»Es muss auch personelle Konsequenzen geben«

André Hahn, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums und für DIE LINKE stellvertretendes Mitglied im NSA-Untersuchungsausschussüber die jüngsten Entwicklungen der BND-NSA-Affäre, Spionage gegen deutsche und europäische Interessen,Vertuschungsversuche und personelle Konsequenzen

Wieder eine Spähaffäre: Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll dem US-Geheimdienst beim Ausforschen und Aushorchen von europäischen Unternehmen und auch Politikern geholfen haben. Das Kanzleramt soll ab 2008 darüber informiert gewesen sein. Worin besteht die neue Qualität dieser Enthüllungen?

André Hahn: Im Kern geht es darum, dass die Amerikaner bestehende Kooperationsprojekte mit dem BND dazu missbraucht haben sollen, über viele Jahre hinweg auch Wirtschaftsspionage betrieben und europäische Firmen und Institutionen überwacht zu haben. Im BND ist das durchaus aufgefallen, schließlich hat man über 40.000 illegale Suchbegriffe festgestellt, die seitens der NSA in die Überwachungsmaschinerie eingespeist werden sollten. Dabei sind noch nicht einmal alle heiklen Begriffe erfasst worden, wie sich nach den Snowden-Enthüllungen herausstellte. Es wäre die Verantwortung des BND und vor allem des Kanzleramtes gewesen, sofort zu intervenieren und gegebenenfalls die Zusammenarbeit zu beenden. Das ist offenbar nicht geschehen.

Was muss dringend aufgeklärt werden?

Es muss geklärt werden, wer wann durch wenn über die Versuche der Spionage gegen deutsche und europäische Interessen unterrichtet und was daraufhin dagegen unternommen wurde oder eben auch nicht. Der NSA-Untersuchungsausschuss muss alle angeforderten Unterlagen vollständig erhalten, also insbesondere auch die kompletten Listen mit den so genannten Selektoren, also jenen Suchbegriffen wie Namen, Firmen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern usw., die die NSA interessierten und die zum Teil womöglich über Jahre hinweg mit Unterstützung des BND im Einsatz waren. Erst dann kann man den tatsächlich entstandenen Schaden wirklich erkennen.

Welche Motive kann es seitens des BND gegeben haben, an Tätigkeiten mitzuwirken, die gegen das Grundgesetz verstoßen, also einem fremden Geheimdienst bei der Spionage im eigenen Land zur Hand zu gehen, mithin sogar Auftragsempfänger gewesen zu sein?

Offiziell sollte es bei der Kooperation von BND und NSA ja um Themen wie Terrorabwehr, Organisierte Kriminalität oder Drogenhandel gehen. Das Ganze ist aber offenkundig aus dem Ruder gelaufen. Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, warum der BND Spionage gegen deutsche und europäische Interessen direkt oder indirekt unterstützt, zumindest aber geduldet hat. Insofern habe ich dafür keine rationale Erklärung. Allerdings wurden von BND-Leuten im NSA-Untersuchungsausschuss immer wieder betont, dass die Geheimdienst-Kooperation mit den USA angeblich unverzichtbar sei. Möglicherweise hat man deshalb weggeschaut und der Bundesregierung fehlt offenbar der Mut, den US-Bestrebungen entschieden entgegen zu treten. Diese Unterwürfigkeit muss endlich ein Ende haben!

Sie sind Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) des Bundestags. Was ist die Aufgabe des Gremiums? Und welche Unterschiede bestehen im Vergleich mit der G-10-Kommission?

Das Parlamentarische Kontrollgremium ist zuständig für die Kontrolle der Tätigkeit der deutschen Geheimdienste, also des Bundesnachrichtendienstes, des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Militärischen Abschirmdienstes. Es muss laut Gesetz regelmäßig über die allgemeine Lageentwicklung und über Vorgänge von besonderer Bedeutung unterrichtet werden. Gerade letzteres ist immer wieder ein Streitpunkt, denn am Ende entscheidet immer die Bundesregierung darüber, was uns mitgeteilt wird, und nur das können wir auch bewerten. Über viele Skandale haben wir leider zuerst aus den Medien und nicht im zuständigen Kontrollgremium erfahren. Das führt immer wieder zu der grundsätzlich Frage, ob sich Geheimdienste wirklich parlamentarisch kontrollieren lassen. Ich habe da ganz erhebliche Zweifel.

Die G 10-Kommission entscheidet über die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch die Nachrichtendienste des Bundes durchgeführten Beschränkungsmaßnahmen im Bereich des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Artikel 10 des Grundgesetzes, muss also im Einzelfall einer Überwachung des Telefon-, SMS- und Mailverkehrs zustimmen.

Wann wurde das PKGr über die neuen Entwicklungen in Kenntnis gesetzt und von welcher Seite kamen die Informationen?

Das Kontrollgremium und auch die Obleute des NSA-Untersuchungsausschusses wurden am 22. April im Groben über die Vorgänge informiert, und zwar durch Kanzleramtsminister Altmaier und Staatssekretär Fritsche. Allerdings wurde zu diesem Zeitpunkt noch behauptet, dass die Spionageaktivitäten der NSA zwar im BND aufgefallen seien, aber weder dem Präsidenten noch dem für die Rechts- und Dienstaufsicht zuständigen Bundeskanzleramt mitgeteilt wurden. Diese Version ist nach den neuesten Erkenntnissen nun nicht mehr haltbar. Insofern steht der Vorwurf im Raum, dass die Abgeordneten belogen wurden.

Was kann und muss eigentlich aus dem Parlament heraus geschehen, wenn, wie jetzt deutlich wird, dass die Kontrolle des BND nicht oder nur eingeschränkt funktioniert?

Wenn es schon keine Mehrheit für die Abschaffung von Geheimdiensten gibt, dann müssen zumindest die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten deutlich gestärkt und das entsprechende Gesetz grundlegend geändert werden. Die Rechte der einzelnen Mitglieder des Gremiums müssen deutlich gestärkt werden, die Akteneinsicht auch für Unterlagen des Kanzleramtes möglich sein, das ja die Aufsicht über die Dienste hat. Die Sitzungen des PKGr sollten komplett aufgezeichnet werden, um später feststellen zu können, ob die Regierungsvertreter oder die Vertreter der Nachrichtendienste wirklich korrekt informiert haben. Ein- oder zweimal im Jahr sollten zudem alle Abgeordneten die Möglichkeit erhalten, die Chefs der Geheimdienste im Plenum des Bundestages öffentlich zu befragen.

Ist Kontrolle nur die Aufgabe der Opposition oder sind da auch die Abgeordneten der Regierungsparteien gefordert?

Die Kontrolle des Regierungshandelns und auch der nachgeordneten Behörden, zu denen auch die Geheimdienste gehören, ist laut Grundgesetz Aufgabe des gesamten Parlaments, also auch der Mitglieder der Koalitionsfraktionen. Die Praxis sieht leider häufig anders aus. Die Abgeordneten der regierungstragenden Fraktionen versuchen oft fast alles, um die Regierung und die von ihnen gestellten Minister vor Ungemach zu schützen und behindern dadurch eher die Aufklärung anstatt sie voranzutreiben. Auch deshalb braucht es eine starke Opposition, damit Vertuschungsversuchen entgegengewirkt werden kann.

Was müsste die Konsequenz sein, wenn sich gesichert herausstellen sollte, dass die Kanzlerin und die Reihe ihrer Kanzleramtminister von der Zusammenarbeit von BND und NSA gewusst und diese stillschweigend hingenommen haben?

Ob die Bundeskanzlerin selbst von den Vorgängen in Kenntnis gesetzt wurde, wissen wir momentan noch nicht. Es ist aber kaum vorstellbar, dass ihr Kanzleramtschef von solchen Vorgängen weiß und seine Chefin nicht unterrichtet. Eines ist aber klar: Angesichts der Dimension der Vorwürfe, dass also die NSA mit Hilfe des BND über ein Jahrzehnt hinweg (Wirtschafts-)Spionage gegen deutsche und europäische Interessen betreiben konnte, muss es auch personelle Konsequenzen geben, an der Spitze des BND ebenso wie im Kanzleramt. Momentan ist vor allem der frühere Kanzleramtschef de Maizière in der Kritik, aber auch sein Vorgänger Steinmeier und sein Nachfolger Pofalla sind längst nicht aus dem Schneider und werden im Untersuchungsausschuss vielleicht sogar unter Eid aussagen müssen. Der jetzige Bundesinnenminister de Maizière wird schon am nächsten Mittwoch dem Parlamentarischen Kontrollgremium Rede und Antwort stehen. Danach wissen wir vielleicht schon mehr.

linksfraktion.de, 30. April 2015

Quelle: www.linksfraktion.de