Spitzensportreform mit Debatte zur Zukunft des Sports verbinden

Rede zum Antrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD „Reformbestrebungen weiter mit Leben füllen Leistung, Transparenz, Fairness und Sauberkeit in den Mittelpunkt der künftigen Spitzensportförderung stellen“, Drs. 18/12362 sowie zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen „Konzept zur Spitzenreform grundlegend überarbeiten – Beteiligungsrechte für Athletinnen und Athleten verankern“, Drs. 18/10981

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
eigentlich sollten die Anträge der Koalition und von den Grünen zum Konzept der Spitzensportreform ohne Debatte in den Sportausschuss überwiesen werden – dies hat DIE LINKE nicht akzeptiert. Statt einer echten Debatte als Tagesordnungspunkt 36 um 5 Uhr morgens vor einem sicherlich nahezu leeren Plenarsaal werden nun die Reden zu Protokoll gegeben. Warum haben wir als LINKE eine Diskussion gefordert?

Am 28. September 2016 stellten Bundesinnenminister de Maiziere und DOSB-Präsident Hörmann dem Sportausschuss ihr Konzept zur „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung“ vor.

Am 3. Dezember 2016 stimmte der DOSB auf seiner Mitgliederversammlung diesem nach massiver Kritik mit Datum vom 24. November 2016 nur leicht veränderten und noch immer unvollständigen Konzept bei nur einer Gegenstimme zu. Ich war ja in Magdeburg dabei, und verstehe das bis heute nicht. Für den Sport sind mit diesem Konzept sehr gewichtige und tiefgreifende Entscheidungen verbunden, die m.E. die Mitwirkung des Parlaments erfordern. Dies hat DIE LINKE mehrfach im Sportausschuss und in Anfragen an die Bundesregierung deutlich gemacht. Trotzdem erfolgte keine förmliche Einbindung des Parlaments. Erst mit dem Antrag der Grünen von Ende Januar wurde ein Weg geschaffen, das Thema doch noch in dieser Wahlperiode im Bundestag zu debattieren. Die in dem Antrag formulierten Forderungen stimmen weitgehend überein mit den Positionen, die die sportpolitischen Sprecher und Sprecherinnen der LINKEN im Bundestag und in den Landtagen in einer „Magdeburger Erklärung“ am 7. November 2016 bereits öffentlich gemacht hatten. Zur Erinnerung hier noch einmal die fünf Punkte:

1. „Nicht akzeptabel ist zuerst das intransparente Verfahren. Gremium und Arbeitsgruppen aus DOSB, BMI und Sportministerkonferenz (SMK) tagten hinter verschlossenen Türen. Wichtige Akteure wie die Sportpolitiker*innen des Bundestages und der Landtage oder der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband (adh) waren nicht beteiligt und werden jetzt vor vollendete Tatsachen gestellt…
2. Nicht akzeptabel ist insbesondere die ausschließliche Fixierung auf Podiumsplätze bei Olympischen Spielen, Paralympics und Deaflympics. Medaillen dürfen nicht das einzige Kriterium einer künftigen Förderung des Spitzensports sein. Vielmehr ist das Verhältnis des Spitzen- und Leistungssports zum Schul- und Breitensport zu klären. Wir brauchen dringend eine öffentliche Diskussion über den Stellenwert des Sports in der Gesellschaft.
3. Nicht akzeptabel sind weiterhin die wenig substantiellen Vorschläge zur Nachwuchsentwicklung und zur „Dualen Karriere“. Letztere darf nicht nur bei Bundeswehr, Polizei und Zoll, sondern muss auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes und in der Privatwirtschaft möglich sein. Zweifelhaft scheinen auch die Wirksamkeit der computergestützten Potenzialanalyse und der Sinn der geplanten neuen Kaderstrukturen.
4. Nicht akzeptabel ist die aktuelle Situation der Trainerinnen und Trainer. Der organisierte Sport braucht gut ausgebildetes Personal und in angemessener Zahl Trainerinnen und Trainer mit langfristigen Tarifverträgen, die in der Eingruppierung mindestens denen von Lehrerinnen und Lehrern an öffentlichen Schulen anzugleichen sind.
5. Nicht akzeptabel sind schließlich auch die Vorschläge zur künftigen Förderung des Spitzensports von Menschen mit Behinderungen. Wenn überhaupt, kommen die Paralympics und Deaflympics in diesem Konzept nur am Rande vor. Notwendig ist aber eine gleichwertige Förderung für Sportlerinnen und Sportlern, für Trainerinnen und Trainern und dem sonstigen Personal in diesem Bereich. Der Behindertensport darf nicht länger schlechter gestellt werden, im Gegenteil: Behindertenbedingte Nachteile und Mehraufwendungen müssen künftig ausgeglichen werden.“
Insofern werden wir also den Antrag der Grünen auch unterstützen.

Und seit gestern liegt nun doch noch ein Antrag der Koalition zur Spitzensportreform vor – acht Monate, nachdem die von ihr getragene Regierung ihr Konzept vorstellte und seitdem viel Unruhe und Chaos schuf.

Allerdings entsprechen die im Antrag enthaltenen Feststellungen und Forderungen doch erkennbar dem unverbindlichen Ton des eigentlichen Konzeptes. Auch in den einzelnen Handlungssträngen – die zudem zuerst von den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln abhängig gemacht werden – fehlt die gerade von den Aktiven gewünschte Klarheit. Wie eine Monstranz tragen der organisierte Sport und das Innenministerium seit Monaten die Floskel vor sich her „Die Athletin, der Athlet stehen im Mittelpunkt“. Allerdings fehlt jede inhaltliche, vor allem aber finanzielle Unterfütterung eines solchen Bekenntnisses, auch im Antrag der Koalition.

Zumindest haben Union und SPD eine Forderung von Sporthistorikern und Sportphilosophen aufgegriffen, die die Linksfraktion seit geraumer Zeit auch im politischen Raum erhebt: Es muss endlich eine gesellschaftliche Debatte zur Bedeutung des Spitzensports geben!

Dies ist übrigens ein weiterer Grund für mich, zumindest diese Protokoll-Debatte im Bundestag zu führen. Die Koalitionsfraktionen sind trotz der im Antrag eingeforderten Gesellschaftsdebatte weiterhin nicht bereit, im Sportausschuss öffentlich zu tagen.

Fraglich ist zudem auch, ob die Anträge angesichts der wenigen Sitzungswochen bis zur Bundestagswahl überhaupt noch abschließend im Plenum debattiert werden. Nunmehr hat die Öffentlichkeit wenigstens durch die zu Protokoll gegebenen Reden die Möglichkeit zu erfahren, wie sich die Fraktionen zu den beiden Anträgen, aber auch zur Spitzensportreform an sich positionieren.

Das vom Bundesinnenminister präsentierte Konzept zur ‚Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung‘ lag der Bundesregierung bei ihrer Kenntnisnahme in der Kabinettssitzung am 15. Februar 2017 ebenso wie dem DOSB am 3. Dezember 2016 nur unfertig vor. Alle Erfahrungen und Berichte aus den Sportfachverbänden verdeutlichen zudem akuten Nachbesserungsbedarf.

Ich meine: Diese Baustellen müssen endlich in einem transparenten Verfahren zwischen dem DOSB und seinen Mitgliedsverbänden sowie der Politik mit ihren Vertreter*innen aus Bundesregierung, Bundesländern und Bundestag bearbeitet werden. Die derzeit erlebbare Ignoranz und Selbstherrlichkeit der Verantwortlichen im Bundesinnenministerium könnten perspektivisch zum Sargnagel für das Konzept werden und damit dem Leistungs- und Spitzensport großen Schaden zufügen. Bei der Diskussion zum 13. Sportbericht der Bundesregierung am 19. Januar 2017 hatten wir mit Blick auf die überfällige gesellschaftliche Debatte einen Entschließungsantrag vorgelegt, der fünf Kernforderungen sportpolitischer Leitlinien der LINKEN enthielt:

Erstens soll der Sport als Staatsziel im Grundgesetz verankert und endlich ein Sportfördergesetz erarbeitet werden. Zweitens soll jede Sportförderung des Bundes auch einer zunehmenden breiten sportlichen Betätigung für alle und der Gesundheit der Menschen von frühester Kindheit bis ins hohe Alter dienen. Drittens soll die Spitzensportförderung angemessene, verlässliche und langfristige Rahmenbedingungen für die Sportlerinnen und Sportler, für Trainerinnen und Trainer und weitere Akteure schaffen. Viertens muss die Sportstätteninfrastruktur in Bund, Ländern und Kommunen erhalten und systematisch verbessert werden. Und fünftens brauchen wir einen konsequenten Kampf gegen Doping, Betrug und Korruption im Sport. DIE LINKE begrüßt das grundsätzliche Ansinnen, die Spitzensportförderung neu zu strukturieren. Das vorgelegte Konzept zur Reform halten wir aber nach wie vor in mehrfacher Hinsicht für äußerst problematisch.

Es fehlen weiterhin wichtige Bestandteile wie beispielsweise das Finanzierungskonzept. Zumindest ist uns bisher keines bekannt. Angesprochen habe ich auch schon die prekäre Personalsituation bei Trainerinnen und Trainern, und völlig unzureichend sind auch weiterhin die Möglichkeiten für eine duale Karriere von Spitzensportlern. Die Athletenkommission drängt zu Recht nachdrücklich und öffentlich auf eine Fürsorgepflicht des organisierten Sports und der Politik für seine herausragenden Präsentanten – und das sind nun einmal die Sportlerinnen und Sportler, die die Erfolge erringen.

Auch die aus Sicht der LINKEN nicht akzeptable Fixierung auf Medaillen bei Paralympics und Olympischen Spielen muss korrigiert werden und darf aus unserer Sicht nicht vorrangiger Maßstab für die Sportförderung von Innenministerium, DOSB und der deutschen Sporthilfe sein. Und klar sollte auch sein: Die Zukunft des Sports darf definitiv nicht über eine computergestützte Potenzialanalyse definiert und auf eine medaillenorientierte Kaderschmiede reduziert werden.

Ich bin sicher, dass wir zur Zukunft des Sports und des Spitzensports nicht das letzte Mal in diesem Hause diskutieren. Ernsthafte Korrekturen sind in dieser Wahlperiode mit der jetzigen Koalition leider nicht mehr zu erwarten. Es bleibt die Hoffnung, dass nach der Bundestagswahl mit anderen Mehrheiten und deutlich mehr Druck aus den Reihen des organisierten Sports, vor allen von Seiten der Athletinnen und Athleten, ein wirklich zukunftsfähiges Konzept entsteht.

(Die Rede wurde zu Protokoll gegeben.)