Rede zur Ausstellungseröffnung: „Im Sande verlaufen: Der vergessene Konflikt in der West-Sahara“

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Buniya,
verehrte Gäste,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Titel unserer heutigen Ausstellung „Im Sande verlaufen…“ ist auf den ersten Blick vieldeutig, beschreibt aber die Situation der Sahrauis – der Bewohner der Westsahara – sehr präzise: Denn über ihre Flüchtlingslager in der algerischen Sahara, über den letzten Kolonialkonflikt im nördlichen Westafrika und über die davon betroffenen Menschen, die Sahrauis, erfahren die Zeitungsleser in Deutschland herzlich wenig.
Gab es da in den 70er, 80er Jahren nicht mal eine bewaffnete Auseinander-setzungen zwischen der POLISARIO und Marokko?
Und einen Waffenstillstand, eine UN-Friedensmission, und den Plan, ein Referendum durchzuführen?
Die Westsahara ist eine vergessene Region, mit einem vergessenen Konflikt, der an den Rand „zeitgeschichtlicher Aktualität“ verwiesen wurde.

Das Territorium der Sahrauis ist seit 1974 von Marokko besetzt, das die ehemalige Kolonialmacht Spanien als Besatzerin des Gebietes beinahe übergangslos ablöste und bis heute die West-Sahara widerrechtlich okkupiert. Die Republik „Westsahara“ existiert deshalb als Diaspora im unfreiwilligen Exil.
Die Sahrauis sind unfreiwillig in verschiedene Gruppen aufgespalten: Etwa die Hälfte der insgesamt 400.000 Menschen lebt in dem von Marokko besetzten Küstenstreifen zwischen der marokkanischen Südgrenze und Mauretanien in Armut rechtlos und ohne Zukunftsperspektiven. Die Menschen werden von Geheimdiensten schikaniert, inhaftiert und gefoltert. Nach Osten trennt sie eine 2.700 Kilometer lange Sperrmauer von jenen rund 20.000 Sahrauis , die in dem befreiten, von der POLISARIO verwalteten Gebiet zuhause sind. Eine weitere knappe Hälfte, 165.000 Menschen, wartet in den vor 35 Jahren errichteten Flüchtlingslagern auf algerischem Territorium auf bessere Zeiten.
Die Flüchtlinge leben hier in einer kargen Geröllwüste in völliger Abhängigkeit von europäischer Hilfe. Sie kamen aus jenen Küstenstädten der Westsahara, die bis heute unter der Kontrolle und Vorherrschaft des marokkanischen Militärs stehen. Und eine nur schwer schätzbare Zahl von Sahrauis lebt über die Welt verstreut im Exil.

Bis 1991 kämpfte die 1973 gegründete sahrauische Befreiungsbewegung POLISARIO mit militärischen Mitteln gegen Marokko. Die Mehrzahl der Sahrauis befürwortet einen eigenständigen Staat ‚Westsahara’, den allerdings die Besatzungsmacht Marokko mit allen Mitteln verhindert.
Nach einem von der UNO ausgehandelten Waffenstillstand zwischen beiden Seiten sollten die Menschen per Referendum über ihre Zukunft entscheiden. Marokko blockierte jedoch die bereits vorbereitete Abstimmung und verhindert bis heute jede Lösung nach den Regeln des Völkerrechts. Das Königreich hat dabei starke Verbündete wie etwa Frankreich, das im UN-Sicherheitsrat grundsätzlich ein Veto einlegt, wenn Schritte gegen Marokkos Menschenrechtsverletzungen beschlossen werden sollen.

Der Grund dafür ist schnell ermittelt: Die Westsahara ist reich an Bodenschätzen. Das Land verfügt aber nicht nur über eines der größten Phosphatvorkommen der Welt, sondern auch über einen der größten Fischbestände Afrikas in seinen Küstengewässern. Zudem werden erhebliche Erdöl- und Gasreserven entlang des über 1.000 Kilometer langen Küstenstreifens vermutet. Marokko beutet diese Rohstoffe völkerrechtswidrig aus – zu Gunsten der EU-Staaten, ohne die Sahrauis von den Erlösen profitieren zu lassen.

Die Bundesregierung fährt leider einen Schlingerkurs gegenüber der Westsahara. Als Ende Juni 2011 die Verlängerung des umstrittenen Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko anstand, stimmte Deutschland zusammen mit 20 von den insgesamt 27 EU-Mitgliedsstaaten für eine Verlängerung des Abkommens. Kurz vorher hatte sich die Regierung noch kritisch zu dem Vertragswerk geäußert, das die Fischgründe der von Marokko besetzten Westsahara einbezieht und die Sahrauis nicht an den Einkünften aus dem Verkauf der Fischfangrechte an die Europäer beteiligt.

Das Leben in den Flüchtlingslagern hat sich in den letzten 30 Jahren sehr verändert, auch wenn der Alltag in den Zeltlagern – den Willayas, die nach Städten in der Westsahara genannt sind – immer noch schwierig ist. Die Abhängigkeit vom ausländischen Wohlwollen und von internationaler Nahrungsmittelhilfe besteht unverändert. So auch in Willaya Laiun, dem 12 km östlich von der algerischen Stadt Tindouf entfernten Flüchtlingslager, dessen Bürgermeister, Herrn Hamma Buniya, wir hier als Ehrengast begrüßen dürfen.
Trotz der schwierigen Bedingungen haben die Sahrauis im Exil eine staatliche Infrastruktur mit eigenem Verwaltungssystem aufgebaut, das vor allem die Versorgung der Flüchtlinge gewährleistet. Außerdem ist es den Sahrauis gelungen, ein funktionierendes Schulsystem sowie die notwendigste Gesundheitsversorgung sicherzustellen und in den Lagern demokratische Regeln des Zusammenlebens durchzusetzen.
Ein Großteil der Menschen ist inzwischen hier geboren und aufgewachsen. Die alte Heimat, Vertreibung, Flucht und Befreiungskampf kennen sie nicht aus eigener Erfahrung. Für die Jugendlichen ist das Leben in den Wüstenlagern trist und ohne Perspektive. Aber genau die braucht diese neue Generation, die bereit ist, erneut mit dem Gewehr in der Hand für die ihr verweigerten Rechte zu kämpfe.
Daher wurde mit Unterstützung ausländischer Organisationen wie z. B. dem ZEOK e.V. – dem Zentrum für europäische und orientalische Kultur in Leipzig – mit einer eigenständigen Jugendarbeit begonnen. Dabei geht es um freie, möglichst selbstbestimmte Jugendzentren in den Flüchtlingslagern. Jugendliche erhalten so den notwendigen Raum, wo sie sich außerhalb der Familien mit ihren Freunden treffen können. Kurse für sinnvolle Freizeitgestaltung ergänzen die Schulbildung. Dazu gehören u.a. Fremdsprachenkurse, Nähen, Kochen, Informatik, Zeichnen, Sportgruppen oder Unterricht in Gartenbau zur Anlage kleiner Familiengärten. In Diskussionsrunden werden Partizipation und Teilhabe am politischen Gestaltungsprozessgelernt.
Zum Glück gibt es auch bei uns in Sachsen Menschen, die die Öffentlichkeit für die Belange der Sahrauis mit Veranstaltungen und Hilfsprogrammen mobilisieren und den Flüchtlingen auch zukünftig zur Seite stehen.
Ja, die Sahrauis sind die „vergessene Nation“ inmitten der nordafrikanischen Länder, die in jüngster Zeit Revolutionen, Aufstände und Krieg erleben. Sie sind diejenigen, die auf jede Solidarität, besonders aus Europa, angewiesen sind, um auch für sich ihre legitimen Bürger und Freiheitsrechte durchsetzen zu können.
Mit der hier gezeigten Ausstellung wollen wir dieses Anliegen unterstützen.

Aussprachebesonderheiten:
Hamma Buniya /hamma bunija/
Saharauis /sachrauwis/
Tindouf /tinduuf/
Willayas /wilaajas/
Willaya Laiun /wilaaja laajun/
sahrauische /sachrauwische/

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