Ohne Politikwechsel ist in zehn Jahren ein Drittel der sächsischen Rentnerinnen und Rentner arm

Die Linksfraktion veranstaltet in Leipzig am Sonnabend ihre dritte Armutskonferenz. Die erste fand im Oktober 2007 in Borna statt und stellte sich der Armutsproblematik in Sachsen insgesamt. Die zweite Konferenz im Januar dieses Jahres in Dresden wandte sich dem Thema Kinderarmut zu. In Leipzig widmet sich die Linksfraktion der Altersarmut. Dazu erklärt der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, Dr. André Hahn:

„Der Ort der Konferenz ist nicht zufällig gewählt. Die Messestadt hat im Vergleich zu anderen sächsischen Großstädten die mit Abstand höchste Armuts- und auch Altersarmutsquote. Deshalb wurde Leipzig von uns schon vor Jahren als sächsische Armutshauptstadt bezeichnet.

Wir wollen, gestützt auf die von unserem Sozialexperten Dr. Dietmar Pellmann erarbeitete Studie, die Öffentlichkeit für Ausmaß und Ursachen der Altersarmut sensibilisieren, die in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren gerade in Sachsen beträchtlich zunehmen wird Dies gilt allerdings nur, wenn es auf Landes- und Bundespolitik zu keinem grundlegenden Politikwechsel kommen würde. Armut ist nicht gottgegeben, auf der Konferenz werden daher Konzepte zur Eindämmung und Abwendung von Altersarmut vorgestellt. Dazu wird auf der Konferenz der stellvertretende Fraktions- und Bundesvorsitzende der LINKEN, Klaus Ernst, sprechen. Breiten Raum werden Vorschläge der Vertreter von Gewerkschaften und Sozialverbänden einnehmen.

Wir haben eine Große Anfrage „Lebenslagen und Perspektive älterer Menschen in Sachsen“ eingereicht, damit die Staatsregierung Farbe bekennen muss. Inzwischen liegen die Antworten vor. Darauf antworten wir mit unserer Studie und 20 Thesen, die wir heute der Öffentlichkeit vorstellen. Entgegen der realitätsfernen Sicht der Staatsregierung, dass Altersgrundsicherung und Hartz IV eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen, teilen wir die Auffassung der Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrt in Sachsen, dass sich diese Leistungen weit unterhalb der in Deutschland geltenden Armutsgrenze befinden.

Falsch ist auch die Behauptung der Staatsregierung, es gebe keine wesentlichen Ost-/West-Unterschiede bei der Lage älterer Menschen, obwohl die Alterseinkünfte insgesamt im Osten immer noch ein Fünftel unter West-Niveau liegen. Die Schere wird künftig weiter auseinander gehen, weil gerade in Sachsen die Staatsregierung durch Ausrichtung auf den Ausbau des Sektors von Niedriglohn und Minijobs steigende Altersarmut produziert. Schon heute sind im Freistaat ca. 130.000 Erwerbstätige als „Aufstocker“ auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen, was mit späteren Rentenverlusten verbunden ist. Als einziges Mittel gegen Altersarmut setzt die Staatsregierung auf private Altersvorsorge. Dass dazu aber schon heute ein Drittel der Sachsen im arbeitsfähigen Alter auf Grund ihres Einkommens nicht in der Lage ist, bleibt unerwähnt.

Sachsen ist das Bundesland mit der ältesten Bevölkerung, daraus ergibt sich in Zukunft auch ein überdurchschnittlich hoher Pflegebedarf. Die damit verbundenen stark steigenden Kosten werden vor allem die schon jetzt klammen Städte und Gemeinden zu schultern haben, weil immer weniger ältere Menschen zur Übernahme der vollen Pflegekosten selbst in der Lage sein werden. Statt wie bisher die Verantwortung für diesen Bereich sozialer Daseinsvorsorge auf die Kommunen abzuschieben, muss der Freistaat selbst aktiv werden und besonders im Bundesrat rentenpolitische Initiativen u. a. zur Ost-West-Angleichung der Alterseinkommen ergreifen.“

Der sozialpolitische Sprecher der Linksfraktion, Dr. Dietmar Pellmann, fügt hinzu: „Die Studie basiert auf zahlreichen Drucksachen des Sächsischen Landtages (Antworten der Staatsregierung auf Große und Kleine Anfragen), auf Materialien des Statistischen Bundesamtes und des Statistischen Landesamtes, auf Armutsberichten von Bund und Land, auf Unterlagen der Rentenversicherungsträger sowie auf Stellungnahmen und Studien von Wohlfahrts- und Sozialverbänden. Im Unterschied zur allgemeinen Lebenslagen- und Armutsforschung stecken spezielle Untersuchungen zur Altersarmut noch in den Kinderschuhen.

Altersarmut ist in Sachsen heute noch nicht so verbreitet wie die allgemeine Armut. Geht man nach den EU-Kriterien, so dürfte zurzeit etwa jeder Fünfte über 65-Jährige in Sachsen objektiv arm sein, während die allgemeine Armutsquote bei etwa 25 Prozent liegt. Im von der Staatsregierung heraus gegebenen Bericht über Lebenslagen in Sachsen werden 24 Prozent, damit jene mit einem monatlichen Einkommen von unter 974 Euro ausgewiesen. Als eine Art Richtwert könnte auch die für die Bundesrepublik festgelegte Pfändungsgrenze von 990 Euro gelten.

Neben einem Rückstand bei den gesamten Alterseinkünften der neuen Bundesländer gegenüber den alten spielt auch das unterschiedlich verteilte Wohneigentum als traditionelle Form der Altersvorsorge, eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Altersarmut. Während über 53 Prozent der über 65-Jährigen in den alten Bundesländern über Wohneigentum verfügen, sind es in Sachsen lediglich 26 Prozent. Der Freistaat nimmt hinsichtlich dieser Quote nach Berlin den vorletzten Platz im Vergleich mit allen Bundesländern ein.

Die Autoren einer Studie der Außenstelle Dresden des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vermuten, dass schon 2020 etwa 40 Prozent der dann über 65-Jährigen in Sachsen arm sein dürften; bei Frauen seien so sogar mehr. Käme es wirklich nicht zu den von uns geforderten Veränderungen, dann könnte die Armutsquote nach unserer Schätzung bei den über 65-Jährigen schon 2020 in Sachsen bei ca. einem Drittel liegen. Dabei handelt es sich um eine eher optimistische Annahme, zumal wir heute noch gar nicht abschätzen können, zu welchen Verwerfungen die erst begonnene weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise führt.

Sachsen ist stärker als die alten Bundesländer von zunehmender Altersarmut bedroht. Schon heute ist der Freistaat neben Sachsen-Anhalt das Bundesland mit der ältesten Bevölkerung. Ende 2007 lag der Altersdurchschnitt bei 45,4 Jahren, damit um 2,4 Jahre über dem Bundesdurchschnitt. Bedingt vor allem durch Abwanderung wuchs der Altersdurchschnitt der sächsischen Bevölkerung in nicht einmal zwei Jahrzehnten um sechs Jahre, damit um fast das Doppelte gemessen am gesamten Bundesgebiet.

Die Hauptursachen für Altersarmut sind bekannt und müssen beseitigt werden. Dazu gehören die Absenkung des realen Rentenniveaus seit 2003 um 10 Prozent, unterbrochene Erwerbsbiografien (schon heute muss ein Durchschnittsverdiener 27 Jahre in die Rentenversicherung einzahlen, damit seine spätere Rente wenigstens das Sozialhilfeniveau erreicht), Verschärfung des Risikos von Altersarmut mit Hartz IV (10 Jahre Langzeitarbeitslosigkeit führen nicht einmal zu einem Rentenpunkt), Benachteiligung von Frauen bei Lohn und Gehalt, Ausweitung des Niedriglohn- und Minijobsektors und unzureichende Altersvorsorge für Selbstständige.

Wir wollen die Rücknahme aller die gesetzliche Rente senkenden Regelungen, die Angleichung des Rentenwertes Ost ans West-Niveau, den Übergang zur solidarischen Erwerbstätigenversicherung, gesetzlichen Mindestlohn und eine bedarfsorientierte Mindestsicherung.“