Regionalkonferenz zum Landeswahlprogramm

Auf der Regionalkonferenz der sächsischen LINKEN, 19. März 2009, Stollberg:

Es gilt das gesprochene Wort!

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

wir sind im Superwahljahr, da werden Meinungsumfragen und daraus abgeleitete Trends scheinbar fast so wichtig wie Börsenkurse. Das Gemeinsame zwischen beiden Kurven besteht darin, dass ihre Werte oft wie Seifenblasen zerplatzen. Das geschieht allerdings offenbar durchaus nach gewissen Gesetzmäßigkeiten: So schnitten die LINKEN bzw. die PDS bei Landtagswahlen in Sachsen regelmäßig mindestens zwei Prozent besser ab als im Durchschnitt aller Meinungsumfragen, andere Parteien erlebten dagegen wiederholt den gegenteiligen Effekt: Den Mut machenden Meinungsumfragen folgte die Ernüchterung am Wahltag.

Ich will jetzt gar nicht darüber spekulieren, woran es liegt, dass wir ständig in der veröffentlichten Meinung unter Wert gehandelt werden. Diese Differenz zwischen schwachem Schein und starkem Sein begleitet uns ja nicht nur chronisch bei Meinungsumfragen. Ich kenne keine Fraktion, die so konsequent konzeptionell arbeitet wie unsere – das hindert die Kommentatoren aber nicht daran, uns in schöner Regelmäßigkeit des Populismus zu bezichtigen.

Wir machen uns als einzige Oppositionsfraktion die Mühe, in konzentrierter Form einen Alternativen Haushalt vorzulegen, in dem die Schwerpunkte unserer Politik solide durchgerechnet sind. Wir sind auch die einzige Fraktion, die dem Sächsischen Schulgesetz einen eigenen, kompletten Schulgesetzentwurf entgegengestellt hat, der das sächsische Schulwesen aus dem Muff konservativer Politik befreien und zu dem machen würde, was Eltern, Lehrer und Schüler tatsächlich wollen. Dazu gehört selbstverständlich auch das längere gemeinsame Lernen statt einer verfrühten Auslese nach der 4. Klasse.

Bildungspolitik ist die Kernkompetenz von Landespolitik, es ist das Thema, bei dem der Landtag den größten eigenständigen Handlungsspielraum hat. Wer bei der Bildungspolitik nicht mit der CDU-Ideologie übereinstimmt – und das sind mindestens 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Sachsen -, sollte daher vernünftigerweise nicht CDU wählen. Es geht bei der Landtagswahl nicht um irgendwelche Glaubensbekenntnisse, sondern darum, diejenigen mit landespolitischer Entscheidungsmacht auszustatten, die damit etwas Sinnvolles anzufangen verstehen. Das ist bei der CDU offenkundig nicht der Fall!

Ich will hier nicht die PISA-Ergebnisse schlecht reden, im Gegenteil, ich will mich bei den sächsischen Lehrerinnen und Lehrern für ihren großartigen tagtäglichen Einsatz bedanken, der politische Standortnachteile ausgeglichen hat, denn Fakt ist, dass der Staat nirgendwo so wenig pro Schüler auszugeben bereit ist wie in Sachsen. Eine Partei wie die CDU, seit 1990 über 1.000 Schulen geschlossen hat, so dass vor allem auf dem Land nun wirklich nicht mehr von wohnortnahen Schulen die Rede sein kann, hat keine Lorbeeren verdient. Die stehen den Eltern zu, die unter oft schwierigen sozialen Bedingungen ihren Kindern die bestmöglichen Voraussetzungen für Bildung mitgegeben haben.

Es ist hier weder der Ort noch die Zeit, sich in langatmigen soziologischen Erwägungen zu ergehen, warum die sächsischen Elternhäuser und die sächsischen Lehrerinnen und Lehrer so gut und die Schülerinnen und Schüler daher so erfolgreich ist. Es hat jedenfalls nichts mit einem CDU-Kultusminister zu tun, der schon als Landwirtschaftsminister von seinem Aufgabenbereich keine Ahnung hatte und sich insofern treu geblieben ist.

Es fällt eine Parallele zur Wirtschaftspolitik auf: Hierbei hieß es jahraus, jahrein, Sachsen stehe an der Spitze der neuen Bundesländer, weil die Wirtschaftspolitik der sächsischen CDU so gut sei.

Nun stand Sachsen im letzten Jahr am Ende der Wirtschaftswachstums-Statistik aller Bundesländer, ohne dass dieser Umstand von der veröffentlichten Meinung angemessen beachtet wurde. Ganz im Gegensatz zu den Lobeshymnen, die in den Jahren zuvor über Ministerpräsident und Staatsregierung wegen der größten Wirtschaftsdynamik im Ländervergleich niedergegangen sind.

Auch in Wirtschaftsfragen gilt wie bei der Bildung: Sachsen ist gut, und das schon seit Jahrhunderten. Schon zu DDR-Zeiten stand das sächsische Territorium ökonomisch an der Spitze des Ostens, und in der Geschichte spielte die sächsische Wirtschaft an der Spitze Europas und der Welt mit. Schon im Mittelalter gehörte manche sächsische Stadt zu den reichsten Gebieten in Deutschland – ganz ohne dass eine CDU dabei ihre Finger im Spiel hatte.

Die CDU-Politik hat aber eine Aktie daran, dass es mit der Spitzenstellung Sachsens seit letztem Jahr vorbei ist: Jetzt rächt sich die einseitige Fixierung auf einige exportabhängige Leuchttürme. Unsere langjährigen Forderungen nach einer flächendeckenden ordentlichen Förderung der regionalen Wirtschaft – besonders auch abseits der großen Metropolen – wurden arrogant ignoriert, nach dem Motto: Die Linken haben eh keine Ahnung. Das rächt sich jetzt bitter!

Das Verrückteste aber ist, dass die CDU nun tatenlos und wie hypnotisiert dabei zusieht, wie der unter Kurt Biedenkopf mit Höchstförderung gepäppelte wichtigste Leuchtturm, die Mikroelektronik, einzustürzen droht. Denn natürlich ist der Kollaps des wichtigsten Unternehmens in diesem Bereich, Qimonda, erst der Anfang, der einen Dominoeffekt auslösen kann. Damit drohen drei Milliarden Steuergelder, die ins „Silicon Saxony“ gepumpt wurden, zur größten staatlichen Investitionsruine aller Zeiten zu werden – und das wie schon beim milliardenschweren Zusammenbruch der sächsischen Landesbank auf Kosten der Steuerzahler!

Statt jetzt mutig mit einer kühl kalkulierten, vorübergehenden staatlichen Beteiligung zu operieren, wie es bei der französischen Mikroelektronik gerade gemacht worden ist, und in Übersee bzw. Asien sowieso, ziehen sich Herr Tillich und seine CDU ängstlich in ihre ordnungspolitische Fluchtburg zurück und rufen von den Zinnen: „Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer!“ Das haben wir auch gar nicht behauptet, schließlich hat der von CDU-Politik gesteuerte sächsische Staat gerade eine Landesbank in den Sand gesetzt.

Aber der Staat hat natürlich eine industriepolitische Verantwortung. Hätte Kurt Biedenkopf Anfang der neunziger Jahre so kleingeistig agiert wie jetzt Stanislaw Tillich, hätten wir in Sachsen weder eine Auto- noch Chipindustrie – die im Übrigen beide schon zu DDR-Zeiten eine Rolle gespielt haben. Ich sage das nur, weil der traditionelle ökonomische Vergleichsmaßstab für die sächsische Industrie nicht die Priegnitz oder Uckermark ist – beides übrigens wunderschöne Landschaften -, sondern vielmehr Global Player sein sollten.

Der sächsische Mikroelektronik-Standort ist europaweit einzigartig und steht in interkontinentaler Konkurrenz – da können wir uns kein provinzielles Denken leisten, wie es von den Herren Tillich und Flath an den Tag gelegt wird.

Wir stehen kurz vor einer Landtags-Sondersitzung, übrigens der ersten in der Geschichte Sachsens, die von Linken und Grünen gemeinsam durchgesetzt wird. Es gibt bekanntlich einen sehr erfolgreichen Untersuchungsausschuss in der Korruptions- bzw. Aktenaffäre, den wir zusammen mit Grünen und FDP eingesetzt haben.

Wenn es um die Kontrolle einer CDU-dominierten Staatsregierung geht, die regelmäßig mit Grundrechten der Landesverfassung auf Kriegsfuß steht und deshalb in Serie vorm Leipziger Verfassungsgerichtshof in die Schranken gewiesen wird, ist es richtig und wichtig, dass die demokratische Opposition gemeinsame Sache macht.

Wir als stärkste Oppositionsfraktion sind stets unserer Verantwortung nachgekommen, für die Funktionsfähigkeit der Opposition in Sachsen insgesamt zu sorgen – und dazu gehört es, dass man in erster Linie die Regierung angreift und sich nicht in der Opposition gegenseitig das Leben schwer macht.

Ich verrate aber kein Geheimnis, wenn ich sage: Gemeinsam gestalten kann man mit der FDP nichts! Die wenigen Punkte, in denen es vor Jahren noch praktische Übereinstimmungen gab, sind inzwischen einem besinnungslosen Opportunismus des Anbiederungskurses der Zastrow-Truppe an die CDU zum Opfer gefallen. Ehrwürdigste Grundsätze des Liberalismus, wie beispielsweise der Schutz des Demonstrationsrechtes, werden von Herrn Zastrow mal eben über Bord geworfen – die CDU will das Demonstrationsrecht verschärfen, und da möchte die FDP-Fraktion jetzt mitmachen, um sich als künftiger Koalitions-Wurmfortsatz der schwarzen Dauerregierungspartei zu qualifizieren. Dabei mutet man dem Wahlvolk auch extreme Widersprüchlichkeiten zu, schließlich hat der rechtspolitische Sprecher der FDP jahrelang Seit’ a Seit’ mit den Linken und mit sehr guten, plausiblen Argumenten gegen die Verschärfung des Demonstrationsrechts polemisiert.

Es wäre eine abendfüllende Veranstaltung, den ganzen unausgegorenen Unsinn der ambulanten Werbeagentur Zastrow und der ihr angeschlossenen sächsischen FDP im Detail auseinanderzunehmen. Es lohnt sich nicht.

Wer einerseits wiederholt öffentlich streikende sächsische Lehrerinnen und Lehrer beschimpft und so tut, als seien hier Schüler von Gewerkschaften als Geiseln genommen worden, und nur wenige Wochen später verkündet, es müsse mehr gegen die Abwerbung des Pädagogen-Nachwuchses durch westdeutsche Bundesländer getan werden, ist ganz offensichtlich nicht ganz bei Trost. Ich wünsche der CDU viel Spaß beim Versuch, mit dieser unzurechnungsfähigen Zastrow-Truppe eine parlamentarische Mehrheit zu Stande zu bekommen.

Für Sachsen wäre das ganz sicher eine Katastrophe, aber ich bin sehr zuversichtlich: Die Wählerinnen und Wähler werden in ihrem untrüglichen Gespür für Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit ohnehin dafür sorgen, dass Sachsen eine solche schwarz-gelbe Chaos-Regierung erspart bleibt.

Mit den Grünen haben wir dagegen – bei allen Meinungsunterschieden – durchaus eine Reihe substanzieller Gemeinsamkeiten. Wir sind uns darin einig, dass die Menschheit ohne eine Transformation der Wirtschaft zu nachhaltigeren Produktionsweisen keine Zukunft hat. Eine Politik wie die des Kabinetts Merkel, deren Rezept in der Krise lautet „Konsumieren auf Teufel komm raus“ und die es als Erfolg verbuchen würde, wenn im Ergebnis der Abwrackprämie künftig noch mehr Leute mit Sprit fressenden Geländewagen die Städte verstopfen, ist weder christlich noch sozial, sondern mit Blick auf kommende Generationen völlig verantwortungslos! Wir wollen unseren Kindern und Enkeln nicht nur Müllberge hinterlassen, sondern auch eine liebenswerte Landschaft, die den Menschen noch Heimat sein kann!

Von Luft und Liebe allein kann man aber auch nicht leben, die Wirtschaft ist und bleibt das Rückgrat unserer persönlichen und gesellschaftlichen Existenz. Wie wir wirtschaften, so leben wir – um mal einen Spruch aus vergangenen Zeiten etwas abzuwenden. Ich höre ja gelegentlich: Sie wollen Mindestlöhne durchsetzen, das können aber bei uns gar nicht alle Unternehmer zahlen. Darauf gibt es eine klare Antwort: Wir sind keine nostalgischen Sozialromantiker, wir kämpfen für sozialen Fortschritt – und damit ist natürlich eine Wirtschaft verbunden, aus deren Produktivität heraus ordentliche Löhne und der Sozialstaat finanzierbar sind. Wer einen hohen Sozialstandard will, muss dafür sorgen, dass das Herz der Ökonomie schlägt, und das Herz der sächsischen Wirtschaft ist Hightech. Das ist seit Jahrhunderten so, und „Hightech“ heißt in unserer Zeit nicht zuletzt Mikroelektronik.

Der noch amtierende CDU-Ministerpräsident redet zwar gern von den „Blutbahnen“ der zeitgenössischen Wirtschaft, dies seien die Produkte der Chipfabriken. Aber mit einer verkalkten Politik werden diese Blutbahnen zurzeit verstopft – deshalb brauchen wir auch um der sächsischen Wirtschaft willen einen Politikwechsel nach links! Natürlich benötigt Sachsen eine solche Linkswende vor allem deshalb, damit die Produktivität nicht nur wenigen, sondern der sozialen Wohlfahrt aller Menschen zugute kommt – und in diesem Sinne sind wir in Zukunft bereit, gemeinsame Sache auch mit der SPD machen!

Selbst wenn ich bei diesem Thema allmählich in den Verdacht gerate, wie eine Gebetsmühle zu reden, wiederhole ich es auch heute: Die SPD steht vor ihrer historischen Schicksalsfrage, ob sie weiterhin nur 20 Prozent ihrer Programmatik im Schlepptau der CDU durchsetzen will oder 80 Prozent zusammen mit uns. Das ist das Thema, über das im kommenden Wahlkampf geredet werden muss – und nicht darüber, wer von wem zum Ministerpräsidenten gewählt wird!

Die SPD hat ein sogenanntes „Regierungsprogramm 2009-2014“ für Sachsen beschlossen, wohl wissend, dass die CDU sowieso eigentlich nicht mehr mit den Sozialdemokraten weiterregieren will. Und wohl wissend, dass das meiste von dem, was da drinsteht, an einem gemeinsamen Kabinettstisch mit der CDU keinen Bestand haben wird. Wer wie die SPD einen Personalschlüssel von 1:7 für sächsische Kitas fordert, wird ja wohl nicht ernsthaft mit einem Koalitionspartner weitermachen wollen, der selbst das Versprechen des eigenen Ministerpräsidenten gebrochen hat, den Personalschlüssel auf 1:12 zu senken!

Wir werden uns im Übrigen nicht an einem Wettlauf um die schönsten Forderungen beteiligen und jetzt einen Personalschlüssel von einer Erzieherin für drei Kinder verlangen, wie es einige mit Vorurteilen beladene Leitartikler vielleicht erwarten würden.

Ich wünsche mir, dass eine rot-rot-grüne Landesregierung trotz krisenhafter Rahmenbedingungen wenigstens einen Personalschlüssel von 1:10 verwirklicht – damit wäre Sachsens Kindern mehr geholfen als mit einem Sammelsurium wohlfeiler Wahlkampfslogans!

In einem hat Herr Flath von der CDU natürlich ausnahmsweise Recht: Die Wähler wollen – das hat das Hin und Her in Hessen gezeigt – keinen Ypsilantismus. Sie wollen vorher wissen, was sie hinterher erwartet, und hinterher bekommen, was vorher versprochen wurde. Vor allen Dingen erwarten sie von Politikern, die Verantwortung wahrnehmen wollen, dass sie wenigstens rechnen können. Wenn die SPD ein „Regierungsprogramm“ aufschreibt, das definitiv mit der CDU nicht zu machen ist, kommt sie natürlich nicht um eine Antwort auf die Frage herum, mit wem sie – ich zitiere die Titelseite des sächsischen SPD-Regierungsprogramms – „anpacken, Zukunft gestalten“ will – „für Sachsen“.

Die Sozialdemokraten gehen angesichts ihrer Ausgangslage von unter zehn Prozent mit einem hochgesteckten Wahlziel von 15 bis 20 Prozent ins Rennen, und das ist auch gut so. Als Bewohner des Landes von Adam Ries sollte man aber merken, dass dann noch rund 30 Prozent zur Regierungsmehrheit fehlen, dass also der größere Anteil der neuen Mehrheit von anderen gestemmt werden muss. Natürlich wünsche ich mir, dass die Grünen wieder in den Landtag kommen, aber dann fehlen für eine linke Mehrheit immer noch 25 Prozent.

Ich gehe davon aus, denn das ist unser Wahlziel, dass wir diese Marke übertreffen werden. Das ist, wie gesagt, auch im Interesse der SPD, die doch hoffentlich Lust hat, endlich einmal nicht nur schöne Programme aufzuschreiben, sondern sie auch umzusetzen. Bisher macht die SPD reine Symbolpolitik, die sich zwar ganz gut verkauft, aber auf Dauer nichts bringt.

Es ist gut, dass die SPD unsere Vorstellungen vom längeren gemeinsamen Lernen aller Schülerinnen und Schüler, von einer Schule für alle, programmatisch teilt. Praktisch herausgekommen sind lediglich ein paar so genannte Modell-Gemeinschaftsschulen, die man zählen kann, ohne alle Finger beider Hände zu benutzen. Wir stehen nicht für Symbolpolitik, wir stehen für linke Realpolitik, und wir bieten SPD und Grünen an, für diese Politik eine gemeinsame Mehrheit zu schaffen. Alle Meinungsumfragen zeigen, dass die drei linken Parteien bei jenen Themen, auf die es in der Landespolitik in den nächsten Jahren ankommt, die große Mehrheit der Bevölkerung hinter sich wissen.

Diese gesellschaftliche Mehrheit können wir in eine parlamentarische Mehrheit umsetzen, davon bin ich fest überzeugt! Das wird uns aber nur gelingen, wenn wir auf gleicher Augenhöhe miteinander umgehen und uns an die Spielregeln der Fairness halten.

Dazu gehört, dass es in der Demokratie keine Stimmen erster und zweiter Klasse gibt. Es wird ja 20 Jahre nach 1989 in diesem Jahr 2009 besonders gern und häufig auf die Errungenschaften der Freiheit hingewiesen, und das ist auch gut so. Ich habe selbst am Zentralen Runden Tisch der DDR aktiv mitgewirkt und im Unterschied zum ehemaligen sozialistischen Vizelandrat Tillich – er selbst beschreibt ja seine politische DDR-Biografie am liebsten mit Westvokabeln – den Staatssozialismus mit abgewickelt. Deshalb habe ich das Recht, die Demokratie ernst zu nehmen, auch und gerade als Ostdeutscher, dem in Sonntagsreden regelmäßig verheißen worden ist, dass wir Ostdeutsche mit aufrechtem Gang in die deutsche Einheit gehen sollen.

Zu diesem aufrechten Gang gehört, dass die Wählerstimme für die einzige Partei, die immer zu ihrer Herkunft aus dem Osten gestanden hat, genau so viel zählt wie die Wählerstimme für eine der Parteien, die es schon in der alten Bundesrepublik gegeben hat.

Ich werde jederzeit und ohne eine Spur von Missgunst Herrn Jurk zum Ministerpräsidenten wählen, wenn die SPD mehr Stimmen bekommen sollte als wir. Liegen wir vorne, womit ja, wie die zitierten Zahlen zeigen, auch die SPD rechnet, dann kann nur mit einem Ministerpräsidenten der LINKEN „angepackt und für Sachsen Zukunft gestaltet“ werden – oder der Titel des SPD-Regierungsprogramms ist nicht ernst gemeint.

Das soll aber nun in den kommenden Monaten nicht unsere erste Sorge sein, jetzt kämpfen wir um jede Stimme – um jede Stimme für DIE LINKE. Denn wir sind am verlässlichsten, wenn es um wirkliche linke Politik geht!

Wir haben derzeit mit Herrn Tillich einen Ministerpräsidenten, der – während ich am Zentralen Runden Tisch tätig war – bis zum bitteren Ende in einer Führungsposition des Rates des Kreises ausgeharrt hat. Dann zog er es schon bald vor, die sozialen Verwerfungen der Nachwendezeit in seiner Heimat aus dem ebenso sicheren wie fernen Brüssel zu beobachten. Dass ihm das damals so viel Einkommen bescherte, als wäre er in Sachsen Minister geworden, war ein angenehmer Nebeneffekt. Ich sage das nicht, weil ich damals auf Herrn Tillich neidisch gewesen wäre, sondern weil mich – pardon – die Doppelmoral der CDU ankotzt!

Zehntausende Menschen hat Tillichs CDU wegen politischer und gesellschaftlicher Funktionen in der DDR, die weit unterhalb der von Herrn Tillich angesiedelt waren, ihrer beruflichen Existenz beraubt. Es ist einfach unwahr, wenn Talkshow-Christdemokraten wie Heinz Eggert behaupten, Tillich habe sich damals bewusst zurückgehalten. Herr Tillich hat sich, während die Freundschaftspionierleiterin oder der Hochschullehrer wegen angeblich zu großer Staatsnähe in die zwangsweise Arbeitslosigkeit geschickt wurde, den nach Biedenkopf bestbezahlten Job eines sächsischen Politikers organisiert.

Wie oft Tillich seine Biografie umschrieb, um ungefährdet weiter Karriere machen zu können, weiß wahrscheinlich am besten Karl Nolle. Man muss den Stil von Herrn Nolle nicht mögen, aber auch ich will wissen, ob Stanislaw Tillich 1999 in seinem Personalfragebogen falsche Angaben gemacht hat, um umgehindert Minister werden zu können. Mit diesen Fragebögen wurden nämlich unzählige hochqualifizierte Beschäftigte des öffentlichen Dienstes hinauskatapultiert. Viele mussten Sachsen verlassen. Ich kenne aus meiner damaligen Tätigkeit als Mitarbeiter der PDS-Landtagsfraktion viele solcher Einzelschicksale.

Ob all diese Menschen bereit sind, heute der CDU zu vergeben, weiß ich nicht. Ich halte mich an einen alten Spruch, den auch die Christdemokraten gern strapaziert haben: Ohne Wahrheit keine Vergebung! Und deshalb bestehen wir darauf und werden es immer wieder öffentlich fordern, dass Herr Tillich den Minister-Fragebogen von 1999 offenlegt! Vielleicht kann uns Herr Kretschmer als CDU-Generalsekretär dabei behilflich sein, schließlich hat er doch den dringenden Wunsch, dass wir Herrn Tillich vergeben. Wir wollen ja gar nicht so sein, aber zuvor müssen alle Karten auf den Tisch – gleiches Recht für alle!

Längst offengelegt ist der Entwurf unseres Wahlprogramms, natürlich auch im Internet. Viele engagierte Genossinnen und Genossen haben sich mit Änderungsvorschlägen eingebracht. Ich bedanke mich bei ihnen für die guten Ideen, und ich danke insbesondere Anne-Katrin Klepsch, Caren Lay und Stefan Hartmann für die Mühen der Konzipierung und Koordinierung. Wir Linke sind ein diskussionswütiges Völkchen, Gott sei Dank, denn viele wissen mehr als einer. Deshalb danke ich hier und heute ausdrücklich als Spitzenkandidat der LINKEN in Sachsen für die kollektive Weisheit, die in diesem Wahlprogramm steckt und aus der auch ich schöpfen kann!

Wir kommen, wie schon gesagt, aus dem Osten, das ist unser bleibendes, unverwechselbares Markenzeichen. Wir sind zugleich mittlerweile eine neue, gesamtdeutsche Partei, die einzige, die von Ost und West partnerschaftlich geführt wird. Wir haben eine neue soziale Idee, die vielen alten Erklärungsmustern nicht nur der Massenmedien widerspricht. Deshalb werden wir nicht immer nur gute Presse haben. Damit können wir leben, wir müssen nicht von allen geliebt werden – und wir lieben auch nicht alle!

Manchmal haben wir auch zu Recht schlechte Presse gehabt. Es hat einige interne Auseinandersetzungen gegeben, auf die ich gern verzichtet hätte. Ich sage aber ganz bewusst im Vorfeld des Wahlkampfes: Wer es sich zum Markenzeichen gemacht hat, aus Prinzip in allen wichtigen Fragen das Gegenteil der Politik der eigenen Partei oder Fraktion in der Öffentlichkeit zu propagieren, kann und darf dies selbstverständlich als freier Bürger in einem freien Land tun. Er kann aber von mir nicht erwarten, dass ich ihn menschlich und politisch zu den Genossen zähle, mit denen ich weiter gerne im Landtag zusammenarbeiten möchte.

Ich nehme auch sehr gern den Vorwurf entgegen, dass DIE LINKE nicht mehr nur die alte PDS ist. Sachsen 2009 sieht anders aus als Sachsen 1990. Wären wir bei dem stehengeblieben, womit wir damals angefangen haben, wären wir längst weg vom Fenster, und das zu Recht. Wir haben uns damals gemeinsam auf den Weg gemacht, das Ideal einer gerechten Gesellschaft unter gänzlich neuen Bedingungen mit demokratischem Leben zu erfüllen.

Dem nächsten Landtag wird voraussichtlich noch ein einziger Abgeordneter angehören, der 1990 auf der Liste der PDS gewählt wurde: Klaus Bartl, der erste Fraktionsvorsitzende. Ich bedauere es, dass es mir bisher noch nicht gelungen ist, Klaus Bartl davon zu überzeugen, Justizminister werden zu wollen, denn mit Klaus Bartl wären Verfassung und Rechtsstaat besser geschützt als unter jedem seiner CDU-Vorgänger. Aber Klaus Bartl, der ganz alte Hase, ist ein schönes Beispiel für gelebtes Miteinander mit den ganz Jungen in unseren Reihen. Und deshalb bin ich guter Dinge, dass die politischen Leistungsträger aller Generationen für eine ganz starke LINKE Fraktion an der Seite einer linken Regierung sorgen werden.

Dann werden wir sicher auch bei der nächsten Wahl der Mitglieder der Bundesversammlung für die Wahl des Bundespräsidenten alle Stimmen der eigenen Leute bekommen – und nicht vier zu wenig, nachdem die Fraktion zuvor intern einstimmig und mit begeisterten Meinungsäußerungen für den vorgelegten Personalvorschlag votiert hatte. Ihr seht, wir haben noch Reserven, allerdings ist das Ausmaß an Chaos, das derzeit in der CDU-Fraktion herrscht, selbst von Linken unerreichbar. Und so hat das konservative Lager bei der Bundespräsidentenwahl dank Sachsen zwei Stimmen weniger und das linke zwei mehr.

Es trifft sich gut, dass in dieser Woche mein zweiter Bürgerbrief als Fraktionsvorsitzender an alle Haushalte in Sachsen verteilt wird. Wir beginnen als Fraktion Bilanz zu ziehen, denn die Wahlperiode neigt sich dem Ende zu.

Die Bilanz ist zugleich Basis für den Ausblick. Wir haben viel Druck von links gemacht, und so gibt es jetzt z. B. ein kostenloses Vorschuljahr, auf das wir seit 13 Jahren gedrängt haben.

Wer aber will, dass die Kinder, die jetzt im Vorschuljahr sind, nicht erst eine bessere Schule geboten bekommen, wenn sie selbst schon Kinder haben – wer also will, dass die CDU nicht länger auf der Bremse der gesellschaftlichen Entwicklung in Sachsen steht, der muss DIE LINKE auf Landes- und Kommunalebene so stark wie möglich machen. Aber bitte auch bei den Bundestags- und Europawahlen, denn Sachsen braucht bessere politische Rahmenbedingungen.

Dann werden junge sächsische Frauen und Männer auch sinnvollere berufliche Perspektiven im eigenen Land haben, statt ihr Brot im Krieg am Hindukusch zu verdienen und dort Leib und Leben für eine irrsinnige Politik aufs Spiel zu setzen!

Liebe Genossinnen und Genossen,

in einem Superwahljahr braucht am vor allem zwei Dinge: Teamgeist und Kondition. Wir haben beides. Deshalb werden wir die Wahlen gewinnen!

Herzlichen Dank!

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