Podiumsveranstaltung „Den Nazis entgegentreten – Dresden zwischen Mythos und Wirklichkeit“

Rede zur Eröffnung der Podiumsveranstaltung „Den Nazis entgegentreten – Dresden zwischen Mythos und Wirklichkeit“, vom 11.02.2009

Es gilt das gesprochene Wort!

 

(Anrede)
die Landtagsfraktion der sächsischen LINKEN hat für heute Abend zu einer Podiumsveranstaltung unter dem Titel „Den Nazis entgegentreten – Dresden zwischen Mythos und Wirklichkeit“ eingeladen, und ich freue mich sehr, dass Sie dieser Einladung gefolgt sind.
Ich darf Sie im Namen der Abgeordneten zu Beginn ganz herzlich begrüßen und zur Eröffnung einige Worte an Sie richten.
In den kommenden Tagen finden hier in Dresden anlässlich des inzwischen schon 64. Jahrestages der Bombardierung dieser Stadt zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt, und ich finde es gut, dass sich so viele Gruppierungen engagieren, um nicht zuzulassen, dass die Nazis dieses Datum für ihre geschichtsverfälschenden Zwecke instrumentalisieren können.
Die Abgeordneten und Mitarbeiter der Linksfraktion im Sächsischen Landtag werden selbstverständlich am Sonnabend an den verschiedenen Aktivitäten der Organisatoren von „Geh denken!“ teilnehmen. Und wir nehmen nicht nur passiv daran teil, sondern haben uns von Anfang dafür engagiert. Cornelia Ernst als Landesvorsitzende der sächsischen LINKEN und ich als Vorsitzender der Landtagsfraktion gehören zu den Erstunterzeichnern dieser Initiative.
Gleichwohl wollen wir als Fraktion auch mit einer eigenen Podiumsdiskussion Akzente setzen, die wir ganz bewusst nicht am kommenden Wochenende, sondern einige Tage vorher platziert haben. Wir wollen keine konkurrierenden Veranstaltungen, und ich sage es an dieser Stelle auch ganz eindeutig: Ich finde es überaus bedauerlich, was die Dresdner CDU hier in den letzten Wochen und Monaten abgeliefert hat. Anstatt sich der partei- und auch konfessionsübergreifenden Initiative „Geh denken“ anzuschließen, wollten der Stadtvorsitzende Lars Rohwer und die Oberbürgermeisterin Orosz unbedingt eine separate Veranstaltung am 14. Februar.
Besonders abwegig und geschmacklos fand ich persönlich die Briefe von Herrn Rohwer an kirchliche Würdenträger und andere Unterzeichner des „Geh-Denken“-Aufrufes, in denen er diese mit fadenscheinigen Begründungen aufforderte, ihre Unterschrift wieder zurückzuziehen. Zum Glück haben sich davon nur ganz wenige beirren lassen. Dass Kurt Biedenkopf, der frühere Ministerpräsident dieses Landes, dazugehörte, hat mich persönlich sehr enttäuscht.
Doch zurück zur heutigen Veranstaltung. Wie wir alle wissen, wird das Gedenken hier in Sachsen und insbesondere in der Landeshauptstadt von den Nazis ja schon seit längerem parteipolitisch instrumentalisiert. Ich denke hier nur an die unsäglichen Ausfälle der NPD-Fraktion im Landtag vor etwa vier Jahren, als mit Blick auf die Zerstörung Dresdens von einem „Bomben-Holocaust“ gesprochen wurde, und ich denke an die jährlichen Aufmärsche tausender Neonazis hier in dieser Stadt, die dabei das Andenken an die durch die Luftangriffe zu Tode gekommenen Menschen für ihre durchsichtigen Zwecke missbrauchen.
Zugleich bin ich sehr froh darüber, dass sich immer mehr Dresdner und Dresdnerinnen gegen diesen Missbrauch zur Wehr setzen und den Nazis deutlich machen: Ihr habt hier nichts verloren!
Deshalb danke ich ausdrücklich allen, die den demokratischen Protest organisiert haben und natürlich auch jenen, die sich an den verschiedenen Aktivitäten beteiligen.

Vor zwei Wochen haben wir im Sächsischen Landtag in einer – wie ich fand – sehr angemessenen und würdigen Art und Weise der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Und wenn man die geschichtlichen Abläufe im Komplex betrachtet, dann sind letzten Endes auch die Tausenden Toten in Dresden Opfer des von den Faschisten angezettelten zweiten Weltkrieges, der von Deutschland ausging und dann hierher zurückkehrte. Bei aller berechtigten Trauer um die Toten darf dieser Fakt weder vergessen noch verschwiegen werden.

In diesem Jahr hielt neben dem Landtagspräsidenten und dem Ministerpräsidenten der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, die Hauptansprache in der Gedenkstunde des Landtages.

Vor zwölf Monaten, am 27. Januar 2008, war es Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrates der deutschen Sinti und Roma, der die offizielle Gedenkrede gehalten hat.
Dieser Auftritt von Romani Rose war alles andere als eine Selbstverständlichkeit, denn bekanntlich gehört die von ihm geführte Organisation zu jenen NS-Opferverbänden, die in einer spektakulären Austrittswelle Anfang 2004 ihre Mitwirkung in der Stiftung Sächsische Gedenkstätten aufkündigten.
Dieser Schritt kam damals keinesfalls überraschend, denn sofort nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Errichtung der Stiftung zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft im Herbst 2003 hatten die NS-Opferverbände unisono ihre scharfe Kritik vorgetragen; die von der Staatsregierung und insbesondere vom damaligen Ministerpräsidenten Milbradt zunächst ignoriert und später als angeblich „unglückliche Vorgänge“ bagatellisiert wurden.

Die massiven Vorbehalte der Opfer der Nazi-Diktatur hatte seinerzeit der Zentralrat der Juden in Deutschland prägnant auf den Punkt gebracht, als er am 21. Januar 2004 erklärte:
„Durch die Konzeption der sächsischen Landesregierung, die auch bundespolitische Signalwirkung in der Gedenkstättenförderung hinsichtlich einer Re-Nationalisierung des Gedenkens entfaltet, wird geschichtspolitisch die Zeit nach 1945 unter dem Stichwort ‚doppelte Vergangenheit’ einer ‚Waagschalen-Mentalität’ ausgesetzt – mit
den nationalsozialistischen Verbrechen in der einen und den kommunistischen Verbrechen in der anderen Waagschale.“

Mit dem Bild von der Waagschale verdeutlichte der Zentralrat der Juden den Kern des Problems: Es wird ein vermeintliches geschichtliches Kontinuum von 1933 bis 1989 suggeriert, bei dem die fundamentalen Unterschiede zwischen dem NS-Terrorregime und der DDR-Zeit und dem dort begangenen Unrecht eingeebnet und nivelliert werden.

Mit dem Austritt der NS-Opferverbände aus den Stiftungsstrukturen begann vor fünf Jahren aus der Sicht der Linksfraktion eine geschichtspolitische Blamage für den Freistaat, die bedauerlicherweise bis heute andauert. Diese scheinbar unendliche Geschichte hat mehrere Ursachen, deren wichtigste ich hier klar benennen will:
In Sachsen dominiert seit vielen Jahren ein staatlich verordneter Revisionismus in der offiziellen Erinnerungskultur und der Geschichtspolitik, der bundesweit einmalig ist.

Zwar wird nicht zuletzt auf Druck der SPD selbst in der Koalitionsvereinbarung die „Singularität des Holocaust“ eingeräumt, aber diese Feststellung ist leider oftmals ein rituelles Lippenbekenntnis, wenn man sich die Praxis im Freistaat etwas genauer anschaut.
Damit will ich keineswegs die redlichen Bemühungen der zuständigen Ministerin und ihrer Vorgängerin in Abrede stellen, aber weder Frau Ludwig noch Frau Stange waren bzw. sind offenkundig in der Lage, sich im Bezug auf die Stiftung Sächsische Gedenkstätten aus der geschichtspolitischen Umklammerung der sächsischen CDU zu lösen, die jede Korrektur verweigert.

Prof. Dr. Salomon Korn stellte in einer gemeinsamen Erklärung der Vertreter der Opfer- und Betroffenenverbände der nationalsozialistischen Verfolgung am 29. Oktober 2007 deshalb mit einer gewissen Bitterkeit fest: „Unsere vielfältigen Bemühungen über Jahre hinweg und gegenüber wechselnden Ministerien haben zu keiner grundsätzlichen Änderung der Lage geführt“.

Als wir vor gut einem Jahr zu dieser Thematik eine aktuelle Debatte im Landtag durchsetzten, wurde von Wissenschaftsministerin Stange die von den NS-Opferverbänden und der demokratischen Landtagsopposition seit Jahren angemahnte Änderung des Stiftungsgesetzes in einem Zeitungsinterview öffentlich angekündigt.

Ich habe der Ministerin damals für dieses wichtige Vorhaben, das angesichts der abtretenden Generation der Überlebenden des Holocaust umso dringlicher erscheint, vor allem politische Durchsetzungskraft und viel Stehvermögen gegenüber dem Koalitionspartner gewünscht und hinzu gefügt, dass auch die CDU endlich begreifen müsse, dass alle demokratischen Parteien im Landtag bei aller Unterschiedlichkeit auch eine gemeinsame Verantwortung für eine demokratische Erinnerungskultur im Freistaat Sachsen haben.

Ein Jahr nach dieser Debatte haben wir jedoch leider noch immer kein neues Gedenkstättengesetz und stattdessen weiterhin völlig unnötige parteipolitische Auseinandersetzungen in der Koalition von CDU und SPD, denn der vom Stiftungsrat für die Leitung der Stiftung vorgeschlagene Kandidat – ein SPD-Mitglied – ist im mehrheitlich CDU-besetzten Kabinett vor wenigen Tagen ohne nachvollziehbare Begründung durchgefallen. Wer so agiert, beschädigt ohne Not die Gedenkkultur in unserem Land.
Und ich sage auch in aller Deutlichkeit: Die scheinbar unendliche Geschichte des Streites mit den NS-Opferverbänden muss möglichst bald ein Ende haben.
Wir brauchen hier bei uns in Sachsen endlich ein neues Gedenkstättengesetz, das die Singularität der Nazi-Verbrechen auch in den Gremien der Stiftung eindeutig klarstellt!

Bei aller berechtigten Kritik an der DDR und dem unbestrittenen Anspruch von Opfern des Stalinismus auf die Darstellung ihrer Verfolgung, darf es bezüglich der Einzigartigkeit des Holocaust keinerlei Relativierung geben.

Angesichts dessen, was wir in Sachsen noch an Defiziten haben, freue ich mich ganz besonders, dass ich heute hier neben anderen Gästen mit Nora Goldenbogen auch die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Dresden begrüßen kann.
Diskutanten in der heutigen Debatte werden neben unserer Landesvorsitzenden Cornelia Ernst und der Dresdner Abgeordneten der LINKEN, Julia Bonk, die sich sehr für die heutige Veranstaltung stark gemacht hat, unter anderem auch Friedemann Bringt vom Kulturbüro Sachsen, der Publizist Gunnar Schubert und der Rechtsextremismusforscher Andreas Speit sein. Herr Speit ist Redakteur von „Der Rechte Rand“ und schreibt regelmäßig u.a. für „taz“, „Freitag“ und „Blick nach Rechts“. Seien Sie alle herzlich willkommen.

Mir diesen Worten will ich es meinerseits auch bewenden lassen. Ich wünsche Ihnen heute eine interessante Diskussion und uns allen am Wochenende ein ebenso überzeugendes wie friedliches Signal gegen den Aufmarsch der Neonazis.

Herzlichen Dank!

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