Erwiderung auf die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zur Bilanz der Legislaturperiode

Es gilt das gesprochene Wort!

Herr Ministerpräsident, ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie Ihre letzte Rede im Amt dazu nutzen, Rechenschaft abzulegen über Soll und Haben, über versprochen und gehalten.

Stattdessen haben Sie eine mehr oder weniger nette Wohlfühlrede gehalten, in denen Sie fast sämtliche Probleme unseres Landes ausgeblendet haben.

Kaum etwas zum Thema Arbeitslosigkeit, nichts zur zunehmenden Armut unter Kindern oder älteren Bürgerinnen und Bürgern und nichts zu den absehbaren Folgen des Zusammenbruchs der Sachsen LB. Ich nenne so etwas selektive Wahrnehmung der Wirklichkeit!

Bezeichnend für den Zustand der Koalition ist auch der Umstand, dass sich die Staatsregierung offenkundig nicht einmal auf eine gemeinsame Bilanz der nun zu Ende gehenden Wahlperiode einigen konnte. Deshalb sprachen sowohl Herr Tillich als auch Herr Jurk. Ich weiß nicht, ob es so etwas in Deutschland schon einmal gegeben hat.

Im Landtagspräsidium angekündigt war eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten. Davon gibt es bekanntlich nur einen in diesem Land. Wenn er verhindert ist, kann und soll natürlich sein Stellvertreter agieren.

Stanislaw Tillich war aber offenkundig nicht verhindert, weshalb es absolut nicht nachvollziehbar und allen parlamentarischen Regeln zuwider laufend ist, dass auch Herr Jurk noch das Wort ergreift, bevor die Opposition auf den Regierungschef erwidern kann. Das ist grottenschlechter Stil, aber zugleich nicht völlig unverständlich, weil die Sozialdemokraten nach dem jüngsten Abschneiden bei der Europawahl ganz offenkundig ihre Felle davonschwimmen sehen.

Eine Anbiederungsrede bei der CDU, wie sie der Wirtschaftsminister eben gehalten hat, ist jedoch mit Sicherheit der falsche Weg, um eigenständiges Profil zu zeigen. Deshalb verzichte ich auch darauf, näher auf die Aussagen von Thomas Jurk einzugehen. Er hatte in der letzten Plenarwoche Gelegenheit zu einer Fachregierungserklärung, und es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, weshalb er sich heute erneut hier präsentieren musste. Mehr aber will ich zu diesem Thema nun wirklich nicht sagen.

CDU und SPD haben im November 2004 einen Koalitionsvertrag unterzeichnet, der zwar gut 85 großzügig beschriebene Seiten mit überwiegend vagen Formulierungen umfasst, aber nur vergleichsweise wenige konkrete und abrechenbare Aussagen enthält.

Ich habe mit viel gutem Willen dann doch 98 Punkte gefunden, in denen die Koalition Veränderungen in Sachsen erreichen wollte. Umgesetzt wurden davon lediglich 26. Fast drei Viertel der zwischen CDU und SPD verabredeten Vorhaben wurden also nicht oder zumindest nicht vollständig realisiert.

Nach fünf Jahren an der Regierung ist das – wie ich finde – eine ziemlich erbärmliche Bilanz!

Ich habe weder Zeit noch Lust die ganze Liste der gebrochenen Versprechen hier im Detail durchzugehen. Erinnert sei nur an die einzige konkrete Aussage von Stanislaw Tillich nach seiner Wahl zu Ministerpräsidenten. Herr Tillich versprach den Betreuungsschlüssel an Kitas von 1:13 auf 1:12 zu senken. Als wenige Monate später der Landeshaushalt beschlossen wurde, war davon dann keine Rede mehr, obwohl ein solcher Schritt überfällig wäre.

Eines aber dürfte schon durch diese ersten Fakten deutlich geworden sein: Eine Fortsetzung der derzeitigen Koalition von CDU und SPD ist aus vielerlei Gründen nicht wünschenswert. Sachsen braucht eine andere, eine bessere Regierung.

Und bevor jetzt womöglich auch noch die FDP mitklatscht, füge ich hinzu: Schwarz-gelb wäre mit Sicherheit die schlechteste aller möglichen Alternativen. Wir als LINKE werden jedenfalls alles tun, um ein solches Sozialabbau-Bündnis zu verhindern.

Sachsen ist ein stolzes Land. Vor fünfzehn Jahren stand der Freistaat mit einem Wirtschaftswachstum von 13 Prozent in Ost und West an der Spitze. Natürlich konnte es auf diesem Niveau nicht ewig weitergehen, aber der wirtschaftliche Aufholprozess kam zu früh zum Erliegen: Seit 1997 hat sich der ökonomische Rückstand zu den alten Bundesländern kaum verändert. Auch und gerade deshalb haben seit der Wiederbegründung des Freistaats rund eine dreiviertel Million überwiegend junge Menschen Sachsen in Richtung Westen verlassen.

Wir sind heute deutschlandweit das Bundesland mit dem höchsten Altersdurchschnitt, den niedrigsten Tariflöhnen und den Regionen mit den meisten armen Kindern. Im vergangenen Jahr war Sachsen auf dem vorletzten Platz der Wirtschaftsentwicklung in ganz Deutschland, im Osten trug der Freistaat sogar die rote Laterne.

Die Pleite des größten Arbeitgebers der Landeshauptstadt, Qimonda, ist da ein Menetekel für das ganze Land. Ihre Politik, Herr Tillich, ist auf ganzer Linie gescheitert!

Ich sage das bewusst an Sie gerichtet, weil Sie ja immer so tun, als hätten Sie mit all dem nichts zu tun und seien eher mit so zukunftsträchtigen Projekten wie der Patenschaft für eine Giraffe im Leipziger Zoo befasst. Sie, Herr Tillich, gehören dieser Staatsregierung seit einem Jahrzehnt an, seit dem Jahr 1999, als Sie jenen Fragebogen ausfüllten, dessen Antworten Sie heute auf Biegen und Brechen geheim halten wollen.

In dieser langen Zeit sind Sie mit nichts weder angenehm noch unangenehm aufgefallen. Ihre Politik in der Bundesrepublik gibt es ebenso wenig wie Ihre politische Biografie in der DDR – beides ist ein Phantom, dessen kritische Berührung bei Ihnen nichts als Unverständnis auslöst.

Das Statistische Landamt hat vor wenigen Tagen bekannt gegeben, dass im ersten Quartal dieses Jahres 17.400 Menschen weniger einen Arbeitsplatz hatten als ein Jahr zuvor.

Die Statistiker stellen fest: „Der Rückgang der Erwerbstätigenzahlen gegenüber dem Vorjahr war in allen Wirtschaftsbereichen zu beobachten.“

Ich zitiere das, weil diese in Ihrer Heimat ansässige Behörde nun wirklich nicht im Verdacht steht, der Regierung am Zeug flicken zu wollen. Schließlich gedenken wir noch voller Freude jener Mitteilung dieses Amtes, dass auch das Wetter in Sachsen seit der friedlichen Revolution besser geworden sei.

Trotzdem wird gerade in Zeiten wie diesen ein Schönwetter-Ministerpräsident nicht gebraucht, der sich lieber beim Semperopernball vergnügt als dort an den Werkstoren vor Ort zu sein, wo in Sachsen Arbeitsplätze bedroht sind. Eigentlich, Herr Tillich, wissen Sie doch aus eigener Lebenserfahrung, wie es nicht funktioniert.

Kurz bevor die DDR in sich zusammenfiel, teilten Sie anlässlich eines Gaststättenwettbewerbs mit, es gehe darum, „unmittelbar nach den Kommunalwahlen und in Vorbereitung des 40. Jahrestages der DDR vor allem jene Initiativen zu würdigen und über Veränderungen zu berichten, die sich bei der weiteren Vervollkommnung der sozialistischen Demokratie im Bürgerinteresse vollzogen haben.“

Das Problem, Herr Tillich, ist nicht Ihre Vergangenheit, die Ihnen niemand vorgeworfen hat, auch wenn Sie das wider besseres Wissen gebetsmühlenhaft behaupten.

Nein, das Problem ist, dass Sie immer noch so reden und denken wie damals, nur dass Sie Ihre Schönfärber-Masche jetzt eins zu eins auf eine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung anwenden. Mit so viel Anpassung kann man zwar immer irgendwie Karriere machen, aber mit Sicherheit kein Land der Welt voranbringen. Denn besonders in Krisenzeiten, in denen über den Weg in die Zukunft entschieden wird, wollen die Menschen in verantwortlichen Positionen echte Macher und nicht Mitläufer haben!

Als hätte es noch eines letzten Beweises bedurft, dass der noch amtierende Ministerpräsident nicht ganz von dieser Welt ist, haben Sie, Herr Tillich, ihn neulich geliefert und einen so genannten Gesellschaftsvertrag mit sich selbst abgeschlossen.

In der DDR hätte man ja wenigstens noch ein paar Vorzeige-Werktätige herbeigerufen.

Sie aber brauchen für Ihre Inszenierungen nur Ihren Partei-Generalsekretär und den Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion – falls letzterer nicht gerade damit beschäftigt ist, Ihnen in den Rücken zu fallen. Beim erbärmlichen Tauziehen um die missglückte Rettung von Qimonda – ich sage nur als ein Stichwort Nachtragshaushalt – haben wir ja vorgeführt bekommen, wie es aussieht, wenn eine regierungstragende Fraktion aufhört, die Regierung zu tragen.

Wissen Sie, wir haben seinerzeit Kurt Biedenkopf durchaus kritisch begleitet, wie es sich für eine ordentliche Opposition gehört. Aber wir haben immer seine Handlungskraft respektiert – auch und gerade über die Grenzen Sachsens hinaus. Als die Weiterentwicklung der traditionsreichen sächsischen Autoindustrie auf dem Spiel stand, legte sich Biedenkopf zum Wohle Sachsens frontal mit der EU-Kommission an.

Nun, da der Hightech-Standort der sächsischen Chipindustrie ins Wanken geriet, beschwerte sich ein Vertreter der EU-Kommission via sächsische Presse, dass er bisher von der hiesigen Staatsregierung gar nichts gehört hatte. Mit solcher Leisetreterei läßt sich in der globalisierten Welt keinen Blumentopf mehr gewinnen, Herr Ministerpräsident.

Und wenn Sie in Ihrer Rede davon gesprochen haben, dass auch der Datenverkehr in Sachsen schneller vorangehen soll als anderwo, dann blenden Sie auch hier ganz offenbar die Realiät aus. Sachsen steht bei der Versorgung mit schnellem Internet noch immer auf dem drittletzten Platz unter den deutschen Ländern. Das bedeutet praktisch, dass 56 Prozent der Sachsen keine Zugang zu schnellem Internet haben.

Der Schwäche der Regierung Tillich lässt sich auch nicht dadurch abhelfen, dass Herr Zastrow Minister spielt, was für die meisten von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, sowieso eine Schreckensvorstellung ist. Zumindest darin sind wir uns ausnahmsweise einmal mit Ihnen einig!

Das Grundübel der Gegenwart sind die verheerenden Auswirkungen der von neoliberaler Politik entfesselten Kräfte der Finanzmärkte – da wäre eine Partei, die am fanatischsten für die totale Freiheit des Marktes gekämpft hat und kämpft, in jeder Regierung, egal auf welcher Ebene, völlig deplatziert!

Regierungen müssen jetzt im Sinne einer Wiederherstellung von sozialer Sicherheit regulieren, das macht US-Präsident Obama gerade vor. Die Zeit der neoliberalen Deregulierer ist endgültig vorbei!

Ja, es gibt Bereiche des öffentlichen Lebens, die überreguliert sind: Stichwort ausufernde Bürokratie. Doch Ihr „Paragrafen-Pranger“, meine Damen und Herren von der Staatsregierung, war ein Flop; die werbewirksam in der Bevölkerung geweckten Hoffnungen auf Bürokratieabbau in Sachsen wurden bitter enttäuscht. Unterm Strich ist das Ergebnis der Aktion nahe Null.

Erschreckend unreguliert ist dagegen die Lage der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Sachsen: Zigtausende haben zurzeit keine Personalvertretung, weil CDU- und SPD-Fraktion im Widerspruch zum Koalitionsvertrag kein neues Personalvertretungsgesetz zustande gebracht haben.

Sie hätten ja, wenn Sie denn schon meinten, unseren Gesetzentwurf für ein modernes Dienstrecht ablehnen zu müssen, wenigstens der kleinen Gesetzesnovelle zustimmen können, mit der wir Tarifvertrag und Gesetze in Einklang bringen wollten.

Aber nein, lieber nahmen Sie sehenden Auges einen ungesetzlichen Zustand in Kauf und schufen rechtsfreie Räume auf Kosten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, als dass Sie zu einem Vorschlag der LINKEN die Hand heben würden.

Diese Blockadehaltung schadet unserem Land, und sie ist im Übrigen auch durch nichts zu rechtfertigen. Die Staatsregierung verschickt ja derzeit fast täglich Pressemitteilungen, in denen auf immer neue Veranstaltungen und Bildungsangebote anlässlich 20 Jahren Herbst 1989 hingewiesen wird. Allenthalben rühren Sie, zusammen mit Spitzenpolitikern der Koalitionsfraktionen, die Werbetrommel für mehr Bemühungen um ein vertieftes Verständnis der DDR, damit daraus insbesondere die Jugend die richtigen Konsequenzen für die Gestaltung einer freiheitlichen, zukunftsorientierten Gesellschaft ziehen möge.

Wir waren und wir sind jederzeit gern bereit, uns dabei auch weiterhin aktiv einzubringen, wohl wissend, dass vor allem die CDU darauf keinen Wert legt.

Aber, Herr Ministerpräsident, Ihr Umgang mit der eigenen Vergangenheit auf der einen Seite und den LINKEN in der Gegenwart auf der anderen Seite lässt nur eine Schlussfolgerung zu:

Sie haben nichts, aber auch gar nichts begriffen und sind daher denkbar ungeeignet, die Zukunft Sachsens zu gestalten!

Stellen wir uns nur mal einen Moment vor, was hier im Landtag und in den Medien los wäre, wenn sich anhand von Dokumenten herausgestellt hätte, dass ich noch einen Monat nach dem Fall der Mauer an einer Enteignung beteiligt gewesen wäre, die später als klassisches „DDR-Unrecht“ wieder kassiert wurde. Herr Flath, Sie würden rund um die Uhr Interviews geben, um die Welt vor mir zu warnen. Und CDU-Generalsekretär Kretschmer würde sich mit Rücktrittforderungen regelrecht überschlagen.

Herr Tillich, der seine Biografie inzwischen x-mal umgeschrieben hat und immer noch nicht bei der Wahrheit angekommen ist, spricht ja gerne mit heutigen Vokabeln über alte Zeiten; also tute ich ihm jetzt einmal ausnahmsweise den Gefallen, mit Blick auf seine Person ebenso zu verfahren. Dann kann ich nur sagen: Sie, die sächsische CDU, ziehen mit einem ehemaligen sozialistischen Vizelandrat in die kommende Landtagswahl, als wäre das die normalste Sache der Welt, und malen zugleich das Schreckgespenst einer drohenden Linksregierung an die Wand. Das, meine Damen und Herren, ist einfach nur absurd!

Mit dieser auf die Spitze getriebenen Doppelmoral werden Sie am 30. August in einer Weise Schiffbruch erleiden, die in die sächsischen Geschichtsbücher eingehen wird!

Und vorher werden wir einen Wahlkampf haben, auf den ich mich schon jetzt freue. Insbesondere die CDU will die Erinnerung an 20 Jahre friedliche Revolution parteipolitisch instrumentalisieren, um mit antikommunistischen Horrorszenarien Ihre eigene Macht zu verewigen. Nun kehrt Ihre eigene Parteipropaganda wie ein Bumerang zu Ihnen zurück.

Sie gebärden sich hier als neue Staatspartei. Wer im Kreisarchiv Kamenz zum DDR-Unrecht des heutigen sächsischen Ministerpräsidenten recherchiert, wird der Staatskanzlei gemeldet. Schämen Sie sich eigentlich nicht für solche „innerbehördlichen Anweisungen“? Das erinnert uns an die jahrelang gepflegte zweifelhafte Berichtspflicht sächsischer Staatsanwaltschaften, die nach „ganz oben“ Meldung machen mussten, wenn sie gegen „hohe Tiere“ ermittelten. Wenn jemand bis heute in diesem Freistaat keine Lehren aus der friedlichen Revolution gezogen hat, sind es die Machtzirkel der sächsischen CDU, die an den Allmachtsanspruch der SED fast nahtlos anknüpfen.

Gott sei Dank haben wir noch genügend unabhängige Richter und couragierte Verwaltungsmitarbeiter, so dass Ihren Anmaßungen immer wieder Grenzen gesetzt werden. Ich darf an Ihre Serie von Niederlagen vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof erinnern, die daraus resultieren, dass Sie viel zu oft mit der Landesverfassung auf Kriegsfuß stehen und sich an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vergreifen. Es ist DIE LINKE, die mit den Verfassungsklagen ihrer Abgeordneten für Ordnung sorgen muss.

Das tun wir gerne, denn im Gegensatz zu Ihnen haben wir aus unserer Rolle und unseren Fehlern in der DDR gelernt!

Es ist ja nicht so, dass wir Ihre Skandale bräuchten, um bei den Bürgerinnen und Bürgern Zustimmung zu finden. Wie ich schon mit allgemein anerkannten Zahlen belegt habe, ist Ihre Politik in eine Sackgasse geraten und nicht mehr zum Vorteil, sondern zum Schaden Sachsens und seiner Menschen. Unser alternativer Haushaltsansatz ist besser als der von Ihnen beschlossene Staatshaushalt, und unser Alternatives Landesentwicklungskonzept war besser als Ihr Landesentwicklungsplan, der ganze Regionen von der Entwicklung abgehängt hat.

Wir werden als Drittes noch in diesem Sommer einen konkreten Aktionsplan für die Belebung der sächsischen Wirtschaft auf den Tisch legen. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Tillich, der Sie es ja auf dem Höhepunkt der Qimonda-Krise nicht mal geschafft haben, rechtzeitig einen EU-Kommissar anzurufen, schauen wir dabei über den Tellerrand Sachsens hinaus und mobilisieren Sachverstand mit neuen Ideen für unser Land.

In der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD heißt es: „Die Koalitionspartner … werden politischem Extremismus …mit Entschlossenheit begegnen und eine demokratische politische Kultur in Sachsen fördern und vorleben.“

Wenn Sie das tatsächlich getan hätten, wären wir sicherlich die ersten, die Sie dafür loben und Ihnen eine erfolgreiche Arbeit bescheinigen würden. Wie aber sieht die Realität aus?

Ich will gar nicht über die „demokratische politische Kultur in Sachsen“ reden, die Sie vorleben wollten. Wie diese Kultur aussieht, haben die Bürgerinnen und Bürger bei zahllosen Skandalen in den vergangenen Jahren erfahren müssen. Darauf komme ich gleich noch zu sprechen.

Und beim Extremismus, dem mit Entschlossenheit begegnet werden sollte? Die NPD sitzt inzwischen leider in jedem Kreistag, sie ist in rund 70 Stadt- und Gemeinderäten vertreten. Dutzende von Nazikonzerten in Sachsen jedes Jahr, eine weiterhin steigende Zahl an Straftaten.

Im Koalitionsvertrag heißt weiter: „Das Mittel des Organisationsverbotes wird überall da angewandt, wo es erforderlich und geeignet ist.“ Bei „Sturm 34“ haben Sie es angewandt. Zögerlich, halbherzig und viel zu spät. Nach Dutzenden schweren und schwersten Straftaten. Sieht so entschiedenes Handeln aus?

Und, Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren: Wer die Lippen spitzt, der sollte auch pfeifen können! Ein Verbot nützt nur dann etwas, wenn es auch konsequent umgesetzt wird! Wie rechtfertigen Sie es eigentlich, dass bei Neonazi-Demonstrationen Mitglieder des „Sturm 34“ noch immer gemeinsam auftreten können? Man darf es eben nicht bei einem Verbot belassen, man muss solche Gruppen mit dem Mitteln des Rechtsstaates auch konsequent zerschlagen.

Warum sind Sie eigentlich noch immer nicht initiativ geworden für ein Verbot des Verein „Gedächtnisstätte“ in Borna? Holocaustleugnung ist kein Kavaliersdelikt! Aber Sie haben ja erst einmal rund zwei Jahre gebraucht, um zu merken, dass es sich um einen rechtsextremen Verein handelt. Erfolgreiche Politik sieht anders aus, ganz anders!

Ich kann Ihnen für diesen Politikbereich nur empfehlen, einmal den Blick nach Brandenburg zu werfen. Dort regieren ebenfalls SPD und CDU. Aber das dortige Landesprogramm „Tolerantes Brandenburg“ verdient wirklich diesen Namen. Dort belässt man es nicht bei einem reinen Fördermitteltopf.

Lernen Sie doch wenigstens bei ihren eigenen Parteifreunden, wenn Sie schon nicht von uns lernen wollen. Lernfähigkeit ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Politik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wir brauchen Ihre Skandale nicht, aber wir werden werden Ihnen Ihre Vertuschungsmanöver nicht durchgehen lassen. Die Sachsen LB war nicht das Opfer einer globalen Krise, sondern einer irrsinnigen Spekulationsstrategie, die Sie politisch zu verantworten haben. Was haben Sie uns in diesem Hohen Haus für die Einsetzung des Landesbank-Untersuchungsausschusses beschimpft.

Fakt jedoch ist: Seither sind zwei komplette Bankvorstände, ein Finanzminister und ein Ministerpräsident zurückgetreten bzw. haben mehr oder weniger unfreiwillig ihr Amt verloren. Herr Tillich aber, der auch bei diesem brisanten Thema so tut, als habe er mit nichts etwas zu tun, wollte als Nachfolger des Finanzministers noch nicht mal einen Rechnungshofbericht haben!

Inzwischen liegt der Rechnungshofbericht doch vor, bestätigt in vollem Umfang die Ergebnisse des von der LINKEN durchgesetzten Untersuchungsausschusses, und mittlerweile fordert der Rechnungshof sogar, Schadenersatzansprüche gegen ehemalige Verwaltungsräte geltend zu machen.

Herr Tillich, mit Totschweigen werden Sie die Milliardenschäden, die der Landesbank-Crash den sächsischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zufügt, nicht aus der Welt schaffen können! Sie waren am Kabinettstisch mit dabei, so wie Sie damals im Rat des Kreises dabei waren, und Sie tragen politische Mitverantwortung – für diesen Milliardenschaden wie für unrechtmäßige Enteignungen 1989.

Man sieht übrigens daran, dass der von Ihnen angerichtete bzw. mit zu verantwortende Schaden leider durch die friedliche Revolution, an der Sie keinen Anteil hatten, nicht kleiner geworden ist. Bei der Landesbank geht des um Milliarden. Von Qimonda habe ich schon gesprochen, auch beim sächsischen Mikroelektronik-Leuchtturm stehen Milliarden auf dem Spiel.

Man spricht davon, dass rund zwölf Milliarden Euro in „Silicon Saxony“ geflossen sind, davon drei Milliarden aus Steuergeldern. Dieses Erbe von Kurt Biedenkopf haben Sie durch Unvermögen und Untätigkeit in höchste Gefahr gebracht!

Wir brauchen auch Ihren Skandal um rund 15.600 Seiten Verfassungsschutzakten zu mutmaßlichen kriminellen Netzwerken nicht. Sie, meine Damen und Herren von der CDU, waren es, die den Verfassungsschutz auf die organisierte Kriminaliät losgelassen haben, und sie wurden erst durch von uns herbeigeführten Urteil des sächsischen Verfassungsgerichts dazu gezwungen, davon abzulassen. Ihr Innenminister Buttolo sah dann gleich die Mafia die Macht im Land übernehmen, ehe Ihr damaliger Ministerpräsident Milbradt die Parole von der „heißen Luft“ ausgab.

Sie, die CDU, blockierten ein Jahr lang die Arbeit des von LINKEN, FDP und GRÜNEN eingesetzten Untersuchungsausschusses, ehe das Verfassungsgericht Ihnen erneut den Weg in die Demokratie weisen musste und entschied, dass die Arbeit dieses Untersuchungsausschusses im öffentlichen Interesse sei.

Die sächsische CDU ist keine Expertin für innere Sicherheit, sondern sie ist zunehmend zu einem Sicherheitsrisiko geworden!

Dass Sie nun nach dem vorläufigen Ende dieses Untersuchungsausschusses immer noch die Fakten ignorieren wollen, kann ich nur bedauernd zur Kenntnis nehmen.

Als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission bin ich bei Androhung hoher Strafen leider zum Schweigen verpflichtet. Aber ich bin mir sicher: Die Wählerinnen und Wähler werden sprechen – mit dem Stimmzettel, der Ihnen für diese Skandale eine Quittung ausstellt!

Reden wollen wir über Projekte, die das Land voranbringen würden. Zum Beispiel über das längere gemeinsame Lernen für alle Kinder statt verfrühter sozialer Auslese und über tatsächliche Lernmittelfreiheit. Oder über das kostenlose Mittagessen für alle Kita-, Schul- und Hortkinder. Wir haben solide durchgerechnete Gesetzentwürfe vorgelegt, die bei entsprechendem politischen Willen finanzierbar sind – wie alle unsere Vorschläge ohne Neuverschuldung.

Dass aber ausgerechnet Sie, die Sie eine komplette Landesbank versenkt und den Kommunen durch unzureichende Finanzausstattung eine hohe Verschuldung aufgezwungen haben, nun im Bundesrat für die so genannte „Schuldenbremse“ votiert haben, ist ein schlechter Witz. Er wird Ihnen im Wahlkampf noch viel Hohn und Spott einbringen, dessen können Sie sicher sein, denn schließlich setzen Sie damit mittelfristig auch die Eigenständigkeit unseres Landes aufs Spiel.

Wir brauchen einen Politikwechsel von der Symbol- zur Sachpolitik! Oder anders gesagt: Linke Realpolitik ist allemal attraktiver als konservative Sprechblasen. Zum Jahreswechsel sprachen Sie, Herr Ministerpräsident, vom „Schwung holen“, nun wollen Sie „mit vereinten Kräften die Talsohle durchschreiten“, wie Sie letzte Woche aus der Staatskanzlei verlautbaren ließen.

Ich verstehe ja, dass Sie in Ermangelung eigener politischer Akzente nun versuchen, politischen Honig aus einem Konjunkturpaket zu saugen, das Sie nicht erfunden haben, sondern lediglich mehr schlecht als recht verwalten. Aber verschonen Sie uns doch bitte mit dieser Pathos-Produktion, die im Sommer 2009 ebenso peinlich ist wie sie es im Sommer 1989 war!

Mir ist nicht bange um die sächsische Wirtschaft. Wir haben ein hoch produktives verarbeitendes Gewerbe, einen gut entwickelten Dienstleistungssektor, eine effektiv arbeitende Landwirtschaft, ein innovatives Handwerk und einen modernen Handel. Die Sachsen forschen leidenschaftlich gern, und daher erleben wir regelmäßig technologische Neuerungen made in Saxony. Sachsen ist seit Jahrhunderten Spitze, mal in der Welt, mal in Europa, mal in Ostdeutschland.

Insofern können wir uns nicht Ihrer Selbstgenügsamkeit anschließen, mit stolz geschwellter Brust darauf hinzuweisen, dass Sachsen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR an der Spitze steht. So weit waren wir auch schon unter Erich Honecker; wenn das der Maßstab der Tillich-CDU ist, dann gute Nacht, Sachsen!

Mir ist auch nicht bange um die Bildung in Sachsen als Schlüssel-Rohstoff für den Wohlstand der Zukunft. Sächsische Elternhäuser sind überdurchschnittlich bildungsinteressiert und –orientiert, das kommt der Lernmotivation der Kinder zugute.

Und diese sächsischen Eltern haben gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern, die trotz doppelter Ausbeutung durch überdurchschnittlich viele Pflichtstunden und unterdurchschnittliche Bezahlung mit vollem Engagement dabei sind, das Verdienst am PISA-Erfolg der Schülerinnen und Schüler! Wer auf die Idee kommt, mit dem PISA-Erfolg habe eine Staatsregierung etwas zu tun, die über tausend Schulen geschlossen hat und sich über Jahre die bundesweit niedrigsten Pro-Kopf-Ausgaben pro Schüler leistete, hat Probleme beim Erfassen der Wirklichkeit und würde wohl selbst beim PISA-Test durchfallen!

Mir ist nicht bange um Sachsen, weil hier seit 150 Jahren der Fortschrittsmotor der Industriegesellschaft steht. In wirtschaftlicher und technologischer, aber auch in sozialer Hinsicht. Die Arbeiterbewegung, die Mieterbewegung, aber auch die Schreberbewegung – alles sächsische Erfindungen. Was im 19. Jahrhundert in Sachsen fortschrittlich war, ist auch heute nicht überholt, im Gegenteil: Selten war die soziale Frage so aktuell wie jetzt in der Zeit des Scheiterns des Turbokapitalismus! Aber wir müssen als Landespolitik den Rahmen dafür setzen, dass der sächsische Geist des Fortschritts die zum 21. Jahrhundert passenden Formen annehmen kann.

Da reicht es eben nicht, wie das die sächsische CDU in ihrem Wahlprogramm tut, einfach zu behaupten, dass die Kirchen auch im 21. Jahrhundert Träger unserer Kultur seien.

Die Kirchen gehören zu unserer Kultur, und ich bin nicht zuletzt durch die Anteilnahme am Engagement meiner Frau mit dem christlichen Gemeindeleben in Sachsen persönlich verbunden. Sachsen ist auch ein christliches Land, und das ist gut so.

Zugleich gebietet es es nicht zuletzt der Respekt vor den drei Vierteln der Bevölkerung, die sich als religiös ungebunden verstehen, die Trennung von Staat und Kirche ernst zu nehmen. Die Leute wollen nicht statt der lästigen „Rotlichtbestrahlung“ früherer Zeiten ständig mal unterschwellig, mal offensiv missioniert werden.

Die sächsische Leitkultur ist seit dem 19. Jahrhundert eine weltliche, säkularisierte, stark geprägt von naturwissenschaftlichem Denken. Eine besondere sächsische Spezialität ist die regionale Vielfalt, verbunden mit weltanschaulicher Toleranz.

Sachsen braucht als Lebenselixier den Geist der Moderne. Was die Biedenkopf-CDU dazu beigetragen hat, konnte die Milbradt-CDU nicht mehr weiter entwickeln, und die Tillich-CDU setzt es mit ihrem Provinzialismus auf’s Spiel.

Herr Ministerpräsident, es reicht nicht, gut tanzen zu können und bei der Auswahl der Anzüge auf der Höhe der Zeit zu sein, man muss auch Ideen haben, in denen mehr Zukunft als Vergangenheit drin ist. Dann wird es auch wirtschaftlich wieder aufwärtsgehen, sozial sowieso.

Sachsen ist ein stolzes Land. Sorgen wir dafür, dass es auch wieder ein starkes Land wird. Nehmen wir den Ballast der abgewirtschafteten sächsischen CDU von seinen Schultern und erheben wir uns gemeinsam zu neuer Freiheit und mehr Gerechtigkeit. Herzlichen Dank!

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