Zur drohenden Anklage durch Dresdner Staatsanwaltschaft wegen 13. Februar 2010: Politischer Missbrauch des Strafrechts

Erklärung von Dr. André Hahn, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, vor der Landespressekonferenz am 11. Januar 2011

Ich begrüße Sie alle recht herzlich zur ersten Pressekonferenz der Fraktion DIE LNKE im Jahr 2011, wenngleich ich mir dafür durchaus einen anderen, angenehmeren Anlass hätte vorstellen können. Der Grund, weshalb wir Sie zu dieser PK eingeladen haben, ist folgender:

Am 23. Dezember 2010, also einen Tag vor Heiligabend, ist mir über meinen Anwalt ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Dresden zugegangen. Darin wurde mir mitgeteilt, dass seitens der Staatsanwaltschaft beabsichtigt ist, das Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz abzuschließen, gegen mich eine öffentliche Klage zu erheben und den entsprechenden Antrag zur Genehmigung, sprich also zur Aufhebung meiner Immunität, beim Sächsischen Landtag zu stellen.

Ich finde sowohl den Fakt der beabsichtigten Anklageerhebung selbst wie auch den Zeitpunkt, der jetzt von der Staatsanwaltschaft für ihre Mitteilung gewählt wurde, überaus bemerkenswert und auch bezeichnend.

Über zehn Monate wurde ermittelt, ohne auch nur einen einzigen Beweis für irgendein strafbares Handeln meinerseits erbringen zu können. Trotzdem wird das Verfahren – im Gegensatz zu anderen ursprünglich ebenfalls Beschuldigten – in meinem Fall bei gleicher Ausgangslage nicht eingestellt. Angesichts dessen drängt sich immer mehr der Verdacht auf, dass es hier massive politische Einflussnahmen und Vorgaben an die zuständige Staatsanwaltschaft gegeben hat. Anders sind die Vorgänge der letzten Monate nicht mehr zu erklären.

Es soll an meiner Person ganz offenkundig ein Exempel statuiert werden, koste es, was es wolle, im Zweifel auch das Ansehen und die Akzeptanz des Rechtsstaates.

Ich darf vielleicht noch einmal kurz den Ablauf der Ereignisse in Erinnerung rufen: Die Staatsanwaltschaft Dresden hatte mir mit Schreiben vom 4. März 2010 mitgeteilt, dass Sie beabsichtigt, gegen mich als Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag wegen meiner federführenden Beteiligung an den Protestaktionen gegen den Nazi-Aufmarsch am 13. Februar in Dresden Anklage zu erheben. Zugleich wurde mir bedeutet, dass von der Erhebung einer Klage abgesehen werden und das Verfahren nach § 153a Strafprozessordnung eingestellt werden könne, sofern ich bis zum 1. April einen Geldbetrag – es ging damals um 500 EUR – an einen konkret benannten Verein entrichte.

Ich habe dies damals abgelehnt und der Öffentlichkeit diese Entscheidung auch auf einer Pressekonferenz am 19. März vergangenen Jahres ausführlich erläutert. Ich bleibe dabei: Es war richtig und es bleibt notwendig, sich gegen Nazi-Aufmärsche in Dresden mit friedlichen Mitteln zur Wehr zu setzen. Dieses zivilgesellschaftliche Engagement darf nicht kriminalisiert werden.

Nach Aussagen von Oberstaatsanwalt Avenarius liefen damals, also im März 2010, etwa 20 Prüfvorgänge ausschließlich gegen Abgeordnete der LINKEN aus Länderparlamenten und dem Deutschen Bundestag. Ich war seinerzeit der Erste, der ein förmliches Schreiben der Staatsanwaltschaft erhalten hatte, und ich bin jetzt offenbar auch der Erste, gegen den Anklage erhoben werden soll.

In der Zwischenzeit ist jedoch auch einiges geschehen, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Nachdem ich die Zahlung des für die Einstellung des Verfahrens geforderten Geldbetrages abgelehnt hatte, passierte einige Monate lang erst einmal überhaupt nichts, außer dass auch noch mein Thüringer Kollege Bodo Ramelow sowie die beiden Fraktionsvorsitzenden im Hessischen Landtag gleichlautende Schreiben erhielten wie ich. Auch sie haben sich auf den angebotenen Deal aus guten Gründen nicht eingelassen.

Ich selbst erhielt dann Mitte 2010 ein Schreiben, in dem ich zu einer Beschuldigten-Vernehmung geladen wurde. Absender der Ladung war das Dezernat 52 des Landeskriminalamtes mit der Bezeichnung „Politisch motivierte Kriminalität Links, Verratsdelikte, Kriegsverbrechen“. Absurder geht es kaum noch. Friedlicher Widerstand gegen neofaschistische Umtriebe ist weder politisch motivierte Kriminalität, noch a priori Links, sondern ist eigentlich Verfassungsauftrag aller Demokraten. Und ein Zusammenhang zu Verratsdelikten oder Kriegsverbrechen ist gleich gar nicht konstruierbar.

Ich habe danach über meinen Anwalt zunächst Akteneinsicht beantragt und mich bereiterklärt, gegenüber der Staatsanwaltschaft, nicht aber gegenüber dem eigentümlichen Dezernat, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, was dann auch geschehen ist, und zwar in sehr ausführlicher Form.

Nach der Einsichtnahme in die Akten der Staatsanwaltschaft sind wir im Übrigen fest davon ausgegangen, dass es im Ergebnis der vorliegenden Ermittlungsergebnisse nur eine einzige Schlussfolgerung geben kann, nämlich die vollständige Einstellung des Verfahrens.

Selbst die vor der Staatsanwaltschaft in Thüringen beantragte Aufhebung der Immunität von Bodo Ramelow änderte an dieser Bewertung nichts, denn anders als in Sachsen oder Hessen, muss in Thüringen der Landtag darüber schon entscheiden, bevor mit förmlichen Ermittlungen überhaupt begonnen werden kann, die im Zweifel dann natürlich auch zur Einstellung des Verfahrens führen können.

Bestärkt wurde unsere Einschätzung durch die Einstellung von Verfahren gegen mehrere Abgeordnete – auch solche in herausgehobenen Funktionen –, die am 13. Februar 2010 gemeinsam mit mir in vorderster Reihe gegen den Nazi-Aufmarsch protestiert hatten und vor allem durch die dazugehörige Begründung.

Gestatten Sie mir, einige Passagen aus der Einstellungsverfügung vom 25. Mai 2010 zu zitieren, die dem Parlamentarischen Geschäftsführer meiner Fraktion, Klaus Tischendorf, zugegangen ist. Dort heißt es u.a.:

„Das Verfahren wird gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung ist nicht gegeben. Die Schuld wäre als gering anzusehen.“ Und zur Begründung wird dann ausgeführt:

„Die Teilnehmer der ‚Blockade’ haben sich ohne körperlichen Widerstand gegen eingesetzte Polizeikräfte und ohne sonstige körperliche Gewalt durch einfaches Stehenbleiben dem beabsichtigten Marsch der JLO entgegengestellt. Die ‚Blockade bildeten nicht einzelne Personen, sondern eine größere Menge (mehrere Tausend Bürger). Das setzt ohne Zweifel eine gewisse Steuerung, d.h. auch aktives Tun voraus…

In der Gesamtschau wird hier wohl die Straßenblockade als Gewalt im Sinne des § 240 StGB angesehen werden müssen. Das kann indes aber dahingestellt bleiben, denn es fehlt bei den Teilnehmern der ‚Blockade’ an der Verwerflichkeit des Handelns… Das Motiv für das widerrechtliche Verhindern des Marsches war mithin ein anerkannt sittliches.“

Soweit die Zitate aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft an Klaus Tischendorf. Für mich (und sicher nicht nur für mich!) ist diese Bewertung absolut nachvollziehbar. Nur frage ich mich allen Ernstes: Warum gilt das dann nicht auch für Bodo Ramelow, für Janine Wissler, für Willi van Ooyen und für meine Person?

Das Ganze lässt sich sogar noch weiter zuspitzen: Der einzige Unterschied zwischen Klaus Tischendorf und mir bezogen auf den 13. Februar letzten Jahres bestand darin, dass Herr Tischendorf zu der Zeit, als die Nazis marschieren wollten, auch tatsächlich vor der Polizeikette auf der Hansa-Straße anwesend war. Ich selbst habe zeitgleich zunächst an der Kundgebung vor dem Dresdner Rathaus und dann auf dem Altmarkt an der Menschenkette teilgenommen.

Dabei stand ich drei oder vier Plätze neben dem Ministerpräsidenten, dem Landtagspräsidenten und der Dresdner Oberbürgermeisterin, wie hunderte Fotos und auch die Fernsehaufnahmen belegen. Auch danach bin ich im Übrigen wegen anderer Veranstaltungen auf der Altstadt-Seite geblieben.

Das Verfahren gegen Klaus Tischendorf oder auch seinen hessischen Kollegen Schaus ist zu Recht eingestellt worden, gegen mich aber soll Anklage wegen Sprengung einer Versammlung erhoben werden, obwohl ich zur fraglichen Zeit gar nicht mehr vor Ort war. Im Normalfall dürfte man getrost darauf vertrauen dass sich jedes Gericht weigert, angesichts dieser abstrusen Anklage-Konstruktion ein solches Verfahren auch nur zur Verhandlung anzunehmen. Aber in Sachsen ticken die Uhren ja bekanntermaßen bisweilen etwas anders…

Womöglich will es die Staatsanwaltschaft auch gar nicht auf eine öffentliche Verhandlung ankommen lassen, sondern nach einer eventuellen Aufhebung der Immunität „lediglich“ einen Strafbefehl erwirken, gegen den ich mich dann juristisch zur Wehr setzen müsste, was sich über Jahre hinziehen könnte.

Ich habe keinen Zweifel daran, dass ich am Ende vor dem Bundesgerichtshof oder dem Bundesverfassungsgericht Recht bekommen würde, aber meine politische Handlungsfähigkeit wäre über längere Zeit erheblich beeinträchtigt.

Was hier seitens der Generalstaatsanwaltschaft sowie der Spitze der Dresdner Staatsanwaltschaft läuft, ist in meinen Augen ein glatter Missbrauch der Strafverfolgung zu politischen Zwecken. Deshalb bin ich auch der Ansicht, dass einem solchen rechtsmissbräuchlichen Verfahren von Anfang an öffentlich entgegen getreten werden muss.

Aus diesem Grund habe ich mich auch entschieden, die Kollegen der demokratischen Fraktionen im Sächsischen Landtag dringend zu bitten, der Aufhebung meiner Immunität im vorliegenden Fall nicht zuzustimmen.

Dies ist im Parlament ein durchaus ungewöhnliches Ersuchen, aber es geht eben auch nicht um irgendein Verkehrsdelikt, um einen Diebstahl oder um Betrug, sondern es geht um eine politische Äußerung, um eine friedliche Artikulation des Protestes gegen Neonazis, an der sich 2010 tausende Menschen aus Dresden, aus Sachsen, aber auch aus anderen Teilen Deutschlands beteiligt haben, und zwar partei- und konfessionsübergreifend, was bundesweit und selbst über die Grenzen hinaus Wertschätzung und Beachtung erfahren hat.

Artikel 55 der Landesverfassung des Freistaates bestimmt, dass Abgeordnete zu keiner Zeit wegen einer politischen Äußerung, die Sie in Ausübung ihres Mandates getan haben, gerichtlich verfolgt werden dürfen.

Die öffentliche Fraktionssitzung der LINKEN am 13. Februar 2010, zu der die drei beteiligten Fraktionen eingeladen haben, war aus meiner Sicht ohne Zweifel eine solche politische Äußerung. Deshalb ist es im vorliegenden Fall auch gerechtfertigt, die Immunität nicht aufzuheben.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik kennt neben der Versammlungsfreiheit nicht nur ein Grundrecht auf Meinungs- und Gewissensfreiheit kennt, sondern im Artikel 20 auch ein Grundrecht auf Widerstand gegen Bestrebungen, die auf die Beseitigung der rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung gerichtet sind. Genau dieses Recht nehme ich für mich und für die vielen tausenden friedlichen Protestierer in Anspruch. In Köln, Jena und Leipzig stellen sich die Oberbürgermeister an die Spitze der Protestaktionen gegen Nazi-Veranstaltungen, rufen öffentlich zu Gegenaktionen und auch friedlichen Blockaden auf. In Berlin wird Bundestagsvizepräsident Thierse von einer Sitzblockade durch die Polizei weggeführt und niemand kommt auf die Idee, diese Politiker wegen Ihres zivilen Ungehorsams vor Gericht zu stellen.

In Dresden aber ist genau dies nun geplant, und ich hoffe sehr, dass alle wirklichen Demokraten das nicht zulassen werden, indem sie meine Immunität nicht aufheben.

Ich frage wie schon im letzten März: Sollte es im 66. Jahr nach der Befreiung vom Faschismus und dem Ende des 2. Weltkrieges in Deutschland tatsächlich möglich sein, dass eine Landtagsmehrheit – womöglich noch mit den Stimmen der NPD – die Immunität eines Abgeordneten aufhebt, weil er sich friedlich einem Nazi-Aufmarsch entgegengestellt hat? Ich will das nicht glauben!

Zu den Immunitätsfragen wird Klaus Bartl dann noch Stellung nehmen.

Ich habe eingangs davon gesprochen, dass neben der beabsichtigten Anklageerhebung auch der Zeitpunkt der Entscheidung wohl kein Zufall ist. Ich fühle mich in unangenehmer Weise erinnert an die Durchsuchungen bei der „Initiative Dresden-nazifrei“ vor knapp einem Jahr.

Die Zielsetzung ist offenkundig die gleiche: Es geht um Verunsicherung, es geht um Einschüchterung, es geht darum, Bürgerinnen und Bürger, die sich den Nazi friedlich in den Weg stellen wollen, von einer Teilnahme an den Protestaktionen abzuhalten. Ich bin jedoch sehr zuversichtlich, dass dies nicht gelingen wird. Dazu wird unser Landesvorsitzender Rico Gebhardt gleich noch etwas sagen. (Siehe Anlage.)

Abschließend ist es mir ein großes Bedürfnis, mich bei all jenen zu bedanken, die mir in den zurückliegenden Monaten in zahlreichen Briefen oder Mails geschrieben, mich angerufen bzw. angesprochen haben, um mir ihre Solidarität in diesem äußerst fragwürdigen Verfahren zu signalisieren. Diese Unterstützung tat gut, sie war parteiübergreifend, ging bis in Kirchenkreise hinein, und auch viele politisch sonst eher zurückhaltende, so genannte einfache Leute, waren unter denen, die sich an mich gewandt haben.

Ich kann all diesen Menschen und auch Ihnen versichern: Ich werde mich nicht beirren lassen und ich lasse mich auch von niemandem einschüchtern. Deshalb wiederhole ich heute: Ich war in den letzten Jahren bei den Protestaktionen dabei, ich war es 2010 und ich werde es auch in diesem Jahr wieder sein!

Der rechtspolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Klaus Bartl, ergänzt zu immunitätsrechtlichen Aspekten: „Die Immunität schützt den einzelnen Abgeordneten vor politisch missbräuchlicher Strafverfolgung. Hier liegt ein Verstoß gegen das Willkürprinzip vor, es ist von der Staatsanwaltschaft ein selektives Herangehen beabsichtigt, das im Strafrecht nicht vorgesehen ist. Wir gehen daher davon aus, dass der Immunitätsausschuss dem Antrag auf Aufhebung der Immunität von André Hahn nicht folgen wird.