Internationales Symposium diskutiert ETHIK IM SPORT

Das World Forum for Ethics in Business und der 1. FC Union Berlin luden am 24. September 2015 zu einem Symposium „Sport trifft Wirtschaft – Nachhaltigen Erfolg schaffen“ in das Stadion An der Alten Försterei ein. 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 15 Staaten hatten einen spannenden und lehrreichen  Abend vor sich. Die erste Keynote des Abends hielt Dr. André Hahn, sportpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

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Ethik im Sport Symposium Berlin

24. September 2015 im Stadion des 1. FC Union Berlin

Sport trifft Wirtschaft – Nachhaltigen Erfolg schaffen

Keynote von MdB Dr. André Hahn (DIE LINKE)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Damen und Herren!

Sehr gern habe ich die Einladung zu diesem Symposium trotz der zeitgleich anstehenden wichtigen Termine im Bundestag angenommen. Zum einem, weil ich das Thema und die Diskussion darüber mit Ihnen spannend finde. Und zum anderen, weil die Veranstaltung beim 1. FC Union Berlin stattfindet und dabei war mein Motiv nicht, dass ich hier in der „Alten Försterei“ schon in den achtziger Jahren diverse Spiele als Schiedsrichter leiten durfte.

Ich möchte mich sehr herzlich bei den Spielern, beim Vorstands-Team und den Fans des 1. FC Union für Ihr beispielgebendes Engagement für Flüchtlinge und Asylsuchende bedanken. Sie haben ebenso wie der FC St. Pauli der bebilderten Zeitung mit den großen Buchstaben die Stirn geboten und sich dieser fragwürdigen Aktion „Wir helfen“ verweigert. Sie helfen wirklich, unter anderem auch mit der Bereitstellung ihres Fanhauses als Flüchtlingsunterkunft. Und Sie sind seit Jahren dabei, wenn es darum geht, gegen Rechtsextremismus und Rassismus klar Position zu beziehen. Ich wünschte mir, es mögen viele andere Vereine Ihrem Beispiel folgen.

Damit sind wir schon mitten im Thema, und als Linker darf man sicher auch ein wenig provozieren. Mein kurzes Statement habe ich mit einem Zitat aus der Dreigroschenoper überschrieben, die Bertold Brecht 1928 verfasste: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“.

Erst kommt das Fressen. Aber immerhin – danach kommt auch in der kapitalistischen Wirtschaft die „Moral“. Die Frage, die über dem heutigen Symposium steht, lautet im Kern: Wie viel Moral kann oder muss sich die Wirtschaft und auch der Profisport heute noch leisten?

Ich meine: Genauso wenig, wie die Profitrate bzw. die Rendite in der Wirtschaft die einzig relevante Messgröße sein darf, darf die Zahl der Medaillen auch nicht die einzige Währung im Leistungssport sein. Darüber wird gerade derzeit heftig gestritten, wenn es um die künftige Förderung des Spitzensports durch den Bund oder auch um den Kampf gegen Doping und Spielmanipulationen geht.

Ich meine: Wirtschaft, Sport und auch die Politik müssen deutlich mehr moralische Werte und Ziele anstreben, als das bisher der Fall ist, im Übrigen auch im eigenen Interesse. Im wirklichen Leben gehen die Tendenzen mehrheitlich eher in die andere Richtung. Der Tanz ums „Goldene Kalb“ wird immer brutaler, immer gnadenloser.

Wer aber entscheidet eigentlich darüber, welcher finanzielle Erfolg wofür tatsächlich angemessen ist und welches Tun oder auch Unterlassen dafür noch oder auch nicht mehr vertretbar sind?

Heute, vor genau 25 Jahren, am 24.September 1988 lief Ben Johnson beim 100-Meter-Finale der Olympischen Spielen in Seoul mit Weltrekord allen davon. Zwei Tage später wurde er des Dopings überführt. Nach diversen weiteren Prüfungen waren am Ende von acht Startern wohl nur zwei sauber.

Seit wenigen Tagen ist die Volkwagen-AG weltweit in den Schlagzeilen. Ein Unternehmen, das seit Jahrzehnten gute Autos produziert und sich darüber hinaus auch im Sport und anderen Bereichen der Gesellschaft engagiert. Ein Konzern, der schwarze Zahlen schreibt und bei dem auch die nach Tarif bezahlte Belegschaft recht gut verdient.

Und trotzdem wurden bei rund 11 Millionen Diesel-Autos die Abgaswerte manipuliert. Die Hoffnung auf zusätzlichen Profit gefährdet die Umwelt, bedroht tausende VW-Arbeitsplätze, zerstört Vertrauen, vernichtet sehr viel mühsam erarbeitetes Geld und ist Betrug gegenüber Millionen Kunden.

Ein weiteres Stichwort: Tour de France. Beim Aufstieg zum Mont Ventoux bricht der britische Ex-Weltmeister Tom Simpson am 13. Juli 1967 zusammen und stirbt wenig später im Krankenhaus. Er war mit Amphetaminen vollgepumpt. Das berühmteste Radrennen der Welt hatte sein erstes Todesopfer in Folge von Doping. Viele weitere Doping-Skandale folgten, ich erinnere nur an die sogenannte Festina-Affäre 1988, bei der eine flächendeckende Dopingpraxis mit EPO aufgedeckt wurde.

Im November 2009 meldeten die Medien „Betrugsverdacht bei 200 Spielen: Riesiger Wettskandal erschüttert Europas Profifußball“. Es kamen Schiebungen in der Champions League sowie Manipulationen in der Zweiten Bundesliga und in acht weiteren europäischen Ligen ans Licht.

Am 31. August diesen Jahres mahnte Armin Lehmann in einem Rundfunk-Kommentar auf WDR 2 mit Blick auf das Ende der diesjährigen Transfer-Periode der Fußball-Bundesliga: Geld frisst Fußball auf! Die Ablösesummen für einige Spieler sind inzwischen höher als die Kosten für ganze Stadien. Das ist Irrsinn, fand der Kommentator – und ich finde das auch!

Ich zitiere Armin Lehmann weiter: „80 Millionen Euro. Für etwa diese Summe wurde vor einigen Jahren der Borussia-Park in Mönchengladbach gebaut. Ein riesiges Stadion mit weit über 50.000 Zuschauerplätzen. Jetzt soll Manchester City in etwa so eine Summe … für einen einzigen Fußballer – nämlich Kevin De Bruyne – bezahlt haben. Leider kein Einzelfall. Denn egal ob 30, 40 oder eben 80 Millionen, der Fußball ist mittlerweile in finanzielle Dimensionen vorgestoßen, die ihn auf Sicht zerstören werden.

Was ist das für eine Welt, in der ein paar Flugstunden von Manchester entfernt die Menschen nichts zu beißen haben, in der Krieg und bittere Armut herrschen (ich war gerade in Jordanien – A.H.) und dann für einen Kicker derart unmoralische Summen bezahlt werden? Und England wird nur der Vorreiter sein. Auf der Insel haben sie unlängst einen Milliardenvertrag für Fußballfernsehrechte abgeschlossen, und dieser Vertrag wird in Europa – auch in Deutschland – der Maßstab für die Zukunft sein. Keine schöne Zukunft, denn der Irrsinn dieser Tage ist erst der Anfang. Im nächsten Jahr liegt in England noch mehr Geld auf der grünen Wiese, und all die Kohle muss natürlich ausgegeben werden.

Milliardäre und Scheichs bieten munter mit, und die 80 Millionen für einen begnadeten Kicker wie Kevin De Bruyne werden demnächst wohl auch für ganz normale Durchschnittsfußballer bezahlt werden können… Doch irgendwann muss auch Schluss sein. Wenn ein Spieler schon teurer ist als das Stadion, in dem er spielt, dann läuft etwas gewaltig schief in den Arenen dieser Welt.“ (Ende des Zitats)

Eine einfache Lösung habe ich leider auch nicht. Aber durchaus eine Hoffnung! In der freien Marktwirtschaft hat es bekanntlich schon so manche Finanzblase gegeben, die sich prall und praller füllte, aber irgendwann ist sie dann doch geplatzt – und wahnwitzige Dimensionen wurden wieder zurecht gerückt. Es war ein geschäftiger Tag, so bewertete die

Nachrichtenagentur dpa den so genannten „Deadline-Day“ der Transferperiode – am Ende hat die englische Premier League mit Ausgaben von sage und schreibe rund 1,2 Milliarden Euro einen neuen Transfer-Rekord aufgestellt. Die 18 Vereine der Bundesliga investierten den Angaben zufolge insgesamt „nur“ 395 Millionen Euro.

Auch in Deutschland gibt es Vereine mit viel Geld, die die besten Spieler anderer Mannschaften kaufen, um sie sich auf die Ersatzbank zu setzen, aber dadurch in jedem Fall potenzielle Konkurrenten nachhaltig schwächen. Ich meine, so kann und darf es nicht weitergehen. Und dabei habe ich die Stichworte IOC, FIFA und Vergabepraxis von Sportgroßereignissen wie nach Katar ja noch gar nicht in den Mund genommen.

Ich komme zum Schluss: Eine Frage dieser Tagung lautet, was Politik und Wirtschaft vom Sport lernen können. Da gibt es sicher einiges wie z.B. Teamgeist, Ausdauer, Disziplin oder auch gezielte Nachwuchsgewinnung. Von dem, was ich davor aufgeführt habe, sollte man jedoch besser nicht lernen, sondern alles dafür tun, um derartige Praktiken zu überwinden.

Zurück zur Dreigroschenoper und zur Moritat von Mackie Messer. Dort heißt es:

An ’nem schönen blauen Sonntag Liegt ein toter Mann am Strand Und ein Mensch geht um die Ecke Den man Mackie Messer nennt.

Es wäre wünschenswert, dass wir alle unseren Beitrag dazu leisten, dass die Moral weder in der Wirtschaft, noch in der Politik und schon gar nicht im Sport zu Grabe getragen werden muss. Noch ist es nicht zu spät. Packen wir es gemeinsam an!

Herzlichen Dank.

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