Erwiderung auf die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Ministerpräsident!

Ich habe Ihnen namens meiner Fraktion unmittelbar nach Ihrer Wahl gratuliert und Ihnen im Interesse des Landes für Ihre Amtsführung eine glückliche Hand gewünscht. Dies will ich ganz bewusst noch einmal an den Anfang meiner heutigen Erwiderung auf Ihre Regierungserklärung stellen.

Und ich füge hinzu, Herr Kollege Tillich: Sie sind jetzt in einer Verantwortung für das gesamte Land – und nicht nur für die Wählerinnen und Wähler Ihrer Partei!

Was vor Ihnen liegt, ist keine leichte, wenngleich zeitlich überschaubare Aufgabe. Sie, Herr Tillich, sind ein Ministerpräsident des Übergangs, nicht mehr, aber auch nicht weniger!

Ihr Start war zudem nicht das erwartete Aufbruchsignal. Das gilt sowohl für Ihre heutige Rede, als auch für die Neubesetzung des Kabinetts und Ihre ersten Aktivitäten. Wenn dem neuen Regierungschef als erste konkrete politische Botschaft nach seiner Wahl nichts anderes einfällt als die Forderung nach einer Untertunnelung der Sächsischen Schweiz, dann spricht das Bände. Ich glaube, die Menschen in Sachsen haben wirklich andere Probleme.

Über eine schnellere Verkehrsverbindung nach Tschechien können wir gern sprechen, von der Tunnelidee aber sollten Sie sich verabschieden. Auch dass Sie entgegen Ihrer vorherigen Ankündigung eben nicht zuerst unsere Nachbarn in Polen oder Tschechien besuchen, sondern den Vatikan vorziehen, ist natürlich ein politisches Signal, aus unserer Sicht allerdings eines in die falsche Richtung. Aber ich will dazu heute nicht weiter ins Detail gehen. Wir als LINKE geben Ihnen im neuen Amt die üblichen 100 Tage, die Sie uns in anderer Konstellation vermutlich nie geben würden.

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

19 Jahre seit der Wende haben unser Land verändert, aber das ist keine Ruhebank, sondern eher eine Herausforderung.

Opposition heißt seit 1989/90, die Finger auf jede Wunde zu legen. Das ist ein unschätzbarer Vorteil der Demokratie. Eine Regierung braucht demokratische Kontrolle, auch Gegenvorschläge. Wer wüsste das besser als jene, die die DDR und die dort fehlenden Möglichkeiten demokratischer Kontrolle erlebt haben.

„Veränderung beginnt mit Opposition“ hieß einst eine Wahlkampflosung meiner Partei. Aber das setzt voraus, dass man weiß, wie es steht und was man wie ändern kann. Dabei geht es nicht nur um das prinzipiell Wünschenswerte, sondern vor allem um das tatsächlich Mögliche.

Aber auch das Mögliche ist vom Willen abhängig, vom Willen zu gestalten.

Deshalb will ich heute nicht etwa alle meine Wünsche oder die meiner Fraktion vortragen, sondern anregen und auch Erwartungen zum Ausdruck bringen. Denn auch wir erwarten etwas vom neuen MP. So wie vom vorigen Ministerpräsidenten, der unsere Erwartungen leider enttäuscht hat. Wir waren beim Amtsantritt von Georg Milbradt durchaus bereit, konstruktiv mitzuarbeiten. Wir sind es wieder.

Meine erste Erwartung ist die, dass in Sachsen eine bessere politische Kultur entstehen möge. Eine Kultur, die getragen ist vom gemeinsamen Interesse für dieses Land, also von einer gemeinsamen Verantwortung und darauf fußend von gegenseitigem Respekt und der nötigen Achtung. Die Politik ist bei vielen in Verruf gekommen.

Sehen wir uns nur die Wahlbeteiligung an. Wir haben nicht nur einen Ruf zu verteidigen, wir müssen ihn wiedergewinnen. Daran schließt sich eine Aufforderung an. Wagen wir, wagen Sie mehr Demokratie. Das wäre die beste Möglichkeit, diese zugleich zu verteidigen. Demokratie ist nie ein für allemal sicher und gegeben. Demokratie lebt davon, wie sich die Menschen in die Angelegenheiten einbringen können und einbringen.

Wenn es nach uns geht, dann können wir ab morgen in Gespräche über eine Absenkung der Quoren für Volksanträge und Volksbegehren eintreten. Die Menschen in Sachsen wollen mehr Beteiligung, und es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dies zu ermöglichen.

Demokratie lebt aber auch davon, die Wirklichkeit nicht zu verklären. Vor allem aber darf man nicht versuchen, ständig zu behaupten, dass man als Regierung schon alles zum Besten wenden werde und eine demokratische linke Opposition dabei eigentlich nur stört. Und hören Sie einfach auf damit, die alten Rechnungen der Vergangenheit aus der Zeit des kalten Krieges bis zu den Wendemonaten in der Endzeit der DDR weiter herumzutragen. Sie stärken sonst nur den undemokratischen Teil der Opposition.

Ich füge hinzu: Die notwendige Aufarbeitung der Vergangenheit kann nicht gelingen, wenn sie permanent parteipolitisch instrumentalisiert wird.

Deshalb, Herr Ministerpräsident, springen Sie mit Ihrer Partei endlich über ihren Schatten, und machen Sie den Weg frei für ein neues Gedenkstättengesetz!

Die völlig unnötige Konfrontation mit dem Zentralrat der Juden, den Vertretern der Sinti und Roma sowie der Zwangsarbeiter und den Verfolgten des Naziregimes muss endlich beendet werden. Das könnte im verbleibenden Rest der Legislatur durchaus geleistet werden.

Ich komme zur zweiten Erwartung: Wenn Politik nach Aristoteles dafür da ist, ein gutes Leben zu ermöglichen, dann ist das ein Auftrag.

Der Auftrag lautet: Dem Land zu nutzen und Schaden abzuwenden. Wer will das nicht. Natürlich werden unsere Auffassungen davon, was nutzt oder schadet, oft auseinander gehen. Das ist nicht schlimm, sondern normal.

Wir als Linksfraktion werden alle Erfolge des Landes letztlich immer daran messen, wie es dem Schwächsten – oder sagen wir es einmal in der testamentarischen Sprache – wie es dem Geringsten ergeht. Das ist und das bleibt unser Maßstab.

Politik hat Interessen zum Ausgleich zu bringen. Und uns geht es dabei eben vor allem um die Interessen derer, die nicht an den Honigtöpfen geboren wurden. Aber natürlich wissen auch wir, dass nur das verteilt werden kann, was zuvor produziert wurde. Soviel Marx ist noch da bei uns. Also werden wir die Politik der Regierung selbstverständlich auch daran messen, wie es um den wirtschaftlichen Fortschritt steht. Wir wollen mehr und anders verteilen als die derzeitige Koalition im Bund und in Dresden, aber natürlich nur von dem, was erarbeitet wurde.

Und wir wissen, dass es eine Krux ist, dass wir noch immer mehr verbrauchen als selbst erarbeiten. Unsere Lösung heißt: wir müssen mehr erarbeiten. Aber vielleicht, Herr Ministerpräsident, könnten wir uns zumindest auf diesen Punkt einigen?

Die dritte Erwartung: Ihre Wahl, Herr Tillich bietet auch eine Chance. Sie sind nicht nur in Sachsen geboren, sondern Sie sind auch Sorbe und haben in besonderer Weise eine Möglichkeit, die Brücke zu unseren Nachbarn zu stärken.

Sachsen ist im Laufe der letzten zwanzig Jahre vom EU-Außenposten zum EU-Binnenland geworden, ohne dass es diese Veränderung wirklich reflektiert hat. Sachsen war in der Neuzeit mit Böhmen, Schlesien (bis zum 7-jährigen Krieg) und Österreich wirtschaftlich verbunden.

Die Trennung dieses Raumes erfolgte im Ergebnis der Nationenbildung seit dem 18. Jahrhundert. Aber noch bis zum ersten Weltkrieg war z. B. der böhmische Wirtschaftsraum führend in Europa. Auch die kulturellen Zentren lagen beiderseits des Erzgebirges. Das Theater des Erzgebirges steht in Teplice. Im Grunde blieben leider auch nach 1945 die Räume national abgeschottet.

Nach der Wende sahen erst einmal alle nach Westen. Es ist Zeit, ja es ist überfällig, endlich mehr in den Blick zu nehmen.

Zum Vierten: Es scheint, als trüge ich Eulen nach Athen, aber man kann es nicht oft genug sagen, dass Sachsens Zukunft davon abhängt, was in den Köpfen und natürlich auch in den Herzen geschieht. Sie wissen, dass ich Lehrer bin, und dass ich schon deshalb hier  besonders darauf achte, was geschieht oder nicht geschieht. Ich weiß, dass die CDU meint, das sächsische Schulsystem sei modern.  Wir als LINKE dagegen halten die sächsische Schule für antiquiert. Wir wollen eine Schule für alle und ein längeres, mindestens achtjähriges gemeinsames Lernen.

Dass Sie das durchsetzen werden, Herr Ministerpräsident, das erwarte ich gar nicht von Ihnen. Dazu werden Sie auch zu kurz im Amt sein. Was dagegen geleistet werden kann, ja muss, ist eine Stärkung der Chancengleichheit.

Und Sie wissen genau, dass schon der Bevölkerungsrückgang uns dazu zwingen müsste, nicht ein Talent verloren zu geben. Ganz gleich, wie unterschiedlich wir manche Entwicklung bewerten, steht zum Beispiel die Frage: Wie können wir die Situation Alleinerziehender mit Kindern von Seiten des Staates konkret verbessern? Ihre heutige Ankündigung, den Betreuungsschlüssel in Kindergärten abzusenken, begrüßen wir ausdrücklich. Sie setzen damit eine Forderung um, die wir seit Jahren erhoben haben.

Andere Dinge warten noch immer auf eine Lösung: Was machen wir z.B. mit jenen jungen Leuten, die in den 90iger Jahren nicht ausgebildet worden sind? Wie holen wir das nach? Heute klagt die Wirtschaft über den Mangel an Fachleuten.

Ich kenne noch all die Diskussionen, in denen betont wurde, das alles sei keine Sache des Staates. Aber Fakt ist, dass es am Ende doch eine Sache des Staates wird, und sei es durch steigende Sozialausgaben.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich kann anders als der Ministerpräsident aus Zeitgründen nicht auf alle Politikfelder eingehen. Deshalb nur einige Aussagen zu drei ausgewählten Problemen, und zwar Bildung, Soziales und Arbeit.

Zunächst zum Thema Bildung, Wissenschaft und Kultur. Dresden, die Residenz sächsischer Kurfürsten und Könige, heute Landeshauptstadt, stand im 19. Jahrhundert in dem Ruf, ein Florenz des Nordens zu sein. Auch heute noch schmückt sich die Stadt gern mit dem Beinamen Elbflorenz. Dresden ist jedoch dabei, den Ruf als Kulturstadt zu verspielen. Die Art und Weise, wie der gute Ruf verspielt wird, ist symptomatisch für die hiesige Landespolitik.

Ein ums andere Mal wird das Welterbekomitee brüskiert, Gegner der Waldschlösschenbrücke werden als Dschihadisten und Kritiker aus den Reihen der Künstler oder der Intellektuellen als Meinungsterroristen diffamiert.

Am Streit um den Welterbetitel kann man verfolgen, wie die CDU, die sich zunehmend als Staatspartei begreift, reagiert, wenn sie politisch in Bedrängnis gerät. Das Ganze ist einfach nur noch peinlich und hat dem Ansehen Sachsens national wie auch international schwer geschadet.

Herr Ministerpräsident, machen Sie diesem Treiben ein Ende und bereiten Sie den Weg für einen vernünftigen Kompromiss. Der Welterbetitel muss erhalten bleiben!

In der Hochschulpolitik beschränken sich die Vorstellungen der CDU ausschließlich auf den wirtschaftlichen Nutzen. Das hat den Umbau der Universitäten und Hochschulen zu Dienstleistungsunternehmen zur Folge.

In der andauernden Debatte über ein neues Hochschulgesetz im Freistaat Sachsen verfährt die CDU-Fraktion nach einer Devise des früheren hochschulpolitischen Sprechers und heutigen Ministers Roland Wöller, die dieser in einer Parlamentsdebatte in dem Satz zusammenfasste: „Modern ist nicht, dass alle so lange mitreden, dass keine Entscheidung zustande kommt.“

Dieser Satz offenbart ein zweifelhaftes Demokratieverständnis, denn er spielt die  moderne Hochschule und die demokratische Mitbestimmung gegeneinander aus: Moderne Hochschulen bemühen sich um Effizienz, und dort wo Marktmechanismen vorherrschen, wirken Mitsprache und Partizipation eher störend.

Mit dem jetzigen Entwurf für ein neues Hochschulgesetz scheint die Entpolitisierung der Hochschulen im Freistaat vorprogrammiert. CDU und SPD haben die Chance für eine zeitgemäße und vor allem demokratische Hochschulreform verpasst. Den Rücktritt Georg Milbradts, eines der schärfsten Befürworter neoliberaler Hochschulpolitik, hat das neue Kabinett leider nicht genutzt, den vorliegenden Hochschulgesetzentwurf endgültig ad acta zu legen.


In der Schulpolitik hält die SPD zwar durchaus intelligente Reden darüber, wie Schule gemacht werden müsse, die konkrete Umsetzung lässt jedoch zu wünschen übrig. Auch in der Schulpolitik bestimmt leider noch immer die CDU den Kurs in Sachsen.

So steckt das Projekt Gemeinschaftsschule, das als Einstieg in den Umbau der Schule angekündigt worden war, noch immer in den Kinderschuhen. Zur konsequenten Umsetzung des pädagogisch sinnvollen Vorhabens benötigen die Schulträger endlich rechtsverbindliche Vorgaben für die Erarbeitung, Aufstellung und Eigenprüfung einer entsprechenden Konzeption. Die „Leitlinien“ des SMK reichen dafür nicht aus.

Und klar ist auch: Wir brauchen zur Absicherung des Unterrichts, der Schuleingangsphase und der Ganztagsangebote mehr Stellen für Lehrerinnen und Lehrer. Das wird ganz sicher ein zentraler Streitpunkt in den Haushaltsberatungen. In einem hat sich Herr Tillich wohltuend von früheren Aussagen führender CDU-Politiker abgehoben, und zwar, als er vorhin der GEW für ihre Arbeit gedankt hat. Ich denke, dieser Dank ist berechtigt.
Herr Rößler denunzierte als damaliger Kultusminister die GEW noch als (Zitat) „kommunistisch unterwanderte Gewerkschaft.“ Es ist gut, dass hier nun andere Töne angeschlagen werden.

Eine überregionale Tageszeitung schrieb zur Wahl des neuen Ministerpräsidenten ´Ein Sorbe regiert Sachsen´. Wir von der Linksfraktion wollen, dass man dies in der Lausitz auch praktisch spürt. Mit der Wahl zum MP sind alle bisherigen Ausflüchte, für die Sorben seien die jeweiligen Minister zuständig, obsolet geworden, denn nun verfügt Herr Tillich über die politische Richtlinienkompetenz. Wir erwarten, dass er sich nicht nur bei zukünftig auftretenden Problemen der Sorben dieser Verantwortung stellt, denn es geht auch um die Korrektur von verhängnisvollen Fehlentscheidungen der letzten Jahre.

Dabei handelt es sich im Kern um drei Punkte:
Wiedereinrichtung der geschlossenen Sorbischen Mittelschulen in Panschwitz-Kuckau bzw. Crostwitz bei durch die Vertreter der Sorben entsprechend artikuliertem Bedarf.
Verhinderung der Abbaggerung sorbischer Dörfer in der Region Schleife.
Erkennbare Verstärkung der Bemühungen für eine angemessene und zukunftssichernde
Finanzierung der Stiftung für das sorbische Volk.

Gerade aus sozialpolitischer Sicht waren die Regierungsjahre unter Ministerpräsident Milbradt für Sachsen verlorene Jahre. Selbst wenn man berücksichtigt, dass in diesem Bereich die wesentlichen Rahmenbedingungen durch den Bund gesetzt wurden, hat es seitens der Staatsregierung keinerlei Widerstand gegen den unter Gerhard Schröder eingeleiteten Kurs des radikalen Sozialabbaus gegeben. Exemplarisch dafür steht Hartz IV. Die Staatsregierung hat dem nicht nur zugestimmt, sondern von ihr gingen mehrfach Initiativen aus, bestehende soziale Standards noch weiter abzusenken, als dies vom Bundesgesetzgeber ohnehin vorgesehen war.

Georg Milbradt glaubte, die massenhafte Langzeitarbeitslosigkeit mit einer Ausweitung des Niedriglohnsektors, mit mehr Mini- und 1-Euro-Jobs überwinden zu können. Das ganze Gegenteil ist eingetreten.
Selbst wenn die offizielle Statistik für Sachsen inzwischen eine Absenkung der Arbeitslosenquote ausweist, gab es Ende Mai 2008 immer noch fast 285.000 arbeitslose Bürgerinnen und Bürger in Sachsen.

Herr Ministerpräsident, Sie haben vorhin betont, die Schaffung von Arbeitsplätzen habe für Sie höchste Priorität. Leider haben Sie dann aber kein einziges arbeitsmarktpolitisches Instrument konkret benannt, und in den letzten Jahren ist außer dem schleppend anlaufenden Kommunal-Kombi-Programm nichts passiert. Wir als LINKE wollen gute Arbeit, und das heißt für uns auch: gut bezahlte Arbeit.

Es geht darum, sich endlich von der Niedriglohnstrategie zu verabschieden.
Unter der Regentschaft von Georg Milbradt hat nicht zuletzt deshalb die Armut in Sachsen beträchtlich zugenommen. Die sächsische Armutsquote liegt bei mindestens 20 Prozent; in einigen Studien wird sogar ein noch höherer Wert ausgewiesen. Besonders dramatisch sind dabei die Lage von Alleinerziehenden sowie die wachsende Kinderarmut, und in den kommenden Jahren droht durch zahlreiche unterbrochene Erwerbsbiografien auch eine massive Armut bei Seniorinnen und Senioren.


Die bisherige Staatsregierung ignoriert diese Entwicklung und behauptet weiter, dass durch Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld Armut verhindert würde. Die stärkere Polarisierung zwischen arm und reich lässt sich nicht aussitzen. Hier wächst ein Konfliktpotenzial, an dessen Entladung niemand interessiert sein kann. Die Politik muss daher endlich handeln, denn ein weiteres Ansteigen der Armut ist letztlich auch demokratiegefährdend.

Die heutige Regierungserklärung hat leider keinen Aufschluss darüber gebracht, was Herr
Tillich hier zu tun gedenkt.
Und da der Ministerpräsident in seiner Rede immer wieder von Solidarität gesprochen hat, komme ich nicht umhin festzustellen: Die CDU-Politik der letzten Jahre in Sachsen war alles Mögliche, gerecht und solidarisch aber war sie mit Sicherheit nicht!

Auf welchem Menschenbild das Zusammenspiel von technokratischer Politik und Wertkonservatismus beruht, verdeutlichte ein Interview des neuen Ministerpräsidenten mit der Sächsischen Zeitung vom 31. Mai 2008, das überschrieben ist mit „Der Glaube ist mein Anker“.
Darin teilt Stanislaw Tillich die Menschen ein in solche, die sich Mühe geben, und in solche, die das nicht tun. Mit anderen Worten: Er wärmt erneut die unsägliche Faulenzerdebatte auf.
Den Mühseligen, „denen, die Leistung bringen wollen“, müsse auch der entsprechende Spielraum gelassen werden, um „ihre Freiheit zum eigenen Erfolg zu nutzen“. Für die anderen, diejenigen, die sich keine Mühe geben, fällt dann trotzdem noch genügend ab. Gern wüsste ich vom Ministerpräsidenten einmal, wer diejenigen sind, die sich partout keine Mühe geben wollen und den sogenannten Leistungsträgern bloß auf der Tasche liegen. Christlich scheint mir diese Einteilung der Menschen nicht zu sein.
Gerechtigkeit begreift Tillich offenbar als Vorteil des Stärkeren. Verteilungsfragen und soziale bzw. strukturelle Benachteiligung spielen hier aus Sicht der Wertkonservativen überhaupt keine Rolle mehr. Im Gegenteil: Stanislaw Tillich bereitet „die steigende Neigung zur Umverteilung Sorge“, sagt er in dem Interview. Wir als LINKE meinen. Es wird nicht zu viel, sondern zu wenig und dann auch noch falsch umverteilt.

Ein Wort noch zur gesundheitlichen Versorgung in Sachsen. Wenn wir diese insgesamt kritisch sehen, dann liegt das nicht an den Ärzten oder am Pflegepersonal, bei denen wir uns an dieser Stelle ausdrücklich für ihr engagiertes Wirken bedanken möchten.
Viele Beschäftigte im Gesundheitsbereich, wie zahlreiche Protestaktionen in der Vergangenheit zeigten, sehen die eigene Situation durchaus kritisch, sind aber in einem System gefangen, das immer mehr den Gesetzen des Marktes geopfert wird. Dies ist aus unserer Sicht im Übrigen eine wesentliche Ursache des zunehmenden Ärztemangels. Als wir im Landtag bereits 2002 auf diese Situation hinwiesen, wurden wir als Schwarzmaler beschimpft und unsere schon damals geäußerten konkreten Vorschläge ignoriert. Wenn genau diese Vorschläge heute schrittweise, wenngleich immer noch halbherzig umgesetzt werden, dann kommt dies viel zu spät.
Inzwischen fehlen mehr als 500 Ärzte im ambulanten Bereich und weitere 200 Ärzte an den Kliniken. Etwa 1.000 ausländische Mediziner, vor allem aus Osteuropa praktizieren derzeit in Sachsen und gleichen unsere Defizite zumindest teilweise aus. Das wiederum führt aber dazu, dass z. B. in Polen in einigen Regionen eine ärztliche Unterversorgung von über 30 Prozent zu verzeichnen ist. Auf Dauer können wir das unseren Nachbarn mit Sicherheit nicht zumuten.

Als Leitmotiv wäre der neuen Regierung daher ins Stammbuch zu schreiben: Nehmen Sie Vorschläge der Opposition endlich ernst, anstatt sie aus niederen Parteiinteressen einfach pauschal abzulehnen!
Ein Wort noch an die amtierende Sozialministerin, Helma Orosz, die dem neuen Kabinett ja nicht mehr angehören will. Sie hat es im Unterschied zu vielen ihrer Kabinettskollegen verstanden, ohne große öffentliche Skandale zu ministrieren. Von ihr gingen in den verflossenen fünf Jahren aber kaum messbare Initiativen im Interesse des sozialen Vorankommens Sachsens aus. Vielmehr war ihre Amtszeit stets durch vorauseilenden Gehorsam geprägt, wenn es um Kürzungen im Sozialhaushalt oder um das Abschieben der Verantwortung auf die Kommunen ging. Sollte es eine neue Sozialministerin geben, dann wünschen wir uns mehr Rückgrat und vor allem eigene konzeptionelle Ansätze.


Es gäbe noch eine ganze Reihe von Punkten, auf die ich heute leider nicht eingehen kann. Ich denke dabei zum Beispiel an die unzureichende Personal- und Sachausstattung bei der sächsischen Polizei, an die Defizite im Justizbereich, in der Landwirtschaft und beim Umweltschutz, an die undurchsichtige Förderpolitik oder auch das fehlende Energiekonzept der Staatsregierung.

Herr Ministerpräsident, für viele Menschen in unserem Land sind Sie bis heute ein relativ unbeschriebenes Blatt. Ein Großteil von ihnen weiß trotz Ihrer neunjährigen Tätigkeit als Minister noch immer nicht, was sie von Ihnen zu erwarten haben, und die heutige Regierungserklärung hat da auch nicht wirklich Aufschluss gegeben.
Sie schauen unbestritten in der Regel nicht so grimmig drein wie Ihr Amtsvorgänger, aber ich bleibe dabei: Ein freundliches Gesicht macht noch lange keinen guten Ministerpräsidenten. Doch genau den bräuchte Sachsen jetzt!

Künftig, Herr Kollege Tillich, geht es nicht mehr darum, ob Sie beim Osterreiten auf dem Pferd eine gute Figur machen, sondern Sie werden daran gemessen, ob Sie das Land voranbringen können. Seien Sie sicher, wir als LINKE werden Sie in den verbleibenden Monaten Ihrer Amtszeit weiter konstruktiv wie kritisch begleiten.

Sachsen braucht eine neue Idee. Dass uns das traditionell strukturschwächste Bundesland Mecklenburg-Vorpommern beim Dynamik-Ranking überholt hat, ist ein Menetekel. Sie, Herr Tillich, werden dieses Ergebnis nicht einfach vom Tisch wischen können, kommt doch die entsprechende Studie von der „Initiative für Neue Soziale Marktwirtschaft“, auf deren Zahlen sich Herr Milbradt immer gern berufen hat.
Interessant ist, dass das aktuelle Ranking die Entwicklung in den Jahren 2004 bis 2007 berücksichtigt.
Bekanntlich hat DIE LINKE in Mecklenburg-Vorpommern bis Herbst 2006 mitregiert.
Das hat dem Land offenbar gut getan! Ausschlaggebend für das positive Ergebnis ist laut Michael Inacker von der „Wirtschafts-Woche“, der die Studie öffentlich präsentierte, die verbesserte „Arbeitsmarktperformance“. Der Arbeitsminister von Mecklenburg-Vorpommern hieß während drei Vierteln des Untersuchungszeitraums Helmut Holter, ein Politiker der LINKEN.
Helmut Holter hat Anfang 2004 hier in Dresden mit uns zusammen unser „Alternatives Landesentwicklungskonzept für den Freistaat Sachsen“ (Aleksa.) vorgestellt, das kurz darauf auch die öffentliche Anerkennung des CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt geerntet hat.

Und, Herr Ministerpräsident, wenn Sie vorhin davon gesprochen haben, dass auch Ostdeutschland Konzernzentralen brauche, dann hätten die Regierung vor Jahren die Förderbedingungen entsprechend gestalten müssen. Der Kampf für den Erhalt der VNG in Leipzig ist gut und richtig, Sie haben es aber versäumt, rechtzeitig die richtigen Weichen zu stellen und Fördermitteln bevorzugt an Unternehmen zu vergeben, die in Sachsen ihren Hauptsitz nehmen und auch entsprechende Steuern zahlen.

Bislang hat es die CDU halbwegs erfolgreich geschafft hat, den Eindruck zu erwecken, den LINKEN dürfe man die Gestaltung des Landes nicht anvertrauen.
Doch der Wind hat sich gedreht, die Mehrheit will inzwischen den Wechsel hin zu einer Regierung ohne CDU und wird einen Weg finden, sie abzuwählen.
In Mecklenburg-Vorpommern stellt DIE LINKE inzwischen drei Landräte, weil die Menschen praktisch erfahren haben, dass die Politik der LINKEN ihren Interessen entspricht. Diese Erkenntnis wird sich letztlich auch in Sachsen durchsetzen, denn am Ende entscheiden nicht ein paar Chefredakteure und TV-taugliche Small-Talk-Politologen über das Schickal des Landes, sondern mündige Bürgerinnen und Bürger.

Die wirtschaftspolitische Idee der Tillich-CDU ist verbraucht. Viel zu lange wurde eine einseitige Leuchtturmpolitik betrieben, der Mittelstand dagegen mit Durchhalteparolen abgespeist und wurden den Bürgern, z. B. den 780.000 sächsischen Pendlern, finanziellen Lasten aufgebürdet, die man den wirklich Vermögenden nicht zumuten wollte.

Mit Reisen zu BMW und zum Papst allein wird Sachsen jedenfalls nicht vorankommen!
Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die die vorhandenen Potenziale ausbaut und den Mittelstand gezielt stärkt.
Die ständigen Appelle für mehr Selbstständigkeit und Mobilität gehen an der Wirklichkeit im Lande vorbei. Die sächsische Bevölkerung nimmt seit vielen Jahren für unterdurchschnittliche Bezahlung überdurchschnittliche Belastungen in Kauf und scheut kein Risiko, um trotz aller Widrigkeiten die eigene Familie ernähren zu können. Der Durchschnittssachse arbeitet im Jahr über acht Tage länger als der Durchschnittsdeutsche und legt oft besonders lange Wegstrecken zur Arbeit zurück. Dafür werden die Menschen in Sachsen seit Jahren mit der einfallslosesten und langweiligsten Landesregierung der Republik bestraft, die nur mit einer Serie von Affären aufgefallen ist, nicht aber mit Impulsen für den Freistaat, geschweige denn für bundesweite Themen.

Mit einer Politik, die wirtschaftspolitisch von gestern, bildungspolitisch von vorgestern und sozialpolitisch am Rande des Mittelalters ist, kann man keine Dynamik auslösen.
Dass die CDU in der letzten Umfrage nur noch bei 35 und wir bei 29 Prozent gehandelt werden, zeigt, dass die politische Aktie der LINKEN nach oben geht, während der CDU-Kurs im Sinkflug ist. Natürlich entscheiden am Ende immer die Wähler, aber ich sage: Wer in die Zukunft investieren will, ist bei uns an der richtigen Adresse, die Vergangenheit überlassen wir gerne der Union.

Die CDU setzt auf die Erlösung des Landes durch die ganz Großen, wir auf die Motivation der Kleinen, auf die Tatkraft von unten. Wir sind, auch dank der kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einer Staatspartei, freier von ideologischen Zwängen als Sie. Deshalb werden unsere Experten für Führungspositionen in der Verwaltung inzwischen sogar von der CDU gewählt, siehe Chemnitz. Und Helmut Holter wird uns mit seinen Regierungserfahrungen bei der Arbeit an unserem Leitbild Sachsen 2020 unterstützen, das wir im nächsten Jahr vorstellen werden.
Im Internet ist derjenige am erfolgreichsten, der am besten verlinkt ist. Wir waren die erste Fraktion dieses Hohen Hauses, die unmittelbar mit der Erweiterung der EU ein Arbeits-Netzwerk mit tschechischen und polnischen Partner-Fraktionen gegründet hat. Da war die CDU-geführte Staatsregierung trotz der internationalen Erfahrungen eines Stanislaw Tillich noch im europapolitischen Dornröschenschlaf. DIE LINKE wirkt – das ist der Unterschied!

Sie, Herr Tillich, setzen allein auf die frohe Botschaft, dass jetzt ein Sachse an der Spitze des Freistaats steht. Die Botschaft, die die Sachsen hören wollen, ist jedoch, dass es mit ihnen persönlich wieder aufwärtsgeht – dass z. B. ihre Kaufkraft nicht jeden Monat schrumpft und ihnen nach den geschlossenen Schulen nicht auch noch verschlossene Amtsstuben durch eine bürgerfeindliche Verwaltungsreform drohen.

Sachsen war immer schon moderner als andere, hier hatten viele technische Erfindungen und soziale Bewegungen ihren Ausgangspunkt. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Sachsen ist traditionell besonders aufgeweckt und aufgeklärt – also LINKS!
Die alte soziale Idee der Arbeiterbewegung war sächsisch, und die neue soziale Idee einer hoch innovativen, solidarischen Gesellschaft wird wieder eine sächsische und damit linke sein!


Es ist allgemein bekannt, dass wir uns für Neuwahlen ausgesprochen hatten.
Einfach deshalb, weil die CDU mit Georg Milbradt als Spitzenkandidaten in den letzten Wahlkampf gezogen ist und eben nicht mit Stanislaw Tillich.

Daher hätte es sich gehört, die Bürgerinnen und Bürger mit einem neuen Regierungsprogramm zu fragen, ob sie wirklich weiter von der CDU und Herrn Tillich regiert werden wollen. Die Koalition hat es anders gewollt und sie hat die Mehrheit im Landtag, diesen Willen durchzusetzen.
Dass die Koalition der Wahlverlierer von 2004 am Ende ist, sieht man schon daran, dass Sie, meine Damen und Herren von CDU und SPD, sich bisher nicht einmal auf so etwas Banales wie den nächsten Wahltermin einigen konnten – der notwendige Vorschlag des Kabinetts liegt dem Landtagspräsidium immer noch nicht vor. Es spricht jedoch einiges dafür, dass die Sachsen in 459 Tagen einen neuen Landtag wählen werden – zeitgleich mit der Bundestagswahl.
Spätestens 30 Tage danach muss sich das neu gewählte Parlament konstituieren und
dann sollte auch ein neuer Ministerpräsident gewählt werden.
Dass CDU und SPD auch das im Herbst 2004 auf der konstituierenden Sitzung dieses Landtags nicht zu Stande gebracht hatten, war ein Omen für die Stagnation, die sich seither wie Mehltau über die politische Landschaft in Sachsen gelegt hat.

Herr Tillich, Sie können gut genug rechnen, um zu wissen, dass damit voraussichtlich in 489 Tagen Ihre Zeit als sächsischer Ministerpräsident abgelaufen sein wird. Nutzen Sie die knapp bemessene Frist im Interesse des Landes für täglich mindestens eine gute Tat. Vergessen Sie auch nicht die Umsetzung Ihres Gesprächsangebots an die Opposition; wir helfen, wo wir können.
Ihre beiden Amtsvorgänger, Herr Kollege Tillich, sind nicht zuletzt daran gescheitert, dass sie glaubten, alles selbst und alles besser zu wissen. Die Zeiten, in denen eine Partei ungestraft behaupten konnte, immer recht zu haben, sind Gott sei Dank vorbei!

Herr Ministerpräsident, wir alle würden uns freuen, wenn Sie die verbleibenden 489 Tage lang Ihren Job gut machen und dem Land weniger Schaden zufügen würden als Ihr Vorgänger. Für eine Verlängerung Ihrer Amtszeit über das Nötigste hinaus gibt es aus unserer Sicht keinen Grund, da Sie – wie Ihre heutige Regierungserklärung gezeigt hat – über keine wirklich neue Idee für die Zukunft Sachsens verfügen.

Das unterscheidet uns, und das werden die Bürgerinnen und Bürger in den nächsten Monaten merken und sie werden daraus für die kommende Landtagswahl die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.
Träumen Sie ruhig weiter von der absoluten Mehrheit, Herr Tillich – das Erwachen im kommenden Jahr wird schmerzhaft sein!

Dieser Artikel ist in folgenden Kategorien enthalten: