„Aufklärung der Umstände der Verhaftung und des Todes im Fall Jaber al-Bakr“

Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte für diese Sitzungswoche eine aktuelle Stunde zum Thema „Aufklärung der Umstände der Verhaftung und des Todes im Fall Jaber al-Bakr“ beantragt. Diese Aktuelle Stunde wurde für die heutige Sitzung, ca. 15 Uhr, auf die Tagesordnung gesetzt. Gestern Abend wurde auf Wunsch der Grünen die Aktuelle Stunde von der Tagesordnung abgesetzt. Im Ergebnis der Beratungen von Bundestagsgremien in dieser Woche und weiterer Gespräche wollte ich meine Gedanken in der heutigen Bundestagssitzung zur Diskussion stellen. Da dies nun nicht mehr möglich ist, hier mein Redemanuskript mit meinen Positionen dazu:


Redemanuskript zur Aktuellen Stunde im Bundestag am 21. Oktober 2016 „Aufklärung der Umstände der Verhaftung und des Todes im Fall Jaber al-Bakr“

Die Schlagzeilen in den letzten Tagen nach der Flucht und dem späterem Suizid des Terrorverdächtigen Al Bakr im Justizvollzug waren verheerend. Die Zeitung „Die Welt“ spricht von einem „beispiellosen Behördenversagen in Sachsen“. „Es stinkt alles zum Himmel“ titelt die „Saarbrücker Zeitung“. „Mehrfach zu versagen, ist eine Pleite.“, schreibt der „Spiegel“. „Panne, Pleite, Pleitenserie – ist Sachsen eine Bananenrepublik?“, fragt schließlich der „Stern“.

Unmittelbar nach der Verhaftung des Geflüchteten sprachen Verfassungsschutz-Präsident Maaßen und der sächsische Innenminister Ulbig von einem „großartigen Erfolg der deutschen Sicherheitsbehörden.“

Ich wünschte, beide hätte Recht. Die Realität sieht aber leider anders aus. Erst lassen die Einsatzkräfte den Verdächtigen in Chemnitz entwischen, und auch die Festnahme zwei Tage später in Leipzig war nicht das Ergebnis polizeilicher Ermittlungsarbeit, sondern ist einzig dem couragierten Agieren syrischer Flüchtlinge zu verdanken, die den Gesuchten in Leipzig festgesetzt und der Polizei übergeben haben. Womöglich wäre er sonst heute noch auf der Flucht.

Und dann kann der zu diesem Zeitpunkt wohl wichtigste Gefangene der Bundesrepublik auch noch Selbstmord begehen. Obwohl die Haftrichterin ausdrücklich auf diese Gefahr hingewiesen hatte, unterblieben in der Justizvollzugsanstalt Leipzig entsprechende Gegenmaßnahmen, selbst als der Gefangene an der Elektrik in seiner Zelle hantierte, um womöglich einen Stromschlag zu provozieren. Dafür gibt es aus meiner Sicht keinerlei Rechtfertigung!

Insofern waren die Medienreaktionen alles andere als ein „Sachsen-Bashing“, wie hochrangige Vertreter der Sächsischen Staatsregierung die kritischen Berichte hinter vorgehaltener Hand gern bezeichnen. An so etwas würde ich mich als Abgeordneter aus Sachsen auch nicht beteiligen.

Ich sage aber in aller Deutlichkeit: Ich schäme mich für das, was in meinem Bundesland wieder und wieder passiert. NSU-Skandal und Verfassungsschutzversagen, Verharmlosung der Nazi-Aufmärsche und Strafverfolgung von engagierten Gegendemonstranten, Extremismusklausel für zivilgesellschaftliche Initiativen, NPD zwei Wahlperioden lang im Landtag, Pegida-Aufmärsche, Angriffe auf Flüchtlinge in Heidenau, Freital, Claußnitz sowie Bautzen und nun eben die zunächst gescheiterte Festnahme eines Terrorverdächtigen und dann sein Selbstmord in der JVA.

Für mich ist klar: Diese Häufung ist kein Zufall, sondern hat ursächlich etwas mit der herrschenden Politik in Sachsen zu tun, die seit 26 Jahren von einer selbstgefälligen CDU dominiert wird. Ministerpräsident Tillich steht seit fast einem Jahrzehnt für Wegducken, Schweigen und Verharmlosen. Von ihm sind weder eine schonungslose Aufklärung noch die notwendigen Konsequenzen aus den jüngsten Vorgängen zu erwarten. Die jetzt eingesetzte und von der Regierung selbst ausgewählte Kommission wird dies aller Voraussicht nach kaum leisten. Ich habe da schlechte Erfahrungen aus meiner Zeit im Sächsischen Landtag.

Schon der Auftritt von Vertretern der Staatsregierung im Innenausschuss des Bundestages lässt nichts Gutes erahnen. Zwar wurden in den Eingangsstatements formal Fehler eingeräumt, anschließend wurden aber fast alle Einzelvorgänge verteidigt und als korrekt dargestellt. Von echtem Problembewusstsein war nicht viel zu spüren.

Dabei gäbe es wirklich manches aufzuklären und vor allem auch Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Polizei und Justiz müssen personell endlich so ausgestattet werden, dass sie ihren wichtigen Aufgaben auch tatsächlich nachkommen können.

Es gibt zahlreiche offene Fragen, die beantwortet werden müssen:
Weshalb hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen nicht zu einem früheren Zeitpunkt an sich gezogen, obwohl es doch Hinweise auf einen drohenden großen Anschlag in Deutschland gab?

Warum hat die originär für Gefahrenabwehr zuständige Polizei den Vorgang erst sehr spät übernommen, so dass die Zeit bis zum beabsichtigten Zugriff sehr kurz war? Warum wurde kein Spezialkommando des Bundes angefordert?

Wie ist es zu erklären, dass der Verdächtige nach Verlassen des Hauses an zwei Polizisten, die sein Foto kannten, vorbeikommt, von denen einer meint, das sei der Gesuchte und der andere glaubt, das sei er nicht?. Sachsens Polizeipräsident sprach hier von einer Patt-Situation. Anstatt zumindest die Personalien zu kontrollieren, wurde der Mann einfach durchgelassen und konnte am nächsten Kontrollpunkt dann flüchten.

Welche Rolle spielten Bundes- und Landesamt für Verfassungsschutz in diesem Zusammenhang? Lief die Observation des Wohnhauses auch noch am Morgen des geplanten Zugriffs, und gab es womöglich einen Hinweis an die Polizei, als der Verdächtige das überwachte Haus verließ? Falls ja, warum ging dann die geplante Festnahme trotzdem schief?

Festzuhalten bleibt aber in jedem Fall, dass es durch den Tod des Verdächtigen nun leider nicht mehr möglich ist, Motive, Hintergründe, Mittäter und eventuelle Netzwerke umfassend aufzuklären. Das ist das bittere Fazit der neuerlichen Pannen in Sachsen.

Bleibt zu hoffen, dass daraus die richtigen Konsequenzen gezogen werden, organisatorisch und – wo erforderlich – auch personeller Art.

Es gibt womöglich vermutlich nicht immer rationale Gründe dafür, aber viele Menschen in unserem Land haben Ängste und fühlen sich unsicher. Sie haben in jedem Fall Anspruch auf gut ausgestattete Polizei und Justiz. Das zu gewährleiten, ist Pflicht des Staates, und hier ist offenkundig noch einiges zu tun!