Rede zur Veranstaltung „100 Jahre Internationaler Frauentag“

Rede zur Veranstaltung „100 Jahre Internationaler Frauentag“

Sehr geehrte Frauen,
werte Gäste,

ich begrüße Sie alle sehr herzlich zu dieser Veranstaltung der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag hier im Chemnitzer Kulturkaufhaus „DAS TIETZ“.
Der Anlass der Veranstaltung ist außergewöhnlich und – im wahrsten Sinne des Wortes – einmalig, denn wir begehen in diesem Jahr am 8. März den 100. Internationalen Frauentag. Ich habe es deshalb sehr gern übernommen, hier heute die Eröffnung zu übernehmen.

Und der Titel der Veranstaltung ist ziemlich anspruchsvoll: „100 Jahre Internationaler Frauentag – Kämpfe, Erfolge und unerfüllte Träume. Gleichstellungspolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit“. Ganz besonders freue ich mich, dass wir heute tatsächlich auch ein wenig international sind. Ich denke, das ist ganz im Sinne des Tages.

Wir sind es zunächst durch die Referentinnen. Ich begrüße sehr herzlich Frau Marianne Eriksson aus Schweden, die den weiten Weg nach Sachsen nicht gescheut hat, um uns an ihrem großen Schatz an Wissen und Erfahrungen teilhaben zu lassen. Frau Eriksson war viele Jahre Mitglied des Europäischen Parlamentes und ist heute eine der Verantwortlichen von UN WOMEN in ihrem Heimatland. UN WOMEN ist ein noch sehr junges Organ der Vereinten Nationen und ging aus vier Vorläuferorganisationen der UN-Gleichstellungsarbeit hervor.
Frau Eriksson war vorher bei einer dieser Organisationen aktiv.
Es handelte sich dabei um UNIFEM, den Entwicklungsfond der Vereinten Nationen für Frauen.
Varmt välkommen! Warm welcome! Herzliche willkommen, Ms. Eriksson!

Gestatten Sie an dieser Stelle eine kurze technische Anmerkung. Die Verständigung mit Frau Eriksson erfolgt in englischer Sprache. Frau Ariane Stark aus Leipzig unterstützt uns als Dolmetscherin. Vielen Dank dafür.
Alles, was in deutsch gesprochen wird, wird Frau Eriksson ins Ohr geflüstert. Die Übersetzung für Sie hier im Saal, d. h. vom Englischen ins Deutsche, erfolgt später dann über ein Mikrofon.

Die zweite Referentin, Dr. Cornelia Ernst, ist vielen im Raum noch als sächsische Landtagsabgeordnete und langjährige Landesvorsitzende der Partei DIE LINKE bekannt. Seit 2009 ist sie als Abgeordnete des Europäischen Parlamentes sehr viel internationaler geworden. Liebe Conny, ich begrüße Dich sehr herzlich hier und ich freue mich, dass wir von Dir einiges zur Geschichte der Frauenbewegung hören werden. Ich glaube, es ist auch für die Mehrheit im Saal eine Neuigkeit, dass Du Deinen Doktortitel mit genau diesem Thema erworben hast. Und ich bin sicher: Du hast es ganz ohne Plagiate hinbekommen.

Ein weiterer internationaler Akzent des heutigen Nachmittags ist auf der Einladung noch nicht vermerkt. Wir werden versuchen, eine Telefonverbindung nach Caracas, der Hauptstadt Venezuelas herstellen. Dort findet derzeit die Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen statt. Zwei Chemnitzerinnen, Frau Dagmar Weidauer und Frau Dagmar Kolkmann-Lutz, nehmen daran teil. Sie werden uns hoffentlich ihre ersten Eindrücke aus dem mehr als 8000 Kilometer entfernten Norden Südamerikas übermitteln können.

Schließlich begrüße ich genau so herzlich alle weiteren Gäste, aber besonders die Frauen unter Ihnen. Einige möchte ich stellvertretend nennen. Es sind Frau Iris Tätzel-Machute, Leiterin des Chemnitzer Frauenzentrums „Lila Villa“ sowie meine Landtags-Kolleginnen Heike Werner, Heiderose Gläß und Julia Bonk. Sie alle werden später im Podium Platz nehmen. (Falls anwesend: Ich begrüße außerdem Frau Bettina Bezold, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Chemnitz.)

Ich freue mich sehr, dass Sie alle gekommen sind. Es ist bestimmt nicht falsch zu sagen, dass sich hier besonders frauenbewegte und gleichstellungsorientierte Frauen und Männer aus ganz Sachsen versammelt haben.
Auch bei den Männer ist unsere Landtagsfraktion mit vertreten, wenn ich zum Beispiel an Dietmar Pellmann denke.

Für mich ist es heute eine durchaus seltene Situation. Es ist eine der wenigen Veranstaltungen, in der die Zahl der weiblichen Gäste die der männlichen weit übersteigt. Nun will ich nicht sagen, dass ich mir das als Mann zwingend immer so wünsche, aber ich meine, fifty-fifty bei allen Themen, den meisten Anlässen und in allen Gremien als normale Situation wären durchaus gut, nicht nur für Frauen, auch für die Männer.

Sehr geehrte Frauen, werte Gäste,
Das Jubiläum 100 Jahre Internationaler Frauentag wird vermutlich in diesen Tagen an vielen Orten weltweit zum Anlass genommen, resümierend auf die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse auf der Erde, in Europa, im Land und im unmittelbaren Umfeld zu sehen. Es ist ein Anlass, um Erfolge in das Bewusstsein zu rücken und neue Ziele abzustecken. Ich denke, es ist wichtig, solche Gelegenheiten auch zum Innehalten zu nutzen, denn im Alltag und im Tagesgeschäft geht der Blick für das Erreichte oft verloren.
Einstige Ziele sind zu unbeachteten Selbstverständlichkeiten geworden. Die aktuellen Vorhaben werden dennoch nicht weniger. Zu tun gibt es wahrlich noch genug.
Bestimmt gibt es Zeiten der gefühlten bzw. der tatsächlichen Stagnation oder sogar des Rückschrittes, aber der Blick auf die vergangenen 100 Jahre zeigt meines Erachtens, dass die Frauenbewegung eine der erfolgreichsten, ja wahrscheinlich sogar die erfolgreichste soziale Bewegung überhaupt ist.

Als ich mir historische Forderungen der frühen Frauentage ansah, war ich bei einigen bestürzt, denn sie sind leider noch genauso aktuell wie damals. Bei anderen Forderungen aber wurde mir bewusst, dass im Laufe der Zeit doch viel passiert ist. Zumindest hierzulande.
Zwei der historischen Forderungen waren z. B. die nach Arbeitsschutzgesetzen und nach ausreichendem Mutter- und Kinderschutz. Ich denke, rein rechtlich gesehen, können sie heute in Deutschland als weitgehend erfüllt gesehen werden. Das sind zweifellos Erfolge. Dennoch beschäftigen sie uns in abgewandelter Form weiter, denn wir sind immer noch weit entfernt von einer familienfreundlichen Arbeitswelt oder von einer umfassend kinderfreundlichen Gesellschaft oder von gleichen Chancen und Möglichkeiten für alle Kinder. Immer noch ist die Zukunft der Einzelnen zu stark abhängig vom sozialen Status, vom kulturellen oder ethnischen Hintergrund oder davon, ob eine Behinderung vorhanden ist oder nicht. Und wir haben nach wie vor Benachteiligungen, wenn Erwerbsbiografien durch Familienarbeit unterbrochen werden.
Mit einer anderen historischen Forderung ist es ähnlich. Es ist die nach dem Wahl- und Stimmrecht der Frauen. Formal rechtlich gibt es keine Frage. Frauen können wählen und abstimmen. Sie können auch gewählt werden. Das aktive und das passive Recht ist gesichert, aber es erzeugt bei Wahlen und Besetzungen ist in einer männlich geprägten Gesellschaft eben keine Geschlechterparität.
Dies zeigt nicht zuletzt auch die Zusammensetzung des Sächsischen Landtages
ganz deutlich. Die aktuell abzuleitende Forderung kann deshalb nur eine sein: Wir brauchen rechtlich verankerte Quoten, ansonsten herrscht auch in Zukunft Frauenmangel in Gremien und bei Mandaten, bis hinein in die Vorstände der großen Dax-Unternehmen.
Zusammengefasst bedeutet das Gesagte: Gleichberechtigung, d. h. gleiches Recht, zu haben, bedeutet noch lange nicht, tatsächlich Gleichstand, d. h. den gleichen Stand, zu haben. Die Erreichung des Gleichstandes oder, besser gesagt, die Erreichung tatsächlicher Gleichstellung ist also die abgewandelte politische Herausforderung der Frauentage in der Gegenwart.

Bei zwei anderen historischen Forderungen war ich – wie schon erwähnt –
bestürzt, weil sie heute noch genauso aktuell sind wie vor 100 Jahren.
Ich meine die nach gleichem Lohn bei gleicher Arbeitsleistung und nach Festsetzung von Mindestlöhnen. Es sind zwei Themen, die in Deutschland zurzeit wieder einmal öffentlich diskutiert werden. Sie kennen die Debatten vermutlich besser als ich, deshalb möchte ich mich hierbei auf einen Aspekt zum Thema Entgeltgleichheit beschränken.

Bekanntlich sind die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern in den östlichen Bundesländern weit geringer als in den westlichen. An dieser Stelle beweist die nicht mehr bestehende DDR nämlich auch nach 20 Jahren noch klar, dass mit staatlich verordneter Gleichstellungspolitik und mit Frauenförderung durchaus eine Menge erreicht werden kann. Und ich denke, es ist wichtig, auch dies heute zu würdigen.
Ich weiß, dass es auch viele berechtigte Kritiken an dieser Politik gab und gibt, aber dennoch ist meines Erachtens festzustellen: Der durch die Frauenpolitik der DDR erreichte Gleichstellungsvorsprung ist heute im Prinzip zum Vorbild für die gesamte Bundesrepublik geworden.
Es ist ein großer Schatz, dass wir mit vielen lebendigen Beispielen, wie auch Sie es sind, nachweisen können, dass Berufstätigkeit und Elternschaft vereinbar sind und dass Kinder keineswegs schlechter gedeihen, wenn Mütter arbeiten gehen. Hinzu kommt, dass kluge und selbstbewusste Frauen in jeder Hinsicht ein Gewinn für die Gesellschaft sind. Mir ist klar, dass es uns Männern manchmal schwer fällt, dies so zu sehen, aber ich denke, es führt kein Weg daran vorbei.

Deshalb gestatten Sie mir, dass ich an dieser Stelle und aufgrund des Anlasses ganz einfach einmal „danke“ sage: für die Ihre Arbeit, für Ihre Mühen, für Ihre Ausdauer und auch für Ihre weibliche Geduld mit dem männlichen Teil der Gesellschaft.

In diesem Sinne wünsche ich uns einen anregenden Nachmittag und anschließend ebenso gute wie angenehme Gespräche bei einem kleinen Imbiss.
Ich übergebe damit das Wort an Cornelia Ernst und bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.