückkommen: Sechs Wochen nach dem letzten poli-tischen Aschermittwoch hat Georg Milbradt seinen Hut genommen. Diesmal müssen wir auf die Wirkung ein wenig länger warten, aber in sechs Monaten sind schließlich Landtagswahlen.
Wir als LINKE sind bereit und wir sind auch fachlich wie personell in der Lage, noch mehr Ver-antwortung für unser Land zu übernehmen.

Die aufgeregten Diskussionen der anderen Parteien nach den Landtagswahlen vom vergange-nen Jahr und auch nach unserem Wiedereinzug in Hessen Mitte Januar 2009 haben gezeigt: LINKS wirkt und bringt endlich Bewegung in das politische Koordinatensystem der Bundesre-publik, und das ist auch gut so!
Als ich nach meiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden im Juli 2007 vorschlug, darauf hinzuwir-ken, die abgewirtschaftete CDU in Sachsen durch ein gemeinsames Vorgehen der anderen demokratischen Fraktionen nach der nächsten Landtagswahl abzulösen, wurde dieses Ansin-nen noch empört zurückgewiesen.
Inzwischen schließen auch Herr Dulig von der SPD und Frau Hermenau von den Grünen eine Koalition mit der LINKEN auch für Sachsen nicht mehr aus. Das begrüße ich. Entscheidend für eine mögliche Zusammenarbeit müssen aus meiner Sicht letztlich die gemeinsamen politischen Schnittmengen sein. Für eine Koalition um jeden Preis bin ich nicht zu haben!

Wir als LINKE haben klare politische Positionen und realisierbare Vorstellungen für die Entwick-lung des Landes, stellen für sachorientierte Gespräche aber natürlich keine Vorbedingungen: Daran sollten sich auch andere potenziellen Partner halten.
Insofern ist es angesichts der Ausgangslage hier in Sachsen schon ziemlich befremdlich, wenn Herrn Dulig versucht, den „Matschie“ zu spielen und erklärt, eine Koalition mit uns komme für die SPD nur dann in Frage, wenn die Sozialdemokraten stärker seien als die LINKE. Jeder hier im Land weiß, dass das auf absehbare Zeit nicht eintreten wird.

Dennoch braucht dieses Land dringend eine andere, sozial gerechtere Politik! Dafür steht die LINKE, und gemeinsam mit SPD und Grünen könnte diesbezüglich für die Men-schen in Sachsen eine Menge erreicht werden, wenn bestimmte unnötige (Selbst-)Blockaden endlich aufgegeben werden.

Zusammen wäre es z. B. möglich, eine anderes Schulsystem mit längerem
gemeinsamen Lernen sowie ein wirklich modernes Hochschulgesetz durchzusetzen. Die Zu-gangsbeschränkungen im Kindertagesstättenbereich könnten abgeschafft, die Familien- und Jugendförderung verbessert, die Bürgerrechte ausgeweitet und die Volksgesetzgebung erleich-tert werden. Und nicht zuletzt geht es darum, den „schwarzen Filz“ in Sachsen endlich aufzulö-sen.
All das und vieles weitere geht ganz offenkundig nicht mit der CDU, wie die
sächsische SPD inzwischen leidvoll erfahren musste.
Seit 1990 wurde im Osten wohl noch nie ein kleinerer Koalitionspartner derart gedemütigt und konnte so wenig durchsetzen wie die hiesigen Sozialdemokraten. Die SPD muss sich entschei-den, ob sie künftig weiter höchstens 20 Prozent ihrer politischen Ziele mit der CDU realisieren
oder 80 Prozent ihrer landespolitischen Vorstellungen gemeinsam mit uns umsetzen will.

Noch einmal: Die Entscheidung über Koalitionen nach 2009 kann nur auf der
Grundlage politischer Inhalte getroffen werden und darf nicht abhängig davon sein, ob eine Par-tei stärker ist als die andere. Stimmen die Inhalte, ist die LINKE zur Kooperation bereit.
Im Übrigen gibt es in Deutschland klare parlamentarische Regeln: Die stärkste
Fraktion innerhalb einer Koalition stellt den Regierungschef. Wir haben das in
Mecklenburg-Vorpommern und Berlin akzeptiert und gehen daher selbstverständlich davon aus, dass die Sozialdemokraten dies in Thüringen oder Sachsen im umgekehrten Fall ebenso tun.

George Bernhard Shaw hat einmal gesagt: „Demokratie ist ein Verfahren, das garantiert, dass wir nicht besser regiert werden, als wir es verdienen.“ Ich bin sicher, immer mehr Menschen in diesem Land spüren: Sachsen hat besseres verdient als Stanislaw Tillich und seine CDU!

Und ich füge hinzu: Der sicherste Weg zur Ablösung der Union ist eine starke LINKE. Packen wir es an! Vielen Dank und ein herzliches Glück auf!

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